Raiffeisen Capital Management "Märkte unter uns" Juli 2022
Grundsätzlich ist jede Berichtssaison spannend und für den weiteren Marktverlauf mitentscheidend. Der ab Mitte Juli beginnenden Berichtssaison über das zweite Quartal 2022 könnte jedoch besondere Aufmerksamkeit zukommen, denn bis dato zeigen sich die Unternehmen von den bereits länger eingetrübten Makro-Frühindikatoren nahezu unbeeindruckt. In der letzten Gewinnberichtssaison wurden zwar negative Inflationseffekte seitens der Unternehmen schon verstärkt thematisiert und erstmals leicht rückläufige Gewinnmargen berichtet, allerdings überwogen immer noch die positiven Überraschungen in Relation zu den Analystenschätzungen. Erwartungsgemäß wird das zweite Quartal die geringste Gewinnwachstumsrate seit über einem Jahr hervorbringen. Aber es werden eben immer noch Zuwächse bei Umsätzen und auch bei Gewinnen erwartet und zwar nicht nur für das abgelaufene Quartal, sondern auch für die Folgequartale. Und dies in einer Zeit, in der die Diskussion über eine absehbare Rezession infolge der bekannten Herausforderungen und Unabwägbarkeiten an Intensität deutlich zugenommen hat. Dementsprechend ist der Fokus der Marktteilnehmer in den nächsten Wochen wohl noch stärker als gewöhnlich darauf gerichtet, ob die Unternehmen trotz erschwerter Rahmenbedingungen diesen immer noch optimistischen Erwartungen gerecht werden können. Im Vorfeld gab es zwar vereinzelte Gewinnwarnungen von Firmenchefs, insgesamt sind jedoch noch keine Anzeichen für eine Gewinnrezession auf breiter Front zu erkennen. Daher könnte die Berichtssaison dem Aktienmarkt ein weiteres Mal eine zumindest temporäre Unterstützung bieten. Sollten jedoch die Berichte und/oder die Ausblicke enttäuschen, wird sich der Bärenmarkt wohl ungebremst fortsetzen. Wir sind vorsichtig positioniert und bleiben bei Aktien weiter untergewichtet.
Marktumfeld Anleihenmärkte
Anleihemarkt: Massive Ausschläge im Juni
Auch der Juni brachte für fast alle Anleihemärkte weitere Kursrückgänge. Das Minus seit Jahresbeginn beläuft sich für viele Anleiheklassen damit bereits auf deutlich mehr als 10 %. Kursrückgänge, wie man sie sonst eher von Aktienmärkten kennt. Und wie sie in dieser Heftigkeit nur alle paar Jahrzehnte zu beobachten sind – so selten sind (zum Glück) derartig steile und weitreichende Renditeanstiege. Wobei das Minus für Juni die tatsächliche Volatilität während des Monats sogar noch massiv unterzeichnet: So schossen die Renditen zehnjähriger deutscher Staatsanleihen bis Mitte Juni auf 1,75 %, bevor sie bis Ende Juni wieder auf rund 1,25 % zurückgingen. Im Fall von Italien sogar auf rund 4,3 % (und retour auf 3,2 %). Nur in den USA reichte der Renditerückgang gegen Monatsende, um den Renditeanstieg der ersten Monatshälfte wieder wettzumachen. Zusammen mit einem weiter aufwertenden US-Dollar waren damit US-Staatsanleihen die einzige Anleiheklasse mit einem Monatsplus.
Marktumfeld Aktienmärkte
Neuerlich schwache Börsen
Die schon seit Jahresbeginn zu beobachtende relative Outperformance des chinesischen Aktienmarktes (dieser hatte seinen großen Einbruch ja schon 2021) reichte im Juni sogar für einen absoluten Kurszuwachs und machte China im vergangenen Monat zur einzigen größeren Börse mit relevantem Kursplus. Ansonsten lag die Monatsperformance fast aller Börsen auch im Juni einmal mehr kräftig im Minus. Wobei Börsen in Zentraleuropa die Verliererliste anführten, was mit der zunehmend gefährdeten Gasversorgung und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgeschäden in dieser Region zu tun haben dürfte. Wobei sich generell im Lauf des Monats die Gefühlslage der Investoren von Inflations- und Zinsängsten zunehmend einen Schritt weiter zu Rezessionsängsten verlagerte. Die meisten großen Indizes beendeten entsprechend den Monat nahe ihrer bisherigen Jahrestiefs. Die besonders von Technologie- und Wachstumsaktien (dem Epizentrum des heurigen Aktienmarkteinbruchs) dominierten US-Börsen fielen sogar deutlich unter die bisherigen Jahrestiefs.
Marktumfeld Rohstoffe und Währungen
Rubel-Aufwertung immer extremer
Auch am Rohstoffmarkt begannen in der zweiten Juni-Hälfte zunehmend Rezessionsängste die Kurse zu beeinflussen: Von den drei großen Rohstoffklassen ist inzwischen nur mehr Energie seit Jahresbeginn relevant im Plus (allerdings mit rund + 70 % (!) immer noch massiv genug, um die Inflationsrate auf Rekordniveaus zu halten). Selbst der Ölpreis musste von rund 120 zur Monatsmitte auf rund 110 US-Dollar zum Monatsende Federn lassen. Besonders heftig haben die Konjunktursorgen aber wie üblich die Industriemetalle getroffen, die inzwischen in vielen Fällen ihre Jahresgewinne wieder abgegeben haben (Kupfer ist z. B. auf dem tiefsten Stand seit Februar 2021). Erstaunlich ist, dass auch der Goldpreis von den zunehmenden Konjunkturängsten nicht profitieren konnte, und weiterhin auf Niveaus wie vor dem Ukrainekrieg handelt. Die anhaltend hohen (US-)Zinserwartungen scheinen hier nach wie vor die Kursfantasie zu deckeln. Währungsseitig gab es eine weitere leichte US-Dollar-Aufwertung zum Euro, und (mangels Aussicht auf Zinsanhebungen) einen beeindruckend schwachen Yen. Eine überraschend frühe Zinsanhebung ließ auch den Schweizer Franken aufwerten. Und die größte Aufwertung verbuchte einmal mehr der Rubel (im Spannungsfeld hoher Rohstoff-Erlöse und Kapitalverkehrskontrollen, die den Kapitalabfluss verhindern).
Ausblick – Globale Wirtschaft
Konjunkturabschwächung nimmt Fahrt auf
Die wichtigsten Vorlaufindikatoren schwächten sich im Juni weiter ab – eine Trendwende ist hier nicht absehbar. Im Industriebreich ist in einigen Ländern (z. B. Deutschland) bereits von sinkender Produktion auszugehen. Der größere Dienstleistungsbereich profitiert dagegen noch von einer Post-Corona Erholung. Aber auch hier nimmt die Dynamik durch den einkommenssenkenden Effekt der hohen Energiepreise ab. Einzig China hat nach wie vor einen verschobenen Konjunkturzyklus, hier erholt sich die Produktion mit Ende der jüngsten Lockdowns kräftig. Aktuell verbessert sich global die Lieferkettenproblematik deutlich. Es ist aber zu befürchten, dass in vielen Ländern (insb. USA) das stark steigende Zinsniveau der nächste Bremsfaktor wird. Derzeit ist eine US-Rezession (auch 2023) nicht das wahrscheinlichste Szenario. Weit größer ist das Rezessionsrisiko für die nächsten Quartale dagegen in der Eurozone: Ein Erdgas-Stopp, würde eine solche Entwicklung fast unvermeidbar machen. Das Risiko dafür ist in den letzten Wochen noch einmal deutlich angestiegen.
