Zinspolitik der Fed: Verblendung oder Taktik?

LFDE Marktkommentar vom 10.10.2023

Je mehr Wochen verstreichen, desto mehr wirkt die Sitzung der US-Notenbank (Fed) vom 20. September wie ein Wendepunkt – sowohl im Hinblick auf die Entwicklung der Märkte als auch der Wirtschaft. Seit der überraschenden Verschärfung ihrer restriktiven Rhetorik, klingen die Äußerungen der US-Zentralbank kaum wohlwollender, obwohl die Wirtschaftsdaten für mehr Flexibilität sprechen. Der starke Rückgang der VPI-Inflation, also die des von der Fed am aufmerksamsten verfolgten Index, bestätigte sich im August und der ISM-Einkaufsmanagerindex spiegelt einen deutlichen Nachfragerückgang im Dienstleistungssektor wider. Die Beschäftigungsdaten sind zwar von einer Veröffentlichung zur nächsten widersprüchlich, deuten aber insgesamt auf einen Trend zur Ausgeglichenheit des Arbeitsmarktes und eine immer geringere Lohninflation hin.

Zinspolitik und Wirtschftsdaten im Konflikt

Dennoch halten die Mitglieder der Fed beharrlich an ihrer Meinung fest. Zwar sehen einige von ihnen, wie Mary C. Daly, die Gouverneurin der Fed von San Francisco, im jüngsten Anstieg der langfristigen Zinsen ein Argument dafür, keine weitere Zinsanhebung im Jahr 2023 mehr vorzunehmen. Doch praktisch alle anderen setzen sich für die Beibehaltung der Leitzinsen auf einem hohen Niveau über einen längeren Zeitraum ein. Selbst der äußerst moderate Raphael Bostic, der Präsident der Fed von Atlanta, hat sich der Riege der Verfechter des „higher for longer“ angeschlossen, indem er bekräftigte, dass er für 2024 von nur einer Zinssenkung ausgehe. Auch ehemalige Mitglieder der Zentralbank stimmen in das Konzert mit ein. Janet Yellen, ehemalige Fed-Präsidentin bis 2018 und jetzige Wirtschaftsministerin, zeigte sich besonders zuversichtlich bezüglich der Robustheit des Konsums der privaten Haushalte – und das nur zwei Tage nach der Korrektur der BIP-Zahlen für das zweite Quartal, aus denen hervorging, dass der Konsum nur einen halb so großen Beitrag geleistet hatte wie prognostiziert.

Verzögerte Wahrnehmung der Wirtschaftsentwicklung

Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der Haltung der Fed und der Konjunkturentwicklung lässt sich auf zweierlei Weise erklären. Zum einen scheint sie die wirtschaftlichen Entwicklungen immer erst mit Verzögerung zu erkennen. Denn während zahlreiche Ökonomen im Sommer 2021 auf Anzeichen für eine nachhaltige Inflation hinwiesen, ließ sich die Fed nicht von ihrer eigenen Einschätzung abbringen. Sie war der Auffassung, dass die Inflation nur „vorübergehend“ sei und keine Wende in der Zinspolitik erforderlich mache. Einige Monate später verzichtete sie auf den Ausdruck „vorübergehend“ und kündigte baldige Zinsanhebungen an, nachdem sie reichlich Zeit hatte verstreichen lassen, bis sie die Inflation als dauerhaft anerkannte. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Fed ebenfalls einige Zeit brauchen wird, um die Realität einer schnellen deflationären Entwicklung, eines Nachgebens des Konsums und einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt zur Kenntnis zu nehmen.

Auswirkungen auf die Märkte

Anderseits ist es wahrscheinlich, dass die Fed parallel hierzu noch eine andere Absicht verfolgt. Die Pandemie hat die US-Wirtschaft in eine paradoxe und unausgewogene Lage gebracht. Die übertriebenen haushaltspolitischen Konjunkturmaßnahmen, die sich erstaunlicherweise 2023 fortsetzten, haben eine bedeutende Zahl von Unternehmen über Wasser gehalten, die eher um ihr Überleben kämpften als sich weiterzuentwickeln. Diese „Zombie“-Unternehmen sind für den anhaltend ungewöhnlich hohen Druck auf den Arbeitsmarkt sowie für eine ineffiziente Kapitalallokation mitverantwortlich. Die Fed hat ein großes Interesse daran, das Gleichgewicht wiederherzustellen und die Exzesse in Verbindung mit der Pandemie zu beenden. Was jedoch nicht in ihrem Interesse liegt ist, die Insolvenz dieser Unternehmen zu provozieren, indem sie die Zinsen auf hohem Niveau belässt und damit ihre Refinanzierungsprobleme verschärft. Dies ist ein Ziel, das sie aus offenkundigen Gründen nicht einfach so preisgeben kann. Das bedeutet mit anderen Worten, dass die scheinbare Blindheit der US-Notenbank durchaus einen guten Grund haben könnte, wenn sie schon keine gute Nachricht für die Märkte für Risikoanlagen ist.

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