Was Anleger über Nachhaltigkeits-Investments wissen müssen
Nachhaltigkeits-Investments sind in aller Munde. Die EU fördert und fordert sie, Fondsmanager bringen ESG Fonds und ETFs im Akkord auf den Markt, die ihnen Anleger wiederum aus den Händen reißen. Damit Investoren nicht das Wesentliche aus den Augen verlieren, erläutern wir die wichtigsten Aspekte von ESG-Investments im Frage-Antwort-Format – und fangen gleich mit einem dicken Ärgernis an.
Die EU hat jüngst Investments in Atomkraftwerke als nachhaltig eingestuft. Bekomme ich jetzt also von meiner Bank Nachhaltigkeitsfonds und ETFs empfohlen, die in Aktien von solchen Firmen investieren?
Das könnte tatsächlich passieren, vor allem dann, wenn die Produkte von französischen Fonds- oder ETF-Anbietern kommen. Frankreich setzt seit Jahrzehnten auf Atomstrom, und die französische Regierung hat massive Lobbyarbeit geleistet, um sicherzustellen, dass die EU Investments in Atomstrom als nachhaltig deklariert. Mit Erfolg, was uns in Deutschland regelrecht geschockt hat. Das macht sie prinzipiell förderwürdig, was die Finanzierungskosten senkt. Das erfreut den französischen Staat. Allerdings hat sich die EU im selben Atemzug und zwar auf Betreiben Deutschlands entschieden, auch die Gasförderung als nachhaltig zu kennzeichnen. Wir sollten uns also nicht zu laut beschweren. Allerdings ist nicht zu befürchten, dass ESG-Fonds von deutschen Anbietern mit Aktien und Anleihen der Gas- und Atomkonzerne vollgeladen werden. Das Bewusstsein der Entscheider in deutschen Finanzkonzernen für die Befindlichkeiten der Anlegerinnen und Anleger aus Deutschland ist hinreichend geschärft. Das gilt übrigens auch für globale Fondsanbieter, die den großen deutschen Investmentmarkt im Auge haben. MIt einem Dammbruch ist also nicht zu rechnen.
Aber wenn jedes Land in der EU sein eigenes Süppchen beim Thema Nachhaltigkeit kocht und auch Atomstrom nachhaltig sein soll, dann ist die ganze EU-Nachhaltigkeitspolitik doch unseriös!
Kritik an der jüngsten Entwicklung kann man anbringen, und die EU-Entscheidung, dass Atom- und Gaskraftwerke nachhaltig sind, wurde auch schon als Greenwashing kritisiert. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen: Die EU erlaubt diese Klassifizierung unter gewissen Umständen bei Gas bis 2030 und bei Atom bis 2045. Hier wird deutlich, dass es der Kommission darum geht, Brückentechnologien zu fördern. Vielleicht war es ja Deutschland, das 2011 nach Fukushima die falschen Prioritäten gesetzt hat? Statt unsere Atommeiler vom Netz zu nehmen, hätten wir zunächst die CO2-intensiven Energiequellen Kohle und Gas ausmustern können und viel stärker die Windenergie ausbauen müssen. Wie dem auch sei: Keiner ist gezwungen, in Nukleartechnologie oder in die Gaswirtschaft zu investieren. Heute gibt es mehr Transparenz über nachhaltige Finanzprodukte als jemals zuvor, sodass Anleger sich gut informieren können. Ein gutes Beispiel ist die viel kritisierte EU-Initiative für nachhaltige Finanzen.
Also gut, was ist der Stand der Dinge bei der EU-Nachhaltigkeits-Initiative?