Ausblick – Inflation und Notenbanken
Erste EZB-Zinsanhebung seit Juli 2011
Getrieben von anhaltend starken Energiepreisanstiegen erreichten die Inflationsraten im Juni weltweit neue Hochs. Mit 8,6 % p. a. hat die Eurozone die USA inzwischen eingeholt, wobei die Euro-Kerninflation mit 3,7 % nach wie vor deutlich tiefer liegt. Während sich die Lieferkettenprobleme global stark verbessert haben und der Ölpreis zuletzt nicht weiter gestiegen ist, dürften Energieengpässe in Europa den Preisdruck noch länger hochhalten. Entsprechend startet die EZB im Juli mit der ersten Zinsanhebung, weitere werden bis Jahresende folgen: Bis nächstes Jahr preist die Euro-Zinskurve inzwischen bereits ein Leitzinshoch von rund 2 %! Angesichts der deutlichen Konjunkturabkühlung und eines wachsenden Rezessionsrisikos für Europa sind wir skeptisch, dass dieses Niveau 2023 erreicht wird. In den USA sind die Leitzinsanhebungen dagegen in voller Fahrt: Ende Juli dürfte der nächste Schritt auf 2,5 % folgen – weitere Zinsanhebungen auf fast 4 % für 2023 sind am Zinsmarkt bereits gepreist.
Ausblick – Anleihenmärkte
Anleihemarkt: Ende der Kursrückgänge?
Der starke Anstieg der Leitzinserwartungen und damit auch der Anleiherenditen im ersten Halbjahr hat für einige Anleiheklassen inzwischen recht interessante Renditeniveaus gebracht. Sollte sich die Konjunktur weiter abschwächen und die Inflationsrate wie erwartet nach unten drehen, bietet das neben einer vernünftigen Rendite auch die Chance von Kurserholungen. Wir bleiben dementsprechend deutlich übergewichtet im Bereich Unternehmensanleihen. Innerhalb dieses Segments ändern wir den Fokus aber auf Emittenten besserer Bonität (IG), inklusive Finanzunternehmen, zulasten von High-Yield-Emittenten. Denn letztere wären gerade im Fall einer Rezession deutlich negativer betroffen. Länderseitig haben wir neu eine Übergewichtung Staatsanleihen USA gegenüber Deutschland (im Vormonat genau umgekehrt) und eine taktische Übergewichtung von Italien gegenüber Deutschland und Frankreich.
Ausblick – Aktienmärkte global
Bisherige Aktienmarktuntergewichtung weiterhin aktuell
Nach dem weiteren Börsenrückgang im Juni ist die Investorenstimmung inzwischen extrem negativ (Kontra-Indikator!). Das führte historisch oft zu kurzfristigen Erholungsbewegungen. Positiv ist auch zu vermerken, dass die Zinserwartungen inzwischen bereits sehr hoch sind und zunehmend auch am Aktienmarkt eingepreist sein sollten. Inzwischen gilt die Hauptsorge der sich abschwächenden Konjunktur, hier erwarten wir in den nächsten Monaten noch eine deutliche Verschlechterung. Sowohl bei den Konjunkturvorlaufindikatoren als auch bei den aus unserer Sicht zu hohen Gewinnerwartungen für die globalen Unternehmen. Von dieser Seite drohen noch weitere Kursrückgänge für die Aktienmärkte. Wir bleiben dementsprechend kurzfristig weiterhin Aktienmärkte untergewichtet. Auf Jahressicht sehen wir Erholungspotenzial für praktisch alle Aktienmärkte, zumal diese inzwischen auch großteils attraktiv bewertet sind; für eine Änderung unserer kurzfristigen Untergewichtung würden wir aber gerne eine nachhaltige Trendwende bei der Inflation (und damit auch eine Trendumkehr bei den Zinserwartungen) sehen, sowie eine absehbare Bodenbildung bei Konjunkturvorlaufindikatoren und Gewinnschätzungen.
