Loys Captial Kolumne vom 20.11.2018

Flucht aus Europa

Ganz im Gegensatz zu den Migrationsströmen der letzten Jahre sieht sich Eu­ropa seit Wochen einer Anlegerflucht entgegen.
Dafür gibt es viele Gründe und die meisten davon sind nicht neu.

Gleichwohl ist aber zuletzt ein Fass übergelaufen, das sich be­reits seit Jahren mit Problemen angefüllt hatte, bislang aber nicht überschwappte. Jetzt scheint es aber so zu liegen, dass eine Viel­zahl bekannter makroökonomi­scher Probleme und mehrerer Gewinnwarnungen- vor allem im Bereich US-amerikanischer Inter­netunternehmen - in Europa zu einer Baisse führt.

Getreu dem Motto "Viele Jäger sind des Hasen Tod"  könnte man sagen, die hohe Anzahl an Proble­men sei nun der seit März 2009 laufenden Börsenhausse Tod. Für den deutschen Aktienmarkt gilt diese Diagnose unzweifelhaft. Zur  gleichen  Zeit  sieht man  an der Weltleitbörse Wallstreet die aktuelle Börsensituation wesent­lich entspannter, nicht zuletzt auf­grund der deutlichen Unterneh­menssteuersenkungen und hoher Aktienrückkäufe in diesem Jahr.

Politische Elite hat keine Ahnung von marktwirtschaftlichen Anreizsystemen

Deutschland kann von Steuer­ und Abgabensenkungen indessen nur  träumen und es wird  täglich klarer, dass die fiskalischen Traumzeiten in der Bundesrepub­lik ihrem Ende entgegengehen.
Während nämlich die vorteilhaf­ten Impulse und Effekte aus der Agenda 2010 des Reformkanzlers Schröder langsam  auslaufen, be­eilen sich die Großkoalitionäre, nochmals das staatliche Füllhorn über ihre Klientel auszuschütten. Vom richtigen Prinzip des Rückla­genschaffens in guten Zeiten will in der Politik ohnehin kaum jemand etwas wissen. Und das unverdiente Glück eines dramatisch zusammengeschmolzenen jährli­chen Zinsaufwands im deutschen Staatshaushalt durch die kühne Negativzinspolitik der Europäi­schen Zentralbank (EZB) hat er­wartungsgemäß nur die Ausga­beimpulse der Regierenden ver­stärkt.

Am Euro, von dem es einst hieß, er werde stärker als die übereilt aus der Hand gegebene D-Mark werden, lässt sich die Malaise des alten Kontinents gut nachvoll­ziehen. Hatte noch der ehemalige Kommissionspräsident der Euro­päischen Union (EU) Jaques Barrosa die EU im Jahr 2020 zum leistungsfähigsten Wirtschafts­raum der Welt machen wollen, so lässt sich das Durchreichen Euro­pas nach unten nicht länger leug­nen. Gebeutelt von den höchsten Steuer- und Abgabenlasten welt­weit, überbordender Bürokratie und bedrohlicher Demographie hat die politische Elite kaum noch Ahnung von marktwirtschaftli­chen Anreizsystemen.

Der Rückfall in die Reformunfähigkeit alter Zeiten (Altkanzler Kohl und seine Schülerin Angela Merkel) ist mit Händen zu greifen. Ein Übriges haben die schwer­wiegenden Fehlentscheidungen des Expressatomausstiegs, der unbedingten Eurorettung und der Grenzöffnung getan. Dies sind Probleme, mit denen sich die Po­litik noch jahrelang  herumschla­gen wird, ohne Aussicht dass der entstandene Schaden noch gut zu machen wäre.

Anleger sind angespannt und bangen um die Zukunft

Zu den besonders ungünstigen Zeichen an der Börse zählen der­ zeit die negativen Kursreaktionen selbst bei positiven Unternehmensmeldungen. Wenn selbst Aktienkäufe von Unternehmensorganen zu negativen Kursreaktionen führen, dann lässt sich bei den Anlegern eine hohe emotionale Spannung diagnostizieren. Außerhalb der Börsenerfahrung liegt  dieser Befund nicht, denn die Baisse ist typischerweise durch einen allgemein werdenden Pessimismus gekennzeichnet. Die Nichtbeachtung positiver Unternehmensaussagen ist nachge­rade ein klares Indiz für die Baisse.

Aktienbörsen sind Seismogra­phen für die Befindlichkeiten der Wirtschaftssubjekte. Haupthandelsware auf dem Parkett ist stets das Vertrauen in die Zu­kunft. Um Selbiges ist es derzeit erkennbar nicht sonderlich gut bestellt Neben der traditionellen Aktienfeindlichkeit der deutschen Politik, die unter anderem dazu geführt hat dass der deutsche Aktienmarkt von Nichtinländern dominiert wird, kommen aktuell noch   hausgemachte Probleme wie das Diesel-Desaster hinzu.

Wer etwas Positives sucht der kann immerhin mit Befriedigung feststellen, dass viele Aktien auf dem deutschen Kurszettel inzwi­schen billig geworden sind.   
Da aber die Zinsen in Europa auf­grund der offenbaren Notwendig­keit einer fortdauernden Staatsfi­nanzierung durch die EZB extrem niedrig bleiben werden, dürfen sich hart gesottene Anleger eini­germaßen entspannt zurück­ lehnen.

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns