Skylla und Charybdis
Die politischen Entscheidungsträger vieler Länder sind in ein schweres Dilemma geraten. Sie haben unweigerlich zwischen zwei Malaisen zu entscheiden.
Solche Situationen sind nicht neu und im Übrigen das Signum einer veritablen Krise, wiewohl die Details jeder neuen Krise stets völlig verschieden sind. Zu Sinn kommt sogleich die homerische Geschichte von Odysseus, der in eine entsprechende Entscheidungssituation während seiner Heimfahrt nach Ithaka gerät. Vor die Wahl gestellt, ob er die Meerenge von Messina näher an der Seite des Felsens von Charybdis, dem Ungeheuer, das ganze Schiffe einsaugt und später ausspeit oder Skylla, dem sechsköpfigen menschenfressenden Ungeheuer, passieren soll, folgt er dem Rate der Kirke und schifft näher am Felsen der Skylla vorbei. Die Hundsköpfige greift sodann die Mannschaft des Odysseus an und verschlingt sechs seiner Gefährten. Odysseus überlebt, setzt seine Fahrt fort und erreicht schließlich die Heimat.
In den letzten Tagen war – grob gesagt - zu entscheiden zwischen Gesundheits- und Wirtschaftskollaps. Beide sind allerdings stark miteinander verwoben. Eine Viruspandemie hat schädigende Auswirkungen auf die Wirtschaft und eine Wirtschaftsdepression zieht gewiss negative Gesundheitsfolgen nach sich. Also muss entschieden werden, bei welcher Option der potentielle Schaden geringer ausfällt. Die Politik macht es sich zu einfach, wenn sie einmal mehr behauptet, die von ihr getroffenen Maßnahmen seien alternativlos. Man kennt solche Schutzbehauptungen aus der Euro-Rettungskrise und der Subprimekrise zur Genüge. Ich selbst neige zu der Einschätzung, dass der wirtschaftliche Schaden den Gesundheitsschaden weit überschreiten wird.
Angesichts des überwiegend milden Verlaufs von COVID-19 außerhalb der Risikogruppen wäre wohl zu überlegen, ob nicht eine Abschottung der Risikogruppen den vielerorts verhängten Ausgangssperren vorzuziehen wäre. Jedenfalls nimmt der wirtschaftliche Schaden in der Welt mit fortdauerndem Ausnahmezustand exponentiell zu. Arbeitslosigkeit, Soziale Unruhen, Hunger und Gewalt könnten die Folgen sein.
Derweil sind die Weltbörsen dabei, dieses Szenario in die Kurse einzupreisen. Aktien aus den bereits seit Langem schwachen Sektoren Automobil, Maschinenbau, Energie und Chemie waren noch nie so günstig wie heute. Kleinere und