Flossbach von Storch Kommentar vom 25.03.2025
von Norbert F. Tofall
Durch die Ukraine- und Europapolitik von US-Präsident Donald Trump steigt die Gefahr für einen großen Krieg in Europa. Aus diesem Grund erhöhen sowohl Deutschland als auch andere EU-Staaten ihre Verteidigungsausgaben mit noch größerer Geschwindigkeit, um durch Aufrüstung zum Zwecke der Abschreckung diese Kriegsgefahr zu senken.
Donald Trump begründet seine Abwendung von der Ukraine und von Europa unter anderem damit, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika auf die Auseinandersetzung mit China konzentrieren müssen.1 Dabei begeht Donald Trump gleich zwei strategische Fehler.
I.
Der erste Fehler besteht darin, dass Trump einer Vorstellung der sogenannten realistischen Schule der internationalen Beziehungen folgt, welche meint, die USA müssten und könnten Russland im Kampf gegen China auf ihre Seite ziehen. Diese Vorstellung ist jedoch höchst unrealistisch. Spätestens seit dem Überfall von Russland auf die Ukraine am 24. Februar 2022 besteht ein neuer Ost-West-Konflikt zwischen China und Russland auf der einen Seite und der USA und Europa auf der anderen Seite. China ist teils offen, teils verdeckt der größte Unterstützer von Russland im Ukrainekrieg. Beide sehen im Westen einen gemeinsamen Feind. Der neue Ost-West-Konflikt ist nicht nur ein Konflikt um Hegemonie, sondern auch ein strategischer Systemkonflikt.
Um einerseits das Argument der angeblich realistischen Schule der internationalen Beziehungen zu verstehen, dass man Russland von der Seite Chinas lösen könne, und um andererseits zu erkennen, dass das höchst unrealistisch ist, muss man sich Russlands selbsterzeugtes Dilemma vergegenwärtigen, in welchem sich Russland seit Jahren befindet.2
Russlands größtes ökonomisches und politisches Entwicklungshemmnis besteht außenpolitisch in seinem imperialen Streben nach Hegemonie und innenpolitisch in seiner zwanghaften Kontrolle und Beherrschung aller gesellschaftlichen Bereiche einschließlich der Wirtschaft. Entgegen der eigenen Intention hat sich Russland dadurch selbst in eine geopolitische Lage manövriert, in der nur noch China als gewichtiger Kooperationspartner zur Verfügung steht. In einer Partnerschaft mit China ist Russland jedoch – worauf Erich Weede, ein Anhänger der sogenannten realistischen Schule der internationalen Beziehungen, schon vor Jahren zurecht hinwiesen hat – nicht Hegemonialmacht, sondern nur Juniorpartner.3 Die Vorstellung, man könne Russland von der Seite Chinas trennen, fußt auf diesem Zusammenhang. Russland will nicht Juniorpartner Chinas sein.
Aber wird Russland deshalb zum Partner der USA? Oder ist es nicht – entgegen den Vorstellungen der realistischen Schule der internationalen Beziehungen – vielmehr und im eigentlichen Sinne realistisch, dass China und Russland erst einmal gemeinsam alles versuchen werden, die internationalen Beziehungen und die Weltwirtschaft gemeinsam in ihrem Sinne neu zu ordnen.
Dazu kommt, dass innen- und wirtschaftspolitisch Russlands Kontroll- und Beherrschungswahn aller gesellschaftlichen Bereiche dazu geführt hat, dass Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des realexistierenden Sozialismus 1991 seine ökonomischen Strukturprobleme immer noch nicht gelöst hat, während andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des Ostblocks wie beispielsweise Litauen, Lettland, Estland, Polen und Tschechien in einem schmerzhaften Transformationsprozess der schöpferischen Zerstörung ganz erhebliche Leistungen vorzuweisen haben.
Und Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik gehören in Russland zusammen; denn Russland hat die eigene Energiewirtschaft und den Export von Öl und Gas zur zentralen geopolitischen und vom Kreml zentralgesteuerten Waffe geformt und dadurch sowohl die freie wirtschaftliche und auf Wettbewerb beruhende Entwicklung des eigenen Landes als auch die friedliche außenwirtschaftliche Kooperation mit seinen Nachbarn verhindert.
Die 2014 auf dem Papier erfolgte Gründung einer Eurasischen Wirtschaftsunion4 ist deshalb der Versuch der russischen Führung, dem selbsterzeugten Dilemma zu entgehen. Geopolitisches Ziel einer über die Verfolgung reiner Wirtschaftsinteressen hinausgehenden Eurasischen Union ist es, Russland die Stellung einer gleichrangigen Hegemonialmacht neben China und den USA auf Dauer zu sichern. Putins Invasion in die Ukraine ist dabei der verzweifelte Versuch, die von ihm schon lange angestrebte Eurasische Union mit Blut und Gewalt zu schmieden. Denn ohne die Ukraine als wichtigem Bestandteil einer Eurasischen Union bleiben Putins Pläne nicht erfüllbar und in den Kinderschuhen stecken.
Donald Trumps Ukraine- und Europapolitik führt jedoch nun dazu, dass Putin durch US-amerikanische Hilfe seinen geopolitischen Zielen näherkommen könnte. Eine Kapitulation der Ukraine – in welcher Form auch immer – ist für Putin nur der erste Schritt zur Besetzung der gesamten Ukraine und einem anschließenden großen Krieg in Europa, um die Eurasische Union zu erweitern und mehr geopolitisches Gewicht zu verleihen.
China dürfte zwar an der Erweiterung einer Eurasischen Union kein Interesse haben. Eine Erweiterung der Eurasischen Union um die Ukraine, das Baltikum und Polen dürfte jedoch wohl nicht ohne einen großen Krieg in Europa zu bewerkstelligen sein. Weder die ehemaligen Sowjetrepubliken noch Mittel- und Westeuropa werden sich Russland kampflos ergeben. China muss im Moment also nichts gegen die noch in Ferne liegende Erweiterung einer Eurasischen Union unternehmen und kann abwarten. Darüber hinaus wird China seine Beziehungen zu Russland mit Sicherheit so gestalten, dass Russland nicht auf die Seite der USA wechselt. Das Stichwort BRICS+ ist an dieser Stelle ausreichend.
Was gewinnen die USA also letztlich durch eine Abwendung von der Ukraine und durch einen Deal mit Russland für die Auseinandersetzung zwischen den USA und China? Durch einen potentiellen großen Krieg in Europa dürfte die geopolitische Stellung Chinas zunehmen und nicht geschwächt werden. Donald Trump könnte den USA durch seine Ukraine- und Europapolitik deshalb einen Bärendienst erweisen.
II.
Der zweite strategische Fehler von Donald Trump besteht darin, dass er meint, er könne die geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen, die von China und Russland ausgehen, alleine und ohne Verbündete und ohne die noch bestehenden Allianzen bewältigen. Die ökonomischen Zahlen sprechen jedoch dagegen.
China ist gemessen am nominalen BIP in US-Dollar nicht viel kleiner als die USA. Betrachtet man China und Russland auf der einen Seite und die USA zusammen mit der EU, Großbritannien, Kanada, Australien und Japan auf der anderen Seite, ergibt sich ein anderes Bild. Die Betrachtung der Bruttoinlandsprodukte westlicher Staaten auf der einen Seite und von China und Russland auf der anderen Seite spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Westen die chinesischen und russischen Herausforderungen erfolgreich bewältigen kann, wenn er halbwegs geschlossen gegen China und Russland seine ökonomischen und politischen Interessen vertritt und sich auf eine gemeinsame China- und Russland-Strategie einigt.
Donald Trump ist jedoch gerade dabei, die transatlantischen Beziehungen und westliche Allianzen zu zerschlagen oder schrittweise zu zersetzen. Er bringt Kanada gegen sich auf und wendet sich von Europa ab und Russland zu. Eine gemeinsame westliche China-Strategie ist weiter entfernt denn je. Das stärkt Chinas geopolitische Stellung, was auch heißt, dass die Wahrscheinlichkeit einer chinesischen Invasion in Taiwan oder einer Totalblockade von Taiwan auf See und in der Luft wahrscheinlicher wird.
Das heißt insgesamt, dass Donald Trumps Außen- und Sicherheitspolitik sowohl bezüglich der Ukraine und Europa als auch bezüglich China die Kriegsgefahren weltweit erhöht. Nicht nur die Ukraine und Europa werden die Leidtragenden sein, sondern auch die USA selbst. China und Russland sind ihrer Neuordnung der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft durch Trumps erste Wochen seit seiner zweiten Amtseinführung am 20. Januar 2025 in Rekordgeschwindigkeit nähergekommen. Wie hieß es Ende Februar aus dem Kreml? Man sehe eine „vollständige Übereinstimmung“ mit Donald Trump.