Ausblick – Aktienmärkte regional
Selektive Über- und Untergewichtungen
Innerhalb der Aktienmärkte behalten wir auf Länderebene unsere Ausrichtung im Wesentlichen bei: Wir setzen tendenziell auf eine Gegenbewegung bei aktuellen relativen Trends und auf Märkte, die zuletzt relativ bessere Gewinnrevisionen aufweisen. Auf Bewertungsebene favorisieren wir aber jetzt eher billigere Märkte. Auf einzelne Regionen heruntergebrochen bedeutet das: wir drehen Nordamerika von Übergewicht auf Untergewicht, bleiben Europa übergewichtet und Pazifik untergewichtet. Emerging Markets (EM) drehen wir von einem Untergewicht auf Übergewicht. Hier ist China der größte Teilmarkt, wo der derzeit für den Westen befürchtete Konjunktureinbruch bereits letztes Jahr stattgefunden hat. Das sorgte 2021 für eine massive Underperformance der EM. Inzwischen hat sich aber in China die Konjunktur stabilisiert, die Wirtschaftspolitik ist bereits expansiv und die Angst vor Staatseingriffen bei großen Unternehmen scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Auf Branchenebene sehen wir zyklischen Konsum in naher Zukunft sehr skeptisch und haben in diesem Sektor eine Untergewichtung, u. a. gegen defensiven Konsum.
Strategische Asset Allocation
Aktien
Unser Aktienmodell hat im November letzten Jahres ein Kaufsignal für EUR-Aktien geliefert. Im Gegenzug haben wir unsere Position in US-Value-Aktien abgebaut. Die schwachen Kurse Ende Februar haben wir genutzt um bei japanischen und EUR-Aktien aufzustocken. In Summe haben wir dadurch die Aktienquote auf rund 27 % angehoben.
Staatsanleihen
Wir haben die starken Renditeanstieg bis Mitte Juni genutzt um unsere Zinsabsicherungen bei EUR-Unternehmens-Anleihen teilweise aufzulösen. Dennoch favorisieren wir aber nach wie vor Non-EUR Staatsanleihen und haben zuletzt bei australischen 10jährigen Laufzeiten zugekauft. In Summe bleiben wir aber bei einer deutlich unterdurchschnittlichen Positionierung.
Unternehmens- & EM-Anleihen
Im Mai sind wir eine erste Position bei italienischen Staatsanleihen eingegangen, die wir Mitte Juni (bei Renditeniveaus von rund 4,2 % im 10jährigen Laufzeitenbereich) aufgestockt haben. Die Risikoaufschläge bei EUR Unternehmens-Anleihen haben in der ersten Juliwoche Niveaus erreicht, die eine höhere Gewichtung rechtfertigen. Demgemäß haben wir hier auf eine überdurchschnittliche Position aufgestockt.
Reale Assets
Wir haben die starke Performance bei inflationssensitiven Assets (durationsgehedgte Inflations-Schutzanleihen, zyklische Rohstoffe, inflationssensitive Aktien und Währungen) im Laufe des H1 2022 genutzt, um die Position weiter zu verringern. Dadurch wurde die Position in diesem Thema auf eine unterdurchschnittliche reduziert.
Taktische Asset Allocation Juli
- Wirtschaft: Erhöhte Rezessionswahrscheinlichkeit laut Frühindikatoren; Erste Anzeichen für Überschreiten des Inflationshochs in USA; Fokus der Notenbanken auf Inflation, solange Arbeitsmarkt fest bleibt
- Unternehmen: Unternehmensergebnisse bis dato (noch) stabil, aber erste „Warnungen“; Berichtssaison für Q2 als Wegweiser für Gewinnentwicklung und Margen – Gefahr deutlicher Abwärtsrevisionen des Ausblicks
- Anlegerstimmung: Wieder Extreme bei Sentiment-Indikatoren (Bull/Bär-Ratio u. a.); Investorenstimmung insgesamt schon deutlich angeschlagen; Positionierungen inzwischen ebenfalls sehr risikoscheu
- Markttechnik: Negativ, fallender Trend; Tage-/ Wochenweise Gegenbewegungen ändern daran nichts
- Themen: Notenbanken: Zinswende (und dadurch wachsende Rezessionsgefahr USA); Geopolitik (Krieg in der Ukraine): mehr Inflation, weniger Wachstum; Drohende Gaskrise Europa
- Positionierung: Aktien Untergewichtung (2 Schritte) vs. Euro-Geldmarkt bleibt
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