Schafft die US-Wirtschaft ein Soft Landing?

Raiffeisen Capital Management "Märkte unter uns" Oktober 2024

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für eine sanfte Landung der US-Wirtschaft nach der ersten, durchaus deutlichen Zinssen­kung der Fed als Hauptszenario für die meisten Marktteilnehmer zunehmend wahrscheinlicher geworden ist, bleibt es eine in der Historie nur selten gelungene Konstellation nach einem abge­schlossenen Zinszyklus. Für das letzte Mal muss man schon ins Jahr 1995 zurückgehen, als sich der Leitzins der Notenbank zuvor von drei auf sechs Prozent binnen zwölf Monaten verdoppelte, sich anschließend aber keine Rezession mit entsprechend nega­tiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt einstellte.

Mit aller gebotenen Vorsicht bei historischen Vergleichen lie­ßen sich die umfangreichen Investitionen der 1990er Jahren in die Internet- und Mobilfunktechnologie mit dem jüngsten In­vestitionsschub in die Digitalisierung und insbesondere die AI-Technologie vergleichen, jeweils mit dem Ziel, deutliche Produk­tivitätssteigerungen zu erzielen.

Aber auch strukturelle Ursachen könnten dafür sorgen, dass nach dreißig Jahren das Kunststück eines Soft Land­ings tatsächlich wieder gelingt, denn die Gesamtwirtschaft hat sich in diesem Zeitraum - je nach Region mehr oder weni- ger deutlich - von den Industriesektoren weiter in Richtung der Dienstleistungsbranchen verlagert.

Dementsprechend ist die Divergenz zwischen den seit gerau­mer Zeit tendenziell negativen Frühindikatoren im verarbeite­ten Gewerbe und den bis dato anhaltend positiven Signalen im Servicebereich zu bewerten, was erklärt, dass insbesondere die US-Wirtschaft nach wie vor ein robustes Wirtschaftswachstum aufweist, obwohl auch dort der Produktionsbereich schwächelt.

Generell mangelt es nicht an Risikofaktoren, die eine globale Rezession, wenn auch zeitverzögert und trotz aller Bemühun­gen der Notenbanken doch noch auslösen könnten. Neben den weiter eskalierenden geopolitischen Konflikten, die jederzeit das Potenzial haben das globale Wirtschaftsgeschehen erheb­lich negativ zu beeinflussen, könnten auch über einen längeren Zeitraum unterbrochene Lieferketten für Preisdruck und damit neue Irritationen sorgen.

Zumindest kurzfristig ebenso nicht zu vernachlässigen wäre eine, wie auch immer geartete, erhöhte Unsicherheit im Zuge der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten. Wir bleiben gegenwärtig neutral positioniert.

Marktumfeld – Anleihemärkte

Euro-Staatsanleihen: Weitere Kursanstiege im September

Fallende Anleiherenditen im September führten im abgelaufenen Monat zu deutlichen Kursanstiegen in praktisch allen Anleihesegmenten. Maßgeblich dafür waren (weltweit) weiter sinkende Inflationsraten, und insbesondere in der Eurozone schwächere Wirtschaftsdaten, was in Summe zu einem Einpreisen zusätzlicher Zinssenkungen führte.

Das heurige Jahr präsentiert sich damit bisher als ausgezeichnetes An­leihejahr: Am wenigsten konnten davon bisher noch deutsche Staats­anleihen profitieren. Zehnjährige deutsche Anleiherenditen liegen nach wie vor eine Spur höher als beim Tief zu Jahresbeginn. Für alle Anlei­hesegmente mit Renditeaufschlägen ist die bisherige Jahresperfor­mance aber ausgezeichnet: 3,7 Prozent bei Unternehmensanleihen, 6,7 Prozent bei High Yield, 7,3 Prozent bei Emerging-Market-Hartwäh­rungsanleihen.

Marktumfeld – Aktienmärkte

Aktienmarkt: China stellt im September alles in den Schatten

Nach der rasanten Erholungsrally im August verbuchten die meisten Aktienmärkte auch im September weitere Kursanstiege. Das Bild war bei genauerer Betrachtung aber durchaus differenzierter. Was allen Aktienmärkten half war der fallende Inflationstrend im September, und damit das Einpreisen weiterer Zinssenkungen. Zusammen mit robus­ten Konjunkturdaten aus den USA reichte das dem breiten US-Aktienmarkt für neue All­zeithöchststände im abgelaufenen Monat. Der technologielastige NASDAQ ist dagegen noch nicht so weit, da dort die Korrektur bei KI-Titeln noch nachhängt.

