Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 21.02.2025
Die Bundestagswahlen am Wochenende finden zu einem Zeitpunkt statt, an dem eine ungewöhnliche Zweiteilung im Euroraum zu beobachten ist. Einerseits fallen die harten Wirtschaftsdaten nach wie vor enttäuschend aus; so hat die Bundesregierung vor Kurzem ihre BIP-Wachstumsprognose für 2025 von 1,1% auf 0,3% gesenkt. Andererseits sind die Märkte inzwischen sehr viel optimistischer. Die breit basierten europäischen Aktienindizes haben bis Mitte Februar um knapp 10% zugelegt, und der deutsche Benchmark-Index DAX hat mit einem Anstieg um knapp 15% seit dem Jahresbeginn seine bedeutsamsten USPendants klar geschlagen.
Stellt sich der Markt auf größere Veränderungen in Deutschland nach den Wahlen ein, oder spielen andere Faktoren eine Rolle?
Unseres Erachtens rechnen die Marktteilnehmer in der Tat damit, dass sich die Wirtschaftspolitik nach den Wahlen verbessert. In der Endphase der scheidenden Koalition herrschten weithin Unzufriedenheit und Misstrauen, und es schien an der Fähigkeit zu mangeln, die offensichtlichen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft anzugehen. Verbreitet scheint man darauf zu hoffen, dass die Regulierungs- und Steuerpolitik so geändert wird, dass sich die Lage für heimische Unternehmen günstiger gestaltet. Außerdem rechnet der Markt mit einer gewissen Lockerung der vielzitierten Schuldenbremse, die den fiskalpolitischen Spielraum für nennenswerte Konjunkturimpulse begrenzt.
Allerdings dürften unseres Erachtens außerdeutsche Faktoren mindestens ebenso großen Einfluss auf die Wertentwicklung europäischer Aktien gehabt haben wie innerdeutsche Faktoren.
Die Kombination aus einer äußerst hohen Konzentration an den US-Aktienmärkten und der Stimmungsaufhellung bei den Unternehmen im Euroraum dürfte eine Rolle gespielt haben. Anleger, die Risiken für ihr Portfolio im Blick haben, dürften eine höhere Allokation in weniger ehrgeizig bewerteten Märkten mit Aufholpotenzial anstreben. Von diesen diversifizierungsbedingten Kapitalströmen dürften europäische Aktien profitiert haben, zumal die Umfragen im verarbeitenden Gewerbe Anlass zu der Vermutung geben, dass die europäischen Unternehmen die Talsohle durchschritten haben könnten.
Darüber hinaus hatten die Märkte reichlich Zeit zur Verfügung, um sich auf die Maßnahmen der neuen US-Regierung einzustellen. Es wurde reichlich darüber geschrieben und gesprochen, welche Risiken höhere US-Zölle für andere Volkswirtschaften als die USA mit sich bringen, sodass diese Auswirkungen umfassend in den Wachstumserwartungen berücksichtigt werden konnten. Dies zeigt sich auch an anderen Märkten als den europäischen Aktienmärkten. So entwickelt sich der Kurs des USDollar – nach Auffassung des Konsens eine Long-Position, um mit den Risiken der höheren Zölle umgehen zu können – seit Präsident Trumps zweiter Amtseinführung unterdurchschnittlich.
Zum einen wurden also potenzielle Risiken eingepreist, zum anderen wird auf eine Politikwende in Europa gehofft. Ein Grund dafür ist, dass die Marktteilnehmer glauben, politische Initiativen aus den USA – und wohl insbesondere der Dialog mit Russland über einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine – würden die europäischen Politiker zu Entscheidungen zwingen, die zu höheren Ausgaben und einem günstigeren Umfeld für die Wirtschaft führen. Im Vergleich zu den Trends vor der Pandemie haben sich die Gewinnerwartungen für europäische Unternehmen von 2023 bis zum Ende des vergangenen Jahres bei weitem nicht so klar erholt wie diejenigen von US-Unternehmen. In den vergangenen Monaten war jedoch ein gewisser Anstieg zu erkennen, der mit der überdurchschnittlichen Wertentwicklung der europäischen Aktienindizes zusammenfiel. In jedem Fall ruft die überdurchschnittliche Entwicklung europäischer Aktien seit Jahresbeginn in Erinnerung, dass ein diversifiziertes Portfolio seine Vorteile hat.
Die Woche voraus
Auch nach den Wahlen am Wochenende werden Daten aus Deutschland viel Aufmerksamkeit erhalten. Die ifo-Umfrage gibt Aufschluss über die Stimmung der deutschen Wirtschaft zum Jahresbeginn 2025. Der jüngste Anstieg des ZEW-Index lässt darauf schließen, dass Hoffnungen auf eine Verbesserung bekräftigt werden. Die revidierten BIP-Daten für das vierte Quartal dürften dagegen bestätigen, dass der Ausstoß geschrumpft ist. Am Arbeitsmarkt ist es noch zu früh für eine Verbesserung der Arbeitslosenzahlen. Zum Ende der Woche hin werden die vorläufigen Daten zur Verbraucherpreisinflation im Februar zeigen, ob die Inflationsverlangsamung in Deutschland und im Euroraum insgesamt anhält.
Im Euroraum gehen die monatlichen Stimmungsumfragen der EU-Kommission weithin in die BIP-Prognosen ein. Ende 2024 verbesserten sich die Umfrageergebnisse zwar leicht, deuten aber nach wie vor nur auf lahmendes Wachstum hin.
In den USA steht die Kernrate des Index für private Konsumausgaben (Personal Consumption Expenditure, PCE) an, der von der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) bevorzugt zur Inflationsmessung verwendet wird. Der Index dürfte moderat über dem Inflationsziel der Fed liegen, wenn auch mit geringerem Abstand als 2024. Das bedeutet, dass die Inflationsrate voraussichtlich etwas niedriger ausfallen wird. Ebenfalls in den USA sollten sich die Auftragseingänge für dauerhafte Gebrauchsgüter nach der Kontraktion im Dezember wieder erholen. Die revidierten BIP-Daten für das vierte Quartal dürften daraufhin abgeklopft werden, ob sie Hinweise auf die Konjunkturdynamik zur Jahreswende liefern.
Und zuletzt hat in Japan der Verbraucherpreisindex für den Raum Tokio in jüngster Zeit auf eine Inflationsbeschleunigung in der Wirtschaft hingedeutet. Die Einzelhandelsumsätze und die Baubeginne dürften Aufschluss über das Wachstum insgesamt geben.
Warten wir also ab, wie die neue Regierungskoalition in Deutschland aussieht und welche politischen Weichenstellungen sie anstrebt – und hoffen wir, dass sie aus möglichst wenig Parteien besteht!
Sean Shepley
Senior Economist