Raiffeisen Capital Management "Märkte unter uns" August 2020

Der Markt

In der letzten Juliwoche wurden für die meisten Länder die ersten Schätzungen für das Wirtschaftswachstum des zweiten Quartals veröffentlicht. Aufgrund des Lockdowns kam es zu einem massiven Einbruch der Wirtschaft, in vielen Ländern dem stärksten seit Beginn der Aufzeichnungen. Vor dem Hintergrund dieser dramatisch schlechten Wirtschaftsentwicklung rufen die Entwicklungen an den Finanzmärkten bei vielen Beobachtern Unverständnis hervor. Immerhin liegen globale Aktien in Lokalwährung bereits wieder auf dem Niveau des Jahresbeginns, fast so als ob nichts geschehen wäre. Viele Begründungen für diese Diskrepanz wurden an dieser Stelle in den letzten Monaten bereits diskutiert, allen voran die Maßnahmen der Notenbanken und Regierungen sowie die Hoffnung auf eine rasche Erholung der Wirtschaft, die aktuell durch so manchen Vorlaufindikator geschürt werden.

Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Verengung des Marktes auf wenige Titel aus den Bereichen Technologie, Internet oder Kommunikation. Ohne die Performancebeiträge der großen Vier (Amazon, Apple, Microsoft, Google) würde der S&P500-Index seit Jahresbeginn kein leichtes Plus aufweisen, sondern wäre rund 4 % im Minus. Der Börsenwert dieser Unternehmen liegt aktuell bei 5,8 Billionen US-Dollar und damit so hoch, wie der Gesamtwert der 350 „kleinsten“ Unternehmen in diesem Index. Die Bezeichnung „der Markt“ als Synonym für eine repräsentative Entwicklung ist daher nicht mehr zutreffend. Zusätzlich ist eine derartige Konzentration als Warnzeichen zu sehen, weil sie auf eine Überhitzung der Investorenstimmung und auf eine einseitige Positionierung der Anleger hindeutet. Dies ist einer der Gründe, warum wir taktisch vorsichtig bleiben.

Immerhin liegen globale Aktien in Lokalwährung bereits wieder auf dem Niveau des Jahresbeginns, fast so als ob nichts geschehen wäre.

Rentenmärkte: Neue Stabilität

Die globalen Notenbanken leisten ganze Arbeit, folglich ist es an den Märkten recht ruhig geworden, eine gewünschte Stabilität? So weisen die Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen seit Monaten kaum Schwankungen auf. Ist das bereits ein Anzeichen der vieldiskutierten Renditesteuerung der – von dieser noch verneinten – US Notenbank, wie es etwa die Bank of Japan erfolgreich praktiziert? Auch deutsche Staatsanleihen, die europäische Benchmark für „sichere“ Anleiheveranlagungen, verlaufen seit den Schwankungen im März nur seitwärts. Allerdings können die Anleihen der Euro-Peripherie und Unternehmensanleihen in den letzten Wochen und Monaten eine recht gute Wertentwicklung aufweisen. Ebenso holen High-Yield- und Emerging-Market- Anleihen weiter auf, wenn da nicht die Währung wäre: Die in den letzten zwei Monaten schwächere Performance von US-Anleihen oder Emerging Markets in Lokalwährung ist nahezu ausschließlich dem wieder stärkeren Euro geschuldet, der daraus resultierende Abschlag für US-Titel lag folglich im letzten Monat bei 5 %.

Aktien: Sehr optimistische Marktstimmung

Die erstaunlich rasche, v-förmige Erholung mancher Konjunktur-Vorlaufindikatoren hat eine recht positive Wirkung am Aktienmarkt hinterlassen, trotz täglich berichteter neuer Höchststände bei den globalen COVID- 19-Infektionszahlen. Die Entwicklung an den Aktienmärkten selbst weist zwar keine klare V-Form auf, sie ist dennoch beeindruckend. Und die Zentralbanken leisten einen wesentlichen Beitrag, dass die Lage so bleiben kann. Das Technologie-Segment erreicht immer wieder neue Höchststände, aber auch der „breite Markt“, wie in den USA etwa durch den S&P500 Index repräsentiert, ist seit Jahresbeginn wieder im Plus. In aller Stille hat sich auch der DAX Index, eher ein Repräsentant der „Old Economy“, wieder weit nach oben bewegt. Lediglich die Emerging Markets aus Lateinamerika bzw. Russland, damit auch Osteuropa, bleiben unter Druck. Das reflektiert auch die Einschätzung der dort schleppenden Bewältigung der COVID-19-Krise, eine Einschätzung, die andererseits für die ebenfalls schwer getroffene US-Region sehr optimistisch ist.

Rohstoffe und Währungen: Es kommt wieder Bewegung auf

Die Erholung der Rohstoffpreise hält weiter an, wenn auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die im ersten Quartal heftig gebeutelten Energiepreise erholten sich seit April etwas und blieben zuletzt recht stabil, wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Wesentlich besser ergeht es den konjunktursensiblen Industriemetallen, sie holen weiter auf und sind dem Niveau vom Jahresbeginn schon wieder nahegekommen. Am besten schneiden derzeit die Edelmetalle ab, der Goldpreis handelt bei Höchstständen, Silber stieg in den letzten drei Monaten um fast 60 %, dennoch bleibt noch viel Platz zu den alten Höchstständen. Bewegung ist auch am Devisenmarkt aufgekommen. Nach langer Stabilität ging der Euro im letzten Monat gegen die anderen Weltwährungen fester, in erster Linie gegen den Dollar mit rund 5 % im letzten Monat. Entsprechend gaben jüngst die Emerging-Market-Währungen etwa in diesem Ausmaß nach. Lediglich Währungen, die bereits massiv verloren haben, wie Real oder Rand, konnten ihr schwaches Niveau zuletzt halten.

Globale Konjunktur: Reality Check steht an!

Wie sehr die Ökonomen und Analysten im Zuge der Corona-Krise im Dunkeln tappen, zeigt sich anhand der Abweichungen von den Ist-Werten zu den jeweiligen Konsensus-Erwartungen im Bereich der Konjunkturdaten. Sowohl im Bereich der auf Umfragen basierenden Frühindikatoren für die Wirtschaftsentwicklung, als auch bei den Unternehmens-Quartalsberichten wurden die Analystenschätzungen mehrheitlich, oft sogar deutlich, übertroffen. Schlug das Pendel zunächst dramatisch nach unten aus, weil viele Wirtschaftsindikatoren infolge des Lockdowns deutlich schwächer ausfielen als zunächst noch angenommen, so überwogen zuletzt – insbesondere in den USA und auch in Europa – die positiven Überraschungen, siehe dazu auch die nebenstehende Grafik. In den USA wurde überhaupt ein Rekordwert hinsichtlich der positiven Abweichungen verzeichnet, trotz steigender Infektionszahlen, politischer Unruhen und Proteste. Viele Ökonomen gehen jedenfalls davon aus, dass zumindest in Europa und den USA wirtschaftlich das Schlimmste hinter uns liegt.

Geld-/Kapitalmarkt: Zentralbanken steuern den Markt

Die US-Notenbank hat bei ihrer Sitzung Ende Juli bekräftigt, dass sie die gesamte Palette der ihr zur Verfügung stehenden Mittel, nutzen wird, um die US-Wirtschaft zu stützen. Deren Pfad wird laut Fed signifikant von der Entwicklung der Corona-Krise abhängen, die aktuell Wirtschaftsaktivität, Beschäftigungssituation und Inflation stark belastet. Der Leitzins wurde zuletzt wie erwartet in der Bandbreite von 0 % bis 0,25 % beibehalten und Zinsanhebungen sind auf absehbare, durchaus längere Zeit nicht zu erwarten. Auch ein Blick auf länger laufende Zinsen zeigt die nun schon seit Monaten anhaltende Stabilität. In Europa hat die Europäische Zentralbank den Leitzins ebenfalls unverändert gelassen und behält ihr Anleihen-Kaufprogramm unverändert bei. Also wenig Neues von der EZB, deren Chefin Christine Lagarde zuletzt meinte: „Wir sind gut unterwegs.“ Die am EUGipfel mühsam vereinbarten Hilfspakete zur Corona- Krise wurden ebenfalls vorerst positiv vom Markt aufgenommen.

Staats- und Unternehmensanleihen: Zurück zur Normalität?

Die schon erwähnten EU-Hilfspakete dürften – vorbehaltlich einer Ratifizierung – die Renditeabstände der Euro-Staatsanleihen weiter schmelzen lassen. Ein erster Schritt in Richtung einer Fiskalunion? Dementsprechend bevorzugen wir am europäischen Staatsanleihenmarkt nach wie vor Peripherieanleihen gegenüber europäischen Kernländern (wie Deutschland), zudem behalten wir unser Übergewicht von US- und UK-Staatsanleihen bei. In der Historie der Corporate Bond Märkte (Unternehmensanleihen) von Euro und US-Dollar zählt der Monat Juli, absolut wie auch relativ (Renditeabstände), zu den performance-stärksten Monaten überhaupt, das war auch heuer im Juli der Fall. Neben diesem saisonalen Effekt profitierten Corporate Bonds von einer allgemeinen wirtschaftlichen Erholung sowie geld- und fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen. Die vor wenigen Monaten noch vorherrschenden hohen Ausfallsängste sind mittlerweile deutlich gesunken. Wir behalten das Übergewicht an Euro-Unternehmensanleihen und US-Dollar-High-Yield-Anleihen bei.

Aktien USA und Europa: Starke Märkte trotz schwacher Daten

Die internationalen Aktienmärkte präsentieren sich angesichts der Nachrichtenlage weiterhin überraschend fest. Die Unternehmensgewinne sind bereits im ersten Quartal deutlich eingebrochen und im Zuge der laufenden Berichtssaison zum zweiten Quartal geht es weiter bergab. Allerdings gibt es zwei Lichtblicke, denn zum einen berichtet bis dato eine deutlich überwiegende Mehrheit der Unternehmen bessere Ergebnisse als befürchtet, das liegt natürlich auch an der recht tiefen Messlatte, also bereits stark nach unten revidierten Prognosen. Zum anderen sollte das zweite Quartal den Tiefpunkt bei der negativen Gewinnentwicklung darstellen. Wenn sich tatsächlich ab dem dritten Quartal eine nachhaltige Trendwende in Richtung positives Gewinnwachstum auf breiter Front abzeichnet, wäre einerseits Entwarnung gegeben und andererseits das gegenwärtige Kursniveau bei den Aktien besser unterstützt. Wir sehen kurzfristig dennoch viel Zuversicht eingepreist und sind daher weiterhin noch etwas vorsichtiger positioniert.

Emerging Markets: Attraktiv durch schwachen US-Dollar

Die wichtigste Region der Emerging Markets, nämlich Asien, ist global gesehen bisher am besten durch die Krise gekommen. Die Gesundheitsmaßnahmen haben dazu geführt, dass man wohl dort am ehesten von einer v-förmigen Erholung sprechen könnte. In Asien kommt es folglich zu einem vergleichsweise geringen Rückgang bei der Gewinnentwicklung, hingegen sind in Lateinamerika und Osteuropa dramatische Gewinneinbrüche zu verzeichnen. Da ein beträchtlicher Teil der Verschuldung zahlreicher Emerging Markets in US-Dollar denominiert ist, erleichtert dessen Schwäche es diesen Staaten, ihre Schulden zu bedienen bzw. zurückzubezahlen. Dies führt in einer solchen US-Dollar-Schwächephase üblicherweise zu einer relativen Outperformance von Aktien aus den Emerging Markets. Wir beurteilen auch Emerging-Market-Anleihen trotz der kräftig gesunkenen Risikoprämien weiterhin als attraktiv. Hartwährungsanleihen aus Emerging Markets bleiben für uns unverändert eine der attraktiveren Anleiheklassen.


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