In Europa war das Bild noch etwas differenzierter. Hier liegen viele Indizes noch knapp unter ihren Allzeithochs vom Sommer, und waren teilweise im September sogar leicht im Minus, passend zu den zuletzt enttäuschend schwachen Wirtschaftsdaten aus Eu­ropa. Der deutsche DAX war hier mit neuen Allzeithochs eher die Ausnahme, denn der ist stark vom Geschäft in China bestimmt.

China war die große Turnaround-Story im September – mit einer Monatsperfor­mance von rund 23 Prozent katapultierte es sich vom heurigen Schlusslicht an die Spitze der Aktienmärkte im Performance-Ranking 2024. Grund dafür: Massive Stimu­lus-Maßnahmen der chinesischen Behörden, von lockerer Geldpolitik, Unterstützungs­maßnahmen für den Immobiliensektor bis hin zu direkten Hilfen für den Aktienmarkt.

Marktumfeld – Rohstoffe und Währungen

Gold mit neuem Preisrekord

Der Goldpreis konnte auch im September wieder glänzen, und setzte seine Rally fort. Von rund 2.500 US-Dollar auf rund 2.650 US-Dollar pro Unze, erreichte er ein neues Allzeithoch. Wichtigster Treiber dafür war weiter der US-Leitzinsausblick. Das Einpreisen zusätzlicher Zinssenkun­gen treibt – so wie historisch gut zu beobachten - auch dieses Mal den Goldpreis stark nach oben. Seit Jahresbeginn immerhin schon um rund 30 Prozent (in US-Dollar gerechnet, in Euro dank Euro-Aufwertung ent­sprechend weniger).

Schwach dagegen weiterhin die Energiepreise: Öl erreichte mit rund 70 US-Dollar pro Fass ein neues Jahrestief und gleichzeitig den tiefsten Stand seit Ende 2021. Der Markt geht offensichtlich unverändert davon aus, dass die Konflikte im Nahen Osten keine relevanten Öl-Exporte be­einträchtigen werden.

Bei den Hauptwährungen gab es im September kaum Veränderungen: der Euro/US-Dollar-Kurs bewegte sich – nach der starken Euro-Auf­wertung der Vormonate – im September seitwärts bei etwa 1,11 US-Dollar pro Euro. Der Euro bleibt damit weiterhin nahe seinen höchsten Niveaus seit Beginn des Ukraine-Kriegs Anfang 2022.

Ausblick – Globale Wirtschaft

US-Konjunktur robust – Zentraleuropa weiter in der Rezession

Nach dem in den letzten Quartalen überdurchschnittlich starken US-Wirt­schaftswachstum sprechen die jüngsten Vorlaufindikatoren für eine ro­buste Wachstumsfortsetzung, auch wenn sich der US-Arbeitsmarkt etwas abkühlt – bislang jedoch nicht bedrohlich.

Deutlich schwächer ist das Bild in der Eurozone: Zwar wuchs hier ebenfalls die Wirtschaft im ersten Halbjahr, aber die relevanten Frühindikatoren ha­ben sich zuletzt deutlich eingetrübt. Nicht nur im kleineren Industriesek­tor, der sich ohnehin fast weltweit schon seit gut zwei Jahren in einer Rezes­sion befindet, sondern im September auch in der Gesamtwirtschaft. Keine guten Vorzeichen für das Winterhalbjahr in Europa. Das gilt insbesondere für die derzeitige Schwachstelle der europäischen Konjunktur, Deutschland und Österreich. Hier schrumpft die Wirtschaft schon seit rund zwei Jahren (strukturelle Probleme sowie ein relativ großer Industriesektor). Tiefere Zin­sen sollten 2025 zwar die Wirtschaft positiv beeinflussen – benötigen aber üblicherweise mehrere Quartale, um ihre Wirkung zu entfalten.

