Franklin Templeton - Aktuelles vom 31.05.2022
Nach Meinung von Sonal Desai, Chief Investment Officer von Franklin Templeton Fixed Income, beruht der Plan zur Bekämpfung der Inflation auf zwei wackeligen Annahmen.
Die Inflation hat den höchsten Stand seit 40 Jahren erreicht, was die Politik vor größte Herausforderungen stellt. Dennoch hofft die US-Notenbank (Federal Reserve, Fed) weiterhin, die Situation mit einer einfachen Lösung bereinigen zu können: Sie hebt ihren Leitzins auf nahezu 3 % an, sodass die Inflation auf ihr Ziel von 2 % zurückkehrt, während die angebotsseitigen Schocks allmählich abklingen. Eine drastische Straffung der Geldpolitik nach dem Vorbild von Paul Volcker ist ihrer Meinung nach nicht erforderlich. Es sollte keine Notwendigkeit bestehen, eine Rezession zu riskieren oder einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit auszulösen.
Diese Hoffnung ruht auf zwei wackeligen Annahmen. Erstens beharrt sie darauf, dass der neutrale Zinssatz zwischen 2 % und 3 % liegt. (Der neutrale Zinssatz ist definiert als der Zinssatz, bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch kontraktiv wirkt, wenn die Inflation das von der Fed angestrebte Ziel von 2 % erreicht und in der Wirtschaft Vollbeschäftigung herrscht.) Dies impliziert, dass real, d. h. abzüglich der Inflation, der neutrale Zinssatz bei zwischen 0 % und 1 % liegt.
Allerdings könnte diese Annahme weit daneben liegen. Nach Schätzungen der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Laubach und John C. Williams lag der reale neutrale Zinssatz in den 1990er und 2000er Jahren im Durchschnitt bei etwa 2,5 %, bevor er nach der Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 auf einen Bereich von 0 % bis 1 % sank.1 Dieser Rückgang könnte möglicherweise auf ein geringeres Produktivitätswachstum in den USA sowie auf eine höhere Nachfrage nach sicheren Finanzanlagen zurückzuführen zu. Allerdings hat sich das Produktivitätswachstum wieder erholt und lag im Zeitraum 2019 bis 2021 bei durchschnittlich 2,4 %, was auch dem Durchschnitt der Jahre 1991-2007 entspricht.2
Weiterhin hat die Fed selbst zugegeben, dass die quantitative Lockerung nun ein Ende finden wird. Dadurch verringert sich die Nachfrage nach sicheren Anlagen. Somit könnte der reale neutrale Zinssatz deutlich höher sein als von der Fed angenommen – eher im Bereich zwischen 2 % und 3 % als zwischen 0 % und 1 %. Sobald die Inflation auf 2 % zurückgeht, sollte der nominale neutrale Zinssatz bei 4-5 % liegen und nicht bei den von der Fed angestrebten 2-3 %. (Und bis die Inflation bei 2 % angelangt ist, dürfte es noch eine ganze Weile dauern.) Wenn dies der Fall ist, würde die langfristig angestrebte Politik der Fed immer noch expansiv wirken. Das aktuelle Inflationsproblem wurde teilweise dadurch verursacht, dass die Fed ihre Geldpolitik zu lange zu locker gehalten hat. Wird eine expansive Politik beibehalten, so erscheint es wahrscheinlicher, dass sich die Inflation auf einem erhöhten Niveau festsetzt, als dass sie auf den Zielwert zurückkehrt.
Die zweite wackelige Annahme der Fed ist, dass die Inflationserwartungen nach wie vor fest verankert sind und dass es keinerlei Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale gibt. Demnach kehrt das Preiswachstum zu einem „gesunden“ Tempo zurück, sobald die exogenen Schocks abgeklungen sind. Doch vieles deutet schon jetzt in die entgegengesetzte Richtung. Auch wenn die Löhne nicht mit der steigenden Inflation Schritt gehalten haben, so steigen sie doch mit etwa 4-5 % so schnell wie seit 40 Jahren nicht mehr.3 Die Arbeitgeber sehen sich mit einem anhaltenden Arbeitskräftemangel auf einer extrem angespannten Marktlage konfrontiert – da können sich neue Mitarbeiter erhebliche Lohnaufschläge sichern. Unternehmen wiederum reagieren auf steigende Lohn- und Inputkosten, indem sie ihre Preissetzungsmacht aggressiver ausüben.
Immer mehr Umfragen deuten darauf hin, dass die Inflationserwartungen gestiegen sind. Sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen sind sich darüber im Klaren, dass die jüngste Inflation durch vorübergehende Angebotsschocks verschärft wurde, und sie erwarten nicht, dass die Inflation bei 8-9 % bleibt. Aber sie gehen davon aus, dass sie in den nächsten drei Jahren eher bei 4 % als bei 2 % liegen wird. Mit anderen Worten: Die Inflationserwartungen haben sich schon jetzt auf einem höheren Niveau eingependelt. Je länger die Inflation erhöht bleibt, desto mehr werden sie sich verfestigen und selbst tragen. Das Abklingen der Angebotsschocks wird dann nicht ausreichen, um die Inflation wieder auf 2 % zurückzubringen.
Sollten sich diese Prämissen als richtig erweisen, könnten die derzeitige Ausrichtung und die Aussagen der Fed ihrer Glaubwürdigkeit schaden – was wiederum Auswirkungen auf die Inflationserwartungen haben könnte. Die Finanzmärkte gehen schon jetzt davon aus, dass dieser Zinserhöhungszyklus gemäßigt und kurz sein wird. Sie rechnen damit, dass die Fed ihre Geldpolitik – wie schon in den letzten Jahrzehnten – sofort wieder lockern wird, sobald das Wirtschaftswachstum nachlässt. In Zeiten niedriger Inflation mag dies als relativ kostengünstige Maßnahme erschienen sein. Aber das ist nicht mehr der Fall. Die Fed hat ihre Politik zu locker gehalten, während die amerikanische Wirtschaft im Anschluss an die pandemiebedingten Schließungen wieder auf Touren kam und dabei von massiven fiskalpolitischen Konjunkturmaßnahmen angekurbelt wurde.
Nun muss sie ihre Geldpolitik entschlossen straffen, da der Gleichgewichtszins aller Wahrscheinlichkeit nach höher ist, als sie denkt, und der Leitzins über dieses Niveau hinaus steigen muss, um die Inflation – und damit auch die Inflationserwartungen – wieder auf das Zielniveau zu bringen. Die Fed muss all dies transparent vermitteln und ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen, indem sie einen wahrhaft restriktiven geldpolitischen Kurs einschlägt. Geschieht dies nicht, wird die hohe Inflation anhalten. Dadurch werden die Inflationserwartungen weiter steigen, so dass eine tiefere Rezession der einzig gangbare Weg für eine Rückkehr zu Preisstabilität wäre.
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Fußnoten
1Quelle: Federal Reserve Bank of New York, Laubach und Williams. 2003. „Measuring the Natural Rate of Interest“, Review of Economics and Statistics 85, Nr. 4 (November): 1063-70.
2Quelle: Bureau of Labor Statistics. Vierteljährliche Veränderung in Prozent zur Jahresrate, saisonbereinigt. Stand: 1. Quartal 2022.
3Quelle: Bureau of Labor Statistics. Stand: 1. Quartal 2022.