DWS CIO View - Chart of the Week vom 02.12.2022
Gibt es zu viel soziale Gleichheit? Aus volkswirtschaftlicher Sicht ja, da der richtige Grad an Ungleichheit individuelle Aufstiegschancen und Wachstum beflügeln kann.
Der geplante Ersatz des im Volksmund liebevoll Hartz IV genannten Arbeitslosengeld II durch das Bürgergeld wurde in Deutschland heftig diskutiert. Konkret setzt die eine Seite mehr auf Fordern und die andere mehr auf Fördern. Weniger konkret geht es auch hier letztlich um das Thema Umverteilung und soziale Ungleichheit. Einige Ökonomen argumentieren, dass Ungleichheit Anreize schafft, zu arbeiten und sowohl in Sachkapital als auch in Bildung zu investieren. Dementsprechend würden staatliche Umverteilungsmaßnahmen zu einer Verringerung der Anreize für Arbeit und Investitionen führen, was letztlich zu einem Rückgang der Produktion führt. Ein höheres Maß an Ungleichheit wäre demnach mit einem höheren Wachstum des Bruttoinlandsproduktes verbunden.
Andere Ökonomen argumentieren, dass eine höhere Ungleichheit arme Menschen davon abhält, sich auf dem Arbeitsmarkt zu engagieren, weil die Chancen auf Erfolg zu gering sind. Gleichzeitig hätten Top-Verdiener nur begrenzte Anreize zur Arbeitsaufnahme, weil ihre soziale Position bestens gesichert sei – man denke an ererbten Reichtum. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass reichere Menschen eher zum Sparen als zum Ausgeben neigen1. Darüber hinaus gibt es bei zu großer Ungleichheit auch ein Problem mit der Nachfrageseite. Wegen der geringeren Konsumneigung der Reichen kann die Nachfrage ins Stocken geraten, wenn der Wohlstand zu sehr am oberen Ende der Einkommensleiter konzentriert ist.
Wer nun der Meinung ist, dass beide Ökonomen-Lager gute Argumente haben, liegt nicht völlig falsch. Wie unser „Chart of the Week“ zeigt, gibt es ein zu Wenig und ein zu Viel an Gleichheit, und damit an Umverteilung. Entsprechend gibt es auch ein Optimum. Der Chart zeigt die Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizienten2 , und wie diese sich auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Dabei haben wir versucht, so gut es geht andere Ursachen3 unterschiedlicher Wachstumsraten weitgehend herauszurechnen. So bereinigt ergibt sich der abgebildete parabelförmige Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Wachstum. Er zeigt, dass der optimale Gini-Koeffizient ungefähr bei 30 liegt. Zu den wenigen Ländern, die eine zu geringe Ungleichheit aufweisen, zählen Tschechien und Skandinavien. Hier würde mehr Ungleichheit zu mehr Wachstum führen. Die G7-Staaten liegen ungefähr am Optimum, während viele Schwellenländer eine zu hohe Ungleichheit aufweisen. Dass hier ein Mehr an Gleichheit dem Wachstum guttäte, könnte China erkannt haben, da sein „Common prosperity“-Programm auch darauf abzielt. Allerdings kann gerade unter den autokratisch regierten Schwellenländern der Weg von der Kenntnis über diesen Zusammenhang und einer politischen Handlung ein ziemlich lange sein, insbesondere wenn politische Macht und Reichtum in gleichen Händen liegen.
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Fußnoten
1Laut Mian et. al. (2021) ist es vor allem dieser Effekt, der zu der oft zitierten „globalen Sparschwemme“ beigetragen hat, die wiederum zu sehr niedrigen Zinssätzen geführt hat. Auch wenn die nominalen Renditen in den letzten Monaten drastisch gestiegen sind, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die realen Zinssätze – und auf diese kommt es beim Wachstum an – immer noch sehr niedrig und in vielen Fällen sogar negativ sind.
2Ein Wert von Null entspräche absoluter Gleichverteilung, bei 100 liegt alles Einkommen bei einer Person.
3Demografie, Entwicklungsstand der Volkswirtschaft, Investitionen, Humankapital und andere.