LFDE Marktkommentar vom 12.04.2023
Paris, 12. April 2023 – Das verarbeitende Gewerbe befindet sich bereits in einer Rezessionsdynamik, der Immobiliensektor schrumpft, das Bankensystem ist durch die Rückschläge bei den kleinen Regionalbanken destabilisiert, der reale Konsum stagniert und hält sich nur aufgrund der während der Lockdowns angesammelten Ersparnisse über Wasser: Auf vielen Ebenen ließ die amerikanische Wirtschaft in den vergangenen Monaten Anzeichen von Instabilität erkennen. Vor dem Hintergrund einer der schnellsten geldpolitischen Straffungen der Geschichte stieg die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Rezession sprunghaft an. Bis dahin trotzte allerdings eine letzte Bastion dem Sturm: der Arbeitsmarkt.
Ein nach wie vor starker Zuwachs neuer Stellen, ein historisches Ungleichgewicht zwischen nicht besetzten Stellen und Arbeitsuchenden, eine extrem niedrige Zahl an Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung – nichts schien den amerikanischen Arbeitsmarkt ins Wanken bringen zu können. Das ist bei genauerem Hinsehen nur logisch. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Wiederaufstockung der Mitarbeiterbestände nach der Pandemie könnten Unternehmen durchaus geneigt sein, Entlassungen wegen einer sich abschwächenden Konjunktur nach Möglichkeit zu vermeiden und dabei geringere Margen in Kauf zu nehmen, die ansonsten äußerst hoch sind.
US-Arbeitsmarkt in Bedrängnis: Anträge auf Arbeitslosenunterstützung steigen rasant
Diese Überlegung spielt wahrscheinlich nach wie vor eine Rolle, insbesondere in denjenigen Sektoren, die von der Knappheit an Arbeitskräften besonders stark betroffenen sind. Dennoch deuten die jüngsten Zahlen zum amerikanischen Arbeitsmarkt alle in dieselbe Richtung: Auch dieser gerät zusehends in Bedrängnis. In fast einem Drittel der amerikanischen Bundesstaaten sind die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung in einem Jahr um über 25 % angestiegen. Ein solches Ausmaß wurde bisher außerhalb einer Rezession noch nie verzeichnet. Die Beschäftigungskomponenten der jüngsten Umfragen zur Lage im verarbeitenden Gewerbe lässt einen klaren Rückgang der Mitarbeiterbestände erkennen. Die Zahl der Entlassungen ist in den vergangenen Monaten auf 270.000 angestiegen. Die Coronakrise ausgenommen, ist dies der höchste Wert seit der Rezession von 2008–2009. Zwar fällt die Statistik des Bureau of Labor Statistics mit 236.000 neu geschaffenen Stellen immer noch solide aus, doch die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Privatsektor befindet sich auf dem niedrigsten Niveau seit zwei Jahren und die Lohninflation gibt deutlich nach.
Kann sich die US-Wirtschaft noch einer Rezession entziehen?
Der Trend geht also ganz offensichtlich in Richtung einer Verschlechterung. Auch wenn die absoluten Zahlen noch nicht alarmierend sind, ist angesichts der sehr ausgeprägten Flexibilität des Arbeitsmarktes Vorsicht geboten. Die Lage kann sich ebenso plötzlich wie heftig zuspitzen, wenngleich der Wendepunkt bereits überschritten ist. Sollte dies eintreten, fiele auch die letzte Bastion. Dies würde unweigerlich den Einbruch der amerikanischen Wirtschaft nach sich ziehen, die immer weniger in der Lage zu sein scheint, sich einer Rezession zu entziehen.
Die relativ gute Nachricht dabei ist, dass ein solches Szenario womöglich mit einer Disinflation einhergeht. Diese würde der Zentralbank mehr Handlungsspielraum geben und zugleich die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung bestätigen. Der Optimismus der vergangenen Monate bezüglich einer „sanften Landung“ hat einige Anleger vergessen lassen, dass es schier unmöglich ist, einer starken Inflation ein Ende zu setzen, ohne dabei eine Rezession auszulösen.
Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE
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