Einzig in China hat sich der Optimismus im September angesichts kräftiger Stimulusmaßnahmen deutlich verbessert (in der Grafik noch nicht abge­bildet). Ob diese Maßnahmen bereits ausreichen, um die Wachstumsziele der chinesischen Regierung zu erreichen, muss sich jedoch erst noch zeigen.

Ausblick – Inflation und Notenbanken

Inflationsraten sinken weiter – Notenbanken reagieren

Uneingeschränkt positiv bleibt das Bild weiterhin auf der Inflationsseite: Der fallende Trend setzte sich im September fort. In der Eurozone liegt die Inflation mit 1,8 Prozent p.a. erstmals seit Juni 2021 wieder unter dem Zielwert von 2,0 Prozent. Österreich lag im September ebenfalls bei 1,8 Pro­zent. Weitere Inflationsrückgänge wären hier nicht mehr wünschenswert. Es gibt also keine Rechtfertigung mehr für bremsend hohe Zinsniveaus – im Gegenteil, die schwächeren Wirtschaftsdaten legen nahe, dass die No­tenbanken sowohl in Europa als auch den USA die Zinsen rasch zumindest auf ein neutrales Niveau senken sollten.

Entsprechend sind die Leitzinserwartungen zuletzt weiter gesunken: Für die Eurozone (Leitzins nach bisher zwei Zinssenkungen aktuell 3,5 Pro­zent) preist der Zinsmarkt ein Leitzinstief von knapp unter 2 Prozent bis Sommer 2025 ein (davon 0,5 Prozentpunkte Zinssenkung auf 3 Pro­zent noch in diesem Jahr). Für die USA erwartet der Zinsmarkt ein Leit­zinstief von 3 Prozent innerhalb der nächsten 12 Monate. Beides sind aus unserer Sicht gerechtfertigte Niveaus – deutlich tiefere Zinsen 2025 wären nur im Falle eines Konjunktureinbruch anstelle einer „sanften Lan­dung“ notwendig.

Ausblick – Anleihemärkte

Anleihemärkte: Unternehmensanleihen und Emerging Markets Anleihen weiterhin bevorzugt

Obwohl die Renditen auf einigen Anleihemärkten im August leicht gestiegen sind, spiegeln die aktuellen Renditen bereits Zinssenkungen wider. So liegt die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen immer noch nur bei 2,3 Prozent (nach einem Tief von etwa 2 Prozent Ende 2023), während der Markt für 2025 ein Leitzinstief von 2,25 Prozent erwartet. Deshalb sehen wir bei den aktuellen Renditen wenig Spielraum für noch tiefere Anleiherenditen, es sei denn, die Konjunktur bricht erneut ein. Derzeit erwarten wir aber weiterhin positives Wirtschaftswachstum und setzen daher unverändert auf eine Übergewichtung von Unternehmensanleihen (Euro Investment Grade), von Staatsanleihen Italien und Frankreich innerhalb der Euro-Staatsanleihen, und von Schwellenland-Anleihen in Hartwährung (US-Dollar), gegenüber US-Staatsanleihen.

Ausblick – Aktienmärkte global

Aktienmarkt: Vorsicht bleibt angebracht

Das große Bild war und ist für die Aktienmärkte grundsätzlich positiv: Die Aus­sicht auf eine „weiche Landung“ der Wirtschaft bleibt intakt, während die stark gesunkenen Inflationsraten viel Raum für Zinssenkungen bieten. Dem­entsprechend ist auch die bisherige Jahresperformance ausgezeichnet. Von der Inflationsseite sehen wir dieses Bild gut abgesichert, und auch viel Spiel­raum für Zinssenkungen – diese sind jedoch größtenteils bereits eingepreist.

Größere Risiken sehen wir auf der Konjunkturseite, insbesondere in Europa, wo sich der Ausblick verschlechtert. Zinssenkungen würden hier erst im Laufe des nächsten Jahres positiv wirken. Sollte die Konjunktur einbrechen, könnten selbst Zinssenkungen einen Rückgang des Aktienmarktes und einen vorüber­gehenden Einbruch der bislang sehr optimistischen Gewinnwachstumserwar­tungen nicht verhindern.

Nach einer langen Phase der Aktienmarkt-Übergewichtung sind wir seit An­fang Juli kurzfristig neutral gewichtet (eine ähnlich gute Performance gab es zuletzt am Anleihemarkt). Um Aktienmärkte wieder nach oben zu stufen, möchten wir zunächst eine Stabilisierung des Konjunkturausblicks und eine Verringerung des Rezessionsrisikos sehen. Auch sollten die kurzfristigen poli­tischen Risiken, insbesondere im Umfeld der US-Wahlen, hinter uns liegen. Zu­dem könnten bisher vernachlässigte geopolitische Konflikte jederzeit an Be­deutung für die globale Wirtschaft gewinnen und kurzfristig auch die Finanz­märkte beeinflussen.

Ausblick – Aktienmärkte regional

Selektive taktische Über- und Untergewichtungen

Kurzfristig (taktisch):
Netto gehen wir bei den kurzfristigen (taktischen) Aktienmarkt-Ge­wichtungen auch im Oktober nur kleine Positionen ein. Besonders in Eu­ropa und dem Pazifikraum gleichen sich Über- und Untergewichtungen einzelner Aktienmärkte weitgehend aus. In Nordamerika bleiben wir netto übergewichtet. Der starken Performance in China wird aktuell durch eine kleine Long-Position in Hongkong Rechnung getragen. Für die Schwellenländer insgesamt bleiben wir jedoch vorerst negativ.

Für den Oktober haben wir aktuell keine expliziten Sektorpositionen.

Strategische Asset Allocation

Aktien
In Q1 2024 erfolgte eine modell-getriebene Aufstockung bei Euro-Aktien. Anfang März haben wir bei Euro-Aktien und japani­schen Aktien Gewinne mitgenom­men und im Gegenzug chinesische Aktien neu in das Portfolio aufgenommen.
Wir halten Positionen in europäi­schen Aktien, Emerging Markets Aktien und japanischen Aktien. US-Aktien sind aus Bewertungsüber­legungen weiterhin unattraktiv.

Staatsanleihen
Wir haben bei den Staatsanlei­hen in den letzten 2 Jahren auf­grund der deutlich attraktiveren Ertragsaussichten markant zugekauft (letzter Zukauf im April 2024).
Nach den deutlichen Rendite­rückgängen in den letzten Mona­ten haben wir im August das Zinsriko auf ein neutrales Niveau zurückgenommen.

Unternehmens- & EM-Anleihen
Nach deutlichen Spreadeinen­gungen in den letzten Monaten haben wir Anfang März Unter­nehmensanleihen (IG und HY), italienische Staatsanleihen und Emerging Markets Hartwäh­rungsanleihen reduziert. Ende Juni haben wir bei französischen Staatsanleihen zugekauft.
Bei Emerging Markets Währun­gen haben wir 2023 in mehreren Schritten Gewinne mitgenommen.

Reale Assets
In den letzten Monaten wur­den die Inflationserwartungen auf Sicht der nächsten Jahre deutlich zurückgenommen. Wir haben daher im August unsere Position in inflationsgeschütz­ten Anleihen aufgestockt. Im Bereich der Rohstoffe (Positio­nen über Derivate auf Rohstoff­indizes) haben wir die tieferen Niveaus bei Industriemetallen für eine Aufstockung genutzt.

Taktische Asset Allocation Oktober

  • Wirtschaft: Wirtschaftsdaten mehrheitlich schwächer, Verbesserung in den USA; Inflationsrückgang fort­gesetzt, verstärkter Fokus der Fed auf Arbeitsmarkt; Nach Fed-Zinssenkung weitere Senkungen heuer da­tenabhängig
  • Unternehmen: Aktuell wieder etwas mehr negative Revisionen der Analystenschätzungen; Für Q3/24 in den USA deutlich weniger Gewinnwachstum erwartet als in Q2; Ausblick auf Q4/24 und Folgequartale in Richtung 2025 bleibt klar positiv
  • Stimmung: Stimmung und Positionierungen im Gegensatz zu eskalierender Geopolitik; S&P schafft neues Allzeithoch bei solider Marktbreite, Aufwärtstrend bestätigt; Sentiment und Trend auch am Rentenmarkt zunehmend positiv
  • Spezialthemen: Geldpolitik, Geopolitik und US-Wahlen
  • Positionierung: Aktien neutral (unverändert); Ausge­wogene Ertrags-Risiko-Relation von globalen Aktien und Euro-Staatsanleihen
     

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