Kurz vorausgeschickt: Das ist ein echtes Jahrhundertprojekt, und gerade deshalb ist es schade, dass das Ziel des Projekts aus dem Fokus geraten ist. Die EU hat früh auf das Pariser Abkommen von 2016 reagiert – Stichwort: das Ziel, die Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung auf 1,5 Grad zu beschränken. 2018 wurde die Initiative für nachhaltige Finanzen ins Leben gerufen und seitdem permanent weiterentwickelt und vertieft. Bis 2050 soll Europa klimaneutral werden, und auf dem Weg dahin sollen die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduziert werden. Das erfordert gigantische Investitionen. Die EU-Kommission geht von jährlich zunächst 260 Milliarden Euro aus. Zu diesem Zweck will sie bis 2030 eine Billion Euro mobilisieren. Dabei sollen auch private Investitionen entsprechend kanalisiert werden. Ihnen sollen beim nachhaltigen Umbau der Wirtschaft eine tragende Rolle zukommen. Das soll der EU-Aktionsplan für nachhaltige Finanzen sicherstellen. Hier schafft die EU-Kommission mit der sogenannten EU-Taxonomie und weiteren Offenlegungspflichten sehr gute Voraussetzungen, um Nachhaltigkeit einmal zu definieren und zum anderen messbar zu machen.
Was bedeutet die EU-Taxonomie für mich als Privatanleger?
Die EU-Taxonomie definiert, welche Engagements nachhaltig sind. Sie ist für Unternehmen und für die Finanzwirtschaft maßgeblich. Sie bestimmt, ob eine Aktivität ökologisch nachhaltig und damit förderwürdig ist, und sie schafft Transparenz für Unternehmen, Vermögensverwalter und Anleger. Die Ziele der Taxonomie lauten: Abschwächung des Klimawandels bzw. dessen Management, die nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft fördern und Umweltverschmutzung vermeiden sowie die Biodiversität schützen. Das gibt Unternehmen und Anlegern wichtige Entscheidungshilfen an die Hand. Fondsmanager werden anhand der Taxonomie und anderen EU-Regeln detailliert ablesen können, ob bzw. wie nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. Anleger werden damit erkennen, ob ein Fonds oder ETF mit seinen Investments dazu beiträgt, den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu unterstützen. Spiegelbildlich sollen Anleger anhand der Kriterien der Taxonomie erkennen, ob ein Unternehmen oder Staat nur scheinbar nachhaltig agiert oder ob sie Greenwashing betreiben.
Was sind die spezifischen Transparenzpflichten für Unternehmen und Fonds, die für mich als Aktien- und Fondsanleger wichtig sind?
Perspektivisch werden nicht nur ökologische, sondern auch soziale Ziele in der Taxonomie detailliert dargelegt werden. Daraus leiten sich Offenlegungspflichten einmal für Unternehmen ab, die nach der Corporate Sustainability Reporting Directive über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten werden informieren müssen. Diese Richtlinie ist für Aktienanleger relevant, weil dieses Reporting ausgefeilter sein wird als der derzeitige Reporting-Standard NFRD (Non-Financial Reporting Directive). Für Vermögensverwalter, und das ist für Fonds- und ETF-Anleger entscheidend, gilt seit März 2021 die Offenlegungsverordnung SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation). Seit knapp einem Jahr müssen Fondsanbieter ihre Fonds und ETFs in eine von zwei Nachhaltigkeits-Klassen einsortieren. Ab 2023 werden Fondsanbieter dann im Rahmen der technischen Regulierungsstandards den zweiten Teil der SFDR, deutsch: Offenlegungsverordnung, erfüllen und erschöpfend Auskunft über die negativen ESG-Auswirkungen ihrer Investitionstätigkeit erteilen.
Welche Arten von Nachhaltigkeitsfonds gibt es heute?
Die EU hat zunächst zwei Arten von Nachhaltigkeitsfonds definiert. Artikel acht der SFDR beschreibt Fonds mit Nachhaltigkeitseigenschaften. Das sind Fonds und ETFs, die in Unternehmen mit guten ESG-Ratings investieren oder solche, die in Unternehmen mit reduzierten C02-Emissionen anlegen. Fonds nach Artikel acht werden auch als “hellgrün” bezeichnet, die Messlatte ist da eher niedrig, weil sich auch Fonds mit wenig ambitionierten Nachhaltigkeits-Screenings als nachhaltig beschreiben können. Beispiele hierfür sind Fonds, die typische ESG-Screenings nutzen, um die nachhaltigeren Unternehmen von den weniger nachhaltigen Unternehmen zu trennen. Oder Fonds, die mit Ausschlüssen arbeiten und bestimmte Branchen und/oder Unternehmen ausschließen. Der The Digital Leaders Fund und der Emerging Markets Digital Leaders sind auch deshalb Fonds nach Artikel acht, weil sie Unternehmen ausschließen, die das Tierwohl missachten. Dann gibt es die Fonds nach Artikel neun der SFDR. Diese sind ambitionierter, weil sie explizite Nachhaltigkeitsziele verfolgen. Diese Fonds werden als “dunkelgrün” beschrieben, weil sie einen bestimmten “Impact” erzielen wollen. Diese Fonds kommen aktivistischen Strategien, die für Publikumsfonds eher untypisch sind, am nächsten. Dann gibt es noch den großen Rest: Fonds, die nicht systematische ESG-Merkmale bzw. Ziele aufweisen, müssen das kennzeichnen. Hier ist von sogenannten Artikel sechs Fonds die Rede. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Nachfrage nach konventionellen Produkten sinkt, derweil Anleger sehr stark in ESG-Fonds investieren. Ab 2023 werden dann alle Fonds über ihre Nachhaltigkeitsrisiken informieren müssen.
Entspricht die Aufteilung zwischen Fonds mit Nachhaltigkeitseigenschaften und den eher aktivistischen Ansätzen der Realität der ESG-Strategien am Markt?
Im Groben schon. Fonds mit Nachhaltigkeitseigenschaften sind funktional überwiegend Best-in-Class-Strategien. Die Fonds bringen also die nachhaltigsten Unternehmen zusammen. Je nach Ausgestaltung des ESG-Filters kommen da die nachhaltigsten 50 Prozent der Unternehmen einer Branche zusammen. Oder die besten 25 Prozent. Zusätzlich werden oft zudem Ausschlusskriterien berücksichtigt. Zumeist werden Atomstrom-, Waffen-, Alkohol- und Tabakhersteller ausgeschlossen. Oder auch die Unternehmen mit dem größten C02-Fußabdruck. Dagegen sind Fonds nach Artikel neun der EU-Offenlegungsverordnung mit sogenannten Impact-Mandaten ausgestattet. Sie investieren in Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die aktiv eine oder mehrere Nachhaltigkeitsziele umsetzen wollen. Etwa eine oder mehrere der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Oder sie investieren in Green Bonds, also Anleihen, die begeben werden, um nachhaltige Projekte umzusetzen. Hinter diesem groben Raster verbergen sich hunderte verschiedene Ansätze im einzelnen, sodass für Anleger und Berater nach der Frage “Artikel acht oder neun” die Arbeit erst richtig beginnt.
Wie bekomme ich als Anleger die nötigen Informationen?
Bis 2023 ist das leider nicht optimal. Auf den Website der Fonds- und ETF-Anbieter findet man Informationen zum Mandat der Fonds, die aber nicht standardisiert sind und oftmals eher nach Marketing-Kriterien zusammengestellt werden. Oder aber die Formulierungen sind in trockenem Juristendeutsch gehalten. Das liegt auch daran, dass die ESG-Daten auf Unternehmensebene erst erhoben werden müssen. Rating-Agenturen wie Morningstar oder MSCI halten ESG-Informationen vor, sind aber für die Öffentlichkeit nur sehr selektiv erhältlich. Das Gros der Daten bekommen Otto-Normal-Anleger heute nicht zu lesen. Aber auch Institutionen und auch Fondsmanager müssen kämpfen, um an robuste Daten zu kommen. Weil Großanleger die größtmögliche Erfassung von ESG-Daten sicherstellen wollen, haben sich zunehmend auch Meta-Datenbanken etabliert, die Screenings anbieten, die mehrere ESG-Research-Quellen anzapfen. Ein Beispiel hierfür ist der Frankfurter ESG-Datenanbieter Screen17. Privatanleger, die es genauer wissen wollen und einen Finanzberater aufsuchen, müssen sich also noch gedulden. Im August dieses Jahres sollen Berater systematisch die Nachhaltigkeits-Präferenzen von Investoren abfragen. Dann wird die EU-Vertriebsrichtlinie Mifid II um ein Nachhaltigkeitskapitel ergänzt. Doch selbst wenn das so kommt, was nicht sicher ist, werden Berater nicht zaubern können und Anlegern wichtige Antworten schuldig bleiben, solange die Datenlage bei Unternehmen und daher auch Fonds lückenhaft ist.
Wann wird sich diese Lage verbessern?
Die Nachhaltigkeitstransparenz schreitet schon rapide voran, auch wenn man das vielleicht nicht immer im Blick hat. Die Details über ESG-Aktivitäten von Unternehmen und auch die ESG-Risikoberichte von Fonds werden für 2023 erwartet, wenn der zweite Teil der SFDR vorliegen wird. Übrigens ist deshalb fragwürdig, ob die ESG-Erweiterung der Mifid II Richtlinie schon in diesem Jahr kommt. Wie sollen Berater über etwas, von dem sie erst ein Jahr später Kenntnis erhalten werden, jetzt schon informieren? Experten halten es deshalb für möglich, dass die Nachhaltigkeitspflichten für den Vertrieb auch erst 2023 in Kraft treten werden. Bis dahin haben es Anleger mitunter schwer, sich Klarheit über alle Aspekte der ESG-Eigenschaften von Fonds zu verschaffen. Auch das meiste ESG-Research und ESG-Ratings sind bisher lückenhaft und manchmal auch arg schematisch verfasst. Dem steht die doch sehr großzügige Kennzeichnungspraxis bei Fonds gegenüber. Man muss wissen, dass inzwischen gut ein Drittel aller Publikumsfonds in Europa ESG-Merkmale aufweisen und sich als Artikel acht Fonds zu erkennen geben. Seit März 2021 hat es eine regelrechte ESG-Fonds-Inflation gegeben, weil viele Fondsanbieter ihre Fonds ins ESG-Schaufenster stellen, nach dem Motto: Nachhaltigkeit liegt im Auge des Betrachters.
Das klingt so, als ob Nachhaltigkeitsfonds nur eine Marketing-Veranstaltung wären.
Das wäre ein Missverständnis. Natürlich besteht die Gefahr von Greenwashing, eine sehr bedenkliche Praxis, die viel Schaden anrichten kann. Aber der ESG-Zug lässt sich nicht mehr aufhalten. Wir befinden uns heute in einer Übergangsphase zwischen der alten Welt, in der der Shareholder-Value das Maß aller Dinge war und Anleger nur Rendite gefordert haben. In Zukunft wird es um nachhaltiges Wirtschaften gehen, um Umweltschutz, soziale Standards, um gute, nachhaltige Unternehmensführung und somit auch um nachhaltige Rendite. Es werden nicht nur die Interessen der Shareholder, sondern auch die der Stakeholder berücksichtigt werden müssen. Aber beim Thema ESG geht es auch um Risikomanagement. Anleger, können mit ESG-Research viele Blowups vermeiden. Die Anleger, die die Corporate Governance von VW zum Ausschlusskriterium erhoben hatten, litten nicht unter den Folgen des Dieselskandals 2015. Wer die schlampige Sicherheitspraxis bei BP oder Tepco im Blick hatte, konnte die Kurseinbrüche nach dem Deepwater Horizon-Unfall 2010 und dem Fukushima-Meltdown 2011 vermeiden. Nachhaltigkeit und langfristige Rendite sind daher kein Widerspruch. Anleger managen über ESG-Screenings auch ihre Anlagerisiken. Risikomanagement ist die Sprache der institutionellen Anleger, und die sprechen immer mehr ESG. Der nachhaltige Umbau der Wirtschaft wird alle Lebensbereiche betreffen – nicht zuletzt auch die Art, wie wir investieren. Angesichts dieser Herkulesaufgabe wäre es naiv zu erwarten, dass der Übergang zwischen zwei Wirtschaftssystemen ohne Streuverluste stattfinden könnte.
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