Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 03.05.2024
Es beginnt kaum ein Mai, vergeht kaum ein April, in dem ich nicht gefragt werde, ob es jetzt nicht Zeit wäre, die Aktienquote herunterzunehmen. Als Begründung kommt dann gerne die alte Börsenweisheit „Sell in May and go away“ hinterher. Auf den ersten Blick ist das gut verständlich, denn der Monat Mai war historisch betrachtet kein einfacher. Beispiel DAX. Von 1965 bis Ende 2023 wies er im Durchschnitt der Jahre tatsächlich eine negative Rendite auf.
Als Fan des Philosophen Karl Popper bin ich mit Zwangläufigkeiten aber vorsichtig. Mit seinem 1944 erschienen und auch heute noch äußerst aktuellen Werk „Das Elend des Historizismus“ („The Poverty of Historicism“) hat er all‘ jene desavouiert, die zwangsläufige Entwicklungen vorwegzunehmen zu können glaub(t)en. Und tatsächlich: Beim MSCI Europa stimmt das dagegen schon nicht mehr. Hier waren die Renditen (seit 1970) im Durchschnitt leicht, ganz leicht positiv. Beim MSCI Welt (ebenfalls im Durchschnitt von 1970 bis Ende 2023) sogar sehr deutlich positiv (vgl. unsere Grafik). Wer in den Mai und darüber hinausschaut, sollte sich also nicht auf Börsenregeln verlassen, sondern vor allem folgende Entwicklungen in den Blick nehmen:
- Konjunktur: Auf Seiten der konjunkturellen Entwicklung verstärkt sich eine Phasenverschiebung, die da heißt: Die Weltkonjunktur erholt sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Bei der US-Ökonomie arbeitet sich ein „No Landing“-Szenario nach vorne, welches das bisher dominierende „Soft Landing“-Szenario mehr und mehr verdrängt.
- Erweist sich aber die US-Konjunktur am Ende tatsächlich als derart robust, dürfte dies auch Auswirkungen auf die Preisentwicklung und damit auf die Geldpolitik der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) haben. Hier fällt schon seit geraumer Zeit auf, dass das lockerungsbereite Vokabular der FedOffiziellen langsam vorsichtiger und abwartender geworden ist.
- Sollte sich das „Soft Landing“ endgültig zum „No Landing“ verschieben, ist das zwar für Konjunktur und Unternehmensgewinne zunächst positiv, aber die geldpolitischen Konsequenzen könnten dann für eine Neubepreisung am Aktienmarkt sorgen. Ein Automatismus ist dies allerdings nicht. Tatsächlich haben sich die Aktienmärkte auch über die letzten Quartale hinweg immer wieder auf später als zunächst gedachte Zinssenkungen einstellen müssen. Was ihnen nicht schlecht bekommen ist.
- Geopolitik: Während die Konjunktur Unternehmensgewinne und Bewertungen am Aktienmarkt stützen sollte, bleibt die Geopolitik eine echte „wild card“, die nicht prognostiziert werden kann. Mit (negativen) Überraschungen ist leider zu rechnen.
Ein „Soft Landing“ scheint aktuell noch die höchste Wahrscheinlichkeit zu haben, während die Gefahr einer Rezession deutlich an Bedeutung verloren hat. Dies käme einem Goldlöckchen-Szenario gleich, bei dem die „Temperatur“ der Konjunktur gerade richtig ist, um Unternehmensgewinne zu unterstützen, ohne zu einer Überhitzung mit entsprechenden Preisrisiken zu führen.
Die bestehenden Unsicherheiten bezüglich des weiteren Szenarios legen folgende taktische Allokation für Aktien und Anleihen, sowie die Währungen nahe:
- Das Goldlöckchen-Szenario sollte weiterhin die Aktienmärkte stützen. Einfach im Mai zu verkaufen, weil wir im Mai angekommen sind, dürfte zu kurz greifen.
- Das Risiko für Aktien besteht allerdings im Fall einer Neueinschätzung der Geldpolitik („No Landing“-Szenario) oder bei schlechteren Konjunkturdaten, die dann doch für ein Abkippen in die Rezession sprechen, wenngleich diese Entwicklung eine geringere Wahrscheinlichkeit hat.
- Die Bewertung des US-Technologiesektors als auch des Nasdaq-Index ist, gemessen am Shiller-KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis), welches die zyklisch adjustierten Unternehmensgewinne als Basis hat, nicht außergewöhnlich hoch. Einige Aktien, insbesondere aus der Gruppe der sich von den “Magnificent 7” („Glorreichen 7“) zu den „fabulouse 4“ (den „fantastischen 4) verengenden Highflyern, werden allerdings deutlich höher bewertet als der Technologie-Sektor insgesamt.
- Das Renditeniveau für Staatsanleihen der USA und des Euroraums erscheint als attraktiv, falls es bei den erwarteten Zentralbankzinssenkungen bleiben sollte.
- Allerdings kann ein weiterer temporärer Renditeanstieg nicht ausgeschlossen werden: Die Bank of Japan (BoJ) steht am Beginn einer Politiknormalisierung und hat sich gerade von einer sehr langen Phase negativer Leitzinsen verabschiedet. Und: Die Energiepreise könnten im Zuge des Kriegs in Palästina wieder steigen, was auch zu einem erhöhten Inflationsdruck führen würde.
Übrigens: Die Börsenweisheit, die so weise gar nicht ist, setzt sich fort „… and remember: Come back in September“ („… und denke daran im September zurückzukommen“). Wenn schon schematisch argumentiert wird, dann müsste es heißen „… end of September“ (also erst Ende des Monats), denn der September selbst war im Durchschnitt der Jahre tatsächlich ein schlechter Monat für Aktien, was sich nach unseren Berechnungen sowohl für den DAX, als auch für den MSCI Europa und MSCI-Welt zeigen lässt.
Die Monate dazwischen zeigten teilweise ebenfalls eine negative Performance auf – aber nicht durchgängig. Ergo: Die Kapitalmärkte sind komplexer als so manche Börsenweisheit. Es geht nichts über aktives Management, und nicht umsonst haben Multi Asset-Lösungen Konjunktur. Es gilt was immer gilt: „Die frühere Wertentwicklung lässt nicht auf zukünftige Renditen schließen.“
Um Popper noch einmal die Ehre zu geben: Schaut man bei der monatlichen Renditeverteilung nicht nur auf den Durchschnitt, sondern auf die Gesamtverteilung zeigt sich in allen Monaten für die genannten Indizes – so auch im Mai und September – eine sehr breite Verteilung der Renditewerte um den Durchschnitt.
Investmentthema: Dividenden – Stabilität in Zeiten der Disruption
- Ob Deglobalisierung, Digitalisierung, Demographie oder Dekarbonisierung – Disruption findet allerorten statt. Spätestens hier kommen die Dividenden ins Spiel. Sie sollten in ihrer stabilisierenden Wirkung auf die Gesamtperformance nicht unterschätzt werden.
- Gemäß unseren Berechnungen lieferten Dividenden historisch betrachtet einen signifikanten Beitrag zur Gesamtrendite von Aktien. Über die letzten 40 Jahre lieferten sie bei europäischen Aktien mehr als ein Drittel der Gesamtperformance.
- Die Unternehmen tendieren dazu, ihre einmal eingeschlagene Dividendenpolitik beizubehalten und Dividenden eher zu erhöhen als zu senken, auch wenn sich die Unternehmensgewinne schwächer entwickeln.
- Aktien von Unternehmen, die Dividenden ausschütten, haben sich in der Vergangenheit zudem als weniger schwankungsanfällig erwiesen als Aktien von Firmen, die nicht ausschütten.
- Es gilt die Faustformel: Aktienkurse sind volatiler als Unternehmensgewinne. Unternehmensgewinne sind volatiler als Dividendenausschüttungen.
Einen schönen Mai wünscht Ihnen,
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research
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