Alles transitorisch
Die Notenbanken offenbaren neuerdings auch philosophische Weisheiten. Zu der raschen Geldentwertung fiel den Offiziellen in Washington und Frankfurt ein, der Inflationssprung sei ´transitorisch´. Wahrlich, hier wird eine große philosophische Sentenz ausgesprochen. Sie entspricht ungefähr der legendären Beobachtung Goethes, der in Wilhelm Meisters Wanderjahren resümiert: „Alles veloziferisch“
In der Tat gibt es im Handlungskontinuum zwischen Nichtstun und Hyperaktivismus manche Zwischentöne. Die amerikanische Fed und die EZB der Euro-Zone haben sich für das verbal unterfütterte Nichtstun entschieden; immerhin eine klare Linie. Und im Übrigen ist die gemachte philosophische Beobachtung völlig richtig: Alles ist transitorisch! Man muss nur lange genug warten und die Verhältnisse werden sich schon irgendwie ändern. Arthur Schopenhauer hat dies in seinen Maximen zur Lebensweisheit so ausgedrückt: „Der Wechsel allein ist das Beständige“.
Weil wir schon bei der Notenbankphilosophie gelandet sind: Friedrich Hölderlin wusste nichts von Notenbanken, wohl aber von Philosophie. Zu den großen Beobachtungen des Poeten zählt der Satz: „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. Jedenfalls ist das Geld nun gerade nicht das Beständige. Es kommt und geht; man muss nur einmal die vielen Währungen, die es seit 1900 auf deutschem Boden gegeben hat, vor Augen führen.
Wenn also dasjenige, was bleibt, durch Dichter gestiftet wird, dann ist es gewiss in der guten Ordnung, zum Abschluss aus oben genannter Goethe-Quelle zu zitieren:
„Für das größte Unheil unserer Zeit, die nichts reif werden läßt, muß ich halten, daß man im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist, den Tag im Tage vertut und so immer aus der Hand in den Mund lebt, ohne irgend etwas vor sich zu bringen. Haben wir doch schon Blätter für sämtliche Tageszeiten! ein guter Kopf könnte wohl noch eins und das andere interkalieren. Dadurch wird alles, was ein jeder tut, treibt, dichtet, ja was er vorhat, ins Öffentliche geschleppt. Niemand darf sich freuen oder leiden als zum Zeitvertreib der übrigen; und so springt's von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, von Reich zu Reich und zuletzt von Weltteil zu Weltteil, alles veloziferisch.“
Beim Lesen dieser Zeilen könnte man meinen, der Dichterfürst habe die ubiquitäre Verbosität des Internetzeitalters vorhergesehen.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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