Flossbach von Storch - Marktkommentar Januar 2023
Die Inflationsraten sind zwar zuletzt gesunken, dürften aber langfristig (deutlich) über dem Inflationsziel der Notenbanken bleiben.
Die Bekämpfung einer aus dem Ruder laufenden Inflation ist notwendig, damit die Menschen das Vertrauen in den Wert ihres Geldes nicht verlieren. Allerdings gibt es die Rückkehr zu niedrigeren Inflationsraten nicht kostenlos, im Gegenteil. Die Inflationsbekämpfung ist nach allgemeiner Einschätzung lediglich kostengünstiger, als die Inflation laufen zu lassen.
Wie weit die Notenbanken die Zinsen tatsächlich noch erhöhen und ihre Bilanzen abbauen können, bevor die Kosten der Inflationsbekämpfung nicht mehr vertretbar sind und schwerwiegende Kollateralschäden im Finanzsystem auftreten, weiß allerdings niemand, auch die Notenbanker nicht.
Viele Staaten müssen sich erstmals nach Jahrzehnten auf spürbar steigende Zinskosten einstellen. Im Jahr 2021 fielen für die Eurostaaten Zinskosten von 180,3 Milliarden Euro an. Bezogen auf die Gesamtstaatsverschuldung von 12,3 Billionen Euro entsprach das einer durchschnittlichen Zinslast von lediglich 1,5 Prozent.
Schulden kosten wieder
Sollten die Marktrenditen auf dem derzeitigen Niveau verharren, würden sich die Zinsausgaben bei unveränderter Verschuldung in einigen Jahren verdoppeln. Dieser Anstieg vollzieht sich aber nur graduell. So weisen Italiens Staatsschulden zum Ende des dritten Quartals eine durchschnittliche Restlaufzeit von 7,7 Jahren auf. Die Zinsausgaben betrugen im Jahr 2022 voraussichtlich knapp 70 Milliarden Euro. Das ergibt eine Durchschnittsverzinsung von rund 2,5 Prozent. Aktuell liegt die Marktrendite für italienische Anleihen bei ca. vier Prozent (Durchschnitt über alle Laufzeiten). Wenn die Renditen dauerhaft so hoch blieben, würden die jährlichen Zinsausgaben Italiens bei unverändertem Schuldenstand um rund 40 auf etwa 110 Milliarden Euro steigen. Daher verwundert es nicht, dass aus Italien die schärfste Kritik an der Antiinflationspolitik der EZB kommt.
Dennoch ist die Schuldentragfähigkeit der (meisten) Staaten nicht ernsthaft in Gefahr, weil die Wirtschaftsleistung und die Steuereinnahmen inflationsbedingt automatisch mitsteigen. Diesen Ausgleich haben viele private Kreditnehmer nicht oder nur bedingt. Je kürzer die Zinsbindung ist, desto eher schlägt das höhere Zinsniveau voll durch. Während deutsche Privathaushalte überwiegend über langlaufende Immobilienkredite verfügen, ist in Großbritannien etwa jede fünfte Hypothek variabel verzinst. Die übrigen 80 Prozent weisen nur eine kurze Zinsbindung auf, die für gut zwei Millionen britische Kreditnehmer schon in diesem Jahr endet. Aktuell beträgt der Zins für zweijährige Hypothekenkredite knapp sechs Prozent und für fünfjährige 5,5 Prozent. Vor einem Jahr waren es nur 1,6 Prozent. Wann und in welchem Umfang dies zu Ausfällen bei Hypothekendarlehen führt, wird sich in den nächsten Quartalen zeigen. Auf jeden Fall wird die Bank of England die Auswirkungen weiterer Zinserhöhungen auf die Bedienbarkeit der Hypothekenkredite und damit die Solvenz des Bankensektors im Auge behalten.
Das Ende vieler „Zombieunternehmen“(?)
Auch für hochverschuldete Unternehmen, die in den nächsten Jahren fällige Kredite oder Anleihen refinanzieren müssen, wird es eng. Dies gilt vor allem für die sogenannten Zombieunternehmen, die sich in der Vergangenheit nur dank niedriger Zinsen über Wasser halten konnten. Auch unprofitable Wachstumsunternehmen, denen jetzt langsam das Geld ausgeht, leiden unter dem hohen Zinsniveau und den gestiegenen Risikoprämien. Die Aufnahme von Eigenkapital an der Börse oder von Venture-CapitalGesellschaften ist schwieriger geworden, Fremdkapital ist zu teuer oder schlicht nicht mehr verfügbar. Hierbei handelt es sich um eine gesunde Marktbereinigung, die die Notenbanken bei ihrem Kampf gegen die Inflation billigend in Kauf nehmen dürften. Ein anderes Problem ist dagegen virulenter – ein zunehmender Mangel an Liquidität.
Während die Notenbanken ihre Anleihebestände sukzessive abbauen, sprich am Markt verkaufen wollen, planen die Staaten gleichzeitig mit einer anhaltend hohen Nettoneuverschuldung. Das wirkt sich auch auf die Nachfrage nach Unternehmensanleihen aus, deren Risikoaufschläge steigen und die Unternehmensrefinanzierung verteuern dürften.
Im Herbst hatte der starke Zinsanstieg bei britischen Staatsanleihen (Gilts) bereits die Bank of England genötigt, ihre Geldpolitik temporär zu ändern, weil die Kurse der Gilts ins Bodenlose fielen. Gut möglich, dass es anderen Notenbanken ähnlich ergeht.
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