Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 06.01.2023
Das Jahr 2022 war in vielerlei Hinsicht ein „annus horribilis", trotz ermutigender Fortschritte bei der Überwindung der Covid-Pandemie in vielen Ländern. Nach dem Ausbruch geopolitischer Spannungen durch den Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine wurden die Welt und insbesondere Europa in die schwerste Energiekrise seit den 1970er Jahren gestürzt. Als Reaktion auf die ansteigende Inflation strafften die Zentralbanken weltweit ihre Geldpolitik so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Dies führte zu weitreichenden Verlusten an den Finanzmärkten. Steigende (Real-)Zinsen bei gleichzeitig fallenden Aktienkursen sorgten an den Kapitalmärkten dafür, sich nirgendwo „verstecken“ zu können. Alles geriet ins Rutschen. Über den Oktober und November hin kam es dann erfreulicherweise zu einer vorgezogenen Jahresendrallye, die noch bis in den Dezember hineinreichte.
Auch im Jahr 2023 stehen Anleger vor größeren Herausforderungen. Die Finanzmärkte dürften im neuen Jahr von Konjunktur, Geld- und Geopolitik geprägt bleiben. Vor allem die Inflation, welche sich mit einem großen Auftritt auf der Weltbühne zurückgemeldet hat, kann als deutliches Zeichen für wachsende zyklische und strukturelle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage in der Weltwirtschaft gewertet werden. Diese Verwerfungen wurden in erster Linie durch übermäßige geldund fiskalpolitische Anreize verursacht – in Verbindung mit starken strukturellen Veränderungen (Stichworte: Demografie, Deglobalisierung, Dekarbonisierung) und exogenen Schocks (Covid, Ukraine).
Um auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzukehren und die Inflation wieder auf das Zielniveau der Zentralbanken zu bringen, wird die Weltwirtschaft auf dem Weg zurück ins Gleichgewicht einen mehrjährigen zyklischen und strukturellen Anpassungsprozess durchlaufen müssen.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Die globalen Finanzmärkte dürften auch im ersten Halbjahr 2023 von einem Tauziehen zwischen Rückenwind durch die nachlassende Inflationsdynamik und Gegenwind durch die zunehmenden Rezessionsrisiken bewegt werden.
- Während in der Vergangenheit Zeiten rückläufiger Inflation mit einer starken Performance risikobehafteter Vermögenswerte einhergingen, war in einem rezessiven Umfeld das Gegenteil der Fall.
- Die Kombination aus anhaltenden geopolitischen Spannungen, erhöhter Inflation, bestehenden Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft und in die Enge getriebenen Zentralbanken sollte die Anleger in das neue Jahr hinein weiterhin vor Herausforderungen stellen – bevor es dann mit der konjunkturellen Trendwende auch zu einer Wende an den Aktienmärkten kommen kann.
- Aus Sicht der zu erwartenden weiteren konjunkturellen Entwicklung liegt daher zunächst eine vorsichtige Haltung gegenüber risikobehafteten Vermögenswerten nahe.
Aktien
- Außerhalb der Vereinigten Staaten erscheinen Aktienmärkte inzwischen auf Indexebene attraktiv bewertet. Für geduldige Anleger erwachsen hier schrittweise Einstiegschancen.
- Die Gewinnschätzungen dürften noch nicht vollständig die Risiken für den Konjunkturausblick reflektieren. Auf Indexebene wird das Gewinnwachstum überwiegend vom Energiesektor getragen, während für eine Mehrzahl der anderen Sektoren die Gewinnschätzungen bereits heruntergenommen werden. Die europäischen Gewinnschätzungen haben sich bis zuletzt als widerstandsfähig erwiesen. Sie wurden allerdings stark durch Währungseffekte gestützt. Vor allem europäische Unternehmen, die viel in US-Dollar umsetzen, konnten profitieren.
- Aktienmärkte dürften zunächst schwankungsanfällig bleiben. Dies bietet Investoren aber in Schwächephasen die Gelegenheit, ihr Aktienportfolio auf einen neu beginnenden Zyklus auszurichten: „Income“-Strategien mit tragfähigen und hohen Dividendenausschüttungen, diversifiziert über viele Sektoren, sollten eine Rolle spielen, genau wie Themeninvestments, beispielsweise im Bereich Dekarbonisierung.
Anleihen
- Mit den gestiegenen Renditen werden Staatsanleihen für Anleger schrittweise wieder interessanter, vor allem in den USA.
- Insbesondere die Kombination aus nachlassenden Inflationssorgen, aber aufkommenden Wachstumssorgen könnte Staatsanleihen interessant machen. Allerdings sollte ein Einstieg in Schritten erfolgen, solange weitere Zinserhöhungen der Zentralbanken wahrscheinlich sind.
- Bei Unternehmensanleihen (Investment Grade wie High Yield – also guter ebenso wie schlechterer Bonität) empfiehlt sich noch etwas mehr Geduld. Die Bewertungen erscheinen vor dem Hintergrund weltweit erhöhter Rezessionsrisiken nicht übermäßig attraktiv
- Hinsichtlich Schwellenländeranleihen gilt es die globalen finanziellen Bedingungen im Auge zu behalten. Diese dürften zunächst tendenziell noch restriktiver werden. So lange erscheint Vorsicht angebracht.
Das neue Jahr wird ein Jahr auf dem Weg zurück ins Gleichgewicht.
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director
Global Capital Markets & Thematic Research
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