Sind Anleihen zurück im Spiel?

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 01.09.2023

Anleihen könnten im Jahresverlauf interessant werden, lautete eine unserer Prognosen im Jahresausblick 2023. Ist es nun soweit? Sind Anleihen nach den Renditeanstiegen der letzten Wochen jetzt attraktiv? Immerhin befinden sich die Renditen langlaufender Staatsanleihen in den USA (zeitweilig über 4,25 %) und Deutschland (deutlich über 2,5 %) auf Niveaus, die sie zuletzt 2011 erreicht hatten.

Zur Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, zunächst einige Treiber hinter den gestiegenen Renditen zu untersuchen. Warum sind die Renditen von Anleihen zuletzt so stark gestiegen, obwohl sich am Horizont zunehmend klarer ein Ende der Zinserhöhungszyklen der wesentlichen Zentralbanken abzeichnet?

  • Bei Aufteilung der nominalen Rendite von Staatsanleihen in eine Prämie zur Vergütung von Inflationsrisiken (im Finanzjargon „Break-even“, Inflation genannt) und eine sogenannte Realrendite, zeigt sich: Der Renditeanstieg wurde zuletzt fast vollständig von der Realrendite getrieben. Diese ist in den USA auf rund 2 % gestiegen und hat sich in Deutschland aus tief negativem Terrain knapp zurück in positive Gefilde bewegt. Das spiegelt eine Normalisierung, weg von der extrem lockeren Geldpolitik der letzten Jahre, wider. Zudem haben die Anleger damit Vertrauen in eine robuste Wirtschaft ausgedrückt, während die Sorge vor Inflation sich zumindest nicht mehr verstärkt hat. Dazu gab es vorwiegend in den USA Anlass. Hier lassen sich aber weiter ein robuster Konsum und eine subventionsgetriebene Sonderkonjunktur rund um den Bau von Fabriken beobachten („Inflation Reduction Act“). Sollte sich die Wahrnehmung robusteren Wachstums bestätigen, würde dies für den zukünftigen Zinspfad bedeuten, dass die Zinsen für länger als erwartet erhöht bleiben müssen („higher for longer“).
  • In den USA dürfte ein höher als erwartetes Budgetdefizit die Anleihemärkte kurzfristig zusätzlich belastet haben. Dies erhöht das Angebot an Anleihen, die am Markt einen Käufer suchen. Gleichzeitig verkauft die US-Notenbank jeden Monat Staatsanleihen im Volumen von ca. 60 Mrd. US-Dollar, was das Angebot nochmals erhöht bzw. dem Markt Liquidität entzieht. Auch die EZB und andere Zentralbanken schrumpfen schrittweise ihre Bilanz.
  • Für die globalen Geldströme auf den Anleihemärkten spielt zudem die Entscheidung der japanischen Zentralbank eine Rolle, die Rendite der einheimischen 10- jährigen Staatsanleihen nicht mehr mit Markteingriffen bei maximal 0,5 % zu begrenzen. Dies macht es beispielsweise für japanische Anleger attraktiver, heimische Staatsanleihen zu kaufen, entsprechend würden sie währungsgesicherte Positionen in europäischen oder amerikanischen reduzieren.

All das sind vorwiegend Treiber, welche eher kurzfristige Entwicklungen widerspiegeln. Eine langfristige Investition in Staatsanleihen macht für die meisten Anleger aber nur Sinn, wenn diese auf lange Sicht mehr Rendite als die Inflation abwerfen. Das ist vor allem in der Eurozone eher fraglich. Am Beispiel deutscher Bundesanleihen zeigt sich: Selbst unter der günstigen Annahme, die EZB werde mittelfristig ihr Inflationsziel von 2 % „nur“ um einen halben Prozentpunkt verfehlen, ist mit den derzeitigen Renditen um die 2,5 % für 10-jährige Anleihen gerade einmal der Kaufkrafterhalt zu sichern. In den USA erscheint die Wahrscheinlichkeit inzwischen allerdings hoch, eine positive Realrendite erreichen zu können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, Anleihen sind derzeit für solche Anleger interessant, die in absehbarer Zeit auf wieder fallende Zinsen und damit auf Kursgewinne setzen. Dies wäre vor allem bei einem merklichen Konjunkturabschwung wahrscheinlich. Dann hätten die Zentralbanken mit ihrer verschärften Geldpolitik schlussendlich die Nachfrage gedrosselt und die Inflation gedämpft.

Insgesamt gilt: Die Anleihemärkte können nicht mehr abfällig als zinsloses Risiko bezeichnet werden, sie sind für alle Beobachter hoch interessant. Richtig attraktiv sind sie aber noch nicht.

Das legt derzeit folgende Überlegungen zur Vermögensallokation nahe:

  • Aufgrund gestiegener Renditen haben Staatsanleihen ihre relative Attraktivität gegenüber anderen Assetklassen erhöht. Für Langfristinvestoren erscheint das Erreichen von Erträgen über dem Kaufkrafterhalt allerdings mit Aktien weiterhin wahrscheinlicher. Taktisch dürften Anleihen die höchsten Erträge im Szenario eines Konjunkturabschwungs mit einhergehenden Zinssenkungen abwerfen.
  • Kurzfristig bleiben die Aktienmärkte weiterhin korrekturanfällig. Gestiegene Bewertungen und optimistische Gewinnschätzungen nehmen eine sanfte Landung der Konjunktur vorweg – also rückläufige Inflation ohne das Abgleiten in eine Rezession.
  • Vor allem in China und Europa haben sich die Konjunkturdaten zuletzt merklich eingetrübt. In den USA erscheint die Konjunktur gerade äußerst robust, aber verschiedene Unterstützungsfaktoren dürften sich auch hier bald abschwächen (Bautätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe, viele Anlässe Geld im Kulturund Freizeitsektor auszugeben).
  • Kurzfristig dürfte der Abwärtstrend bei den Inflationsraten zudem holpriger werden. Gestiegene Ölpreise und weniger günstig wirkende Basiseffekte im Vergleich zum Vorjahr könnten den Rückgang der Inflationsraten bremsen. Die gestiegenen Ölpreise reflektieren zu einem wesentlichen Teil Angebotsverknappungen von Seiten der OPEC+- Länder.
  • Der US-Dollar konnte sich zuletzt festigen. Taktisch sollte er von der starken US-Konjunktur und einem unruhigeren Marktumfeld profitieren.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Spätsommer,

Stefan Rondorf
Senior Investment Strategist, Global Economics & Strategy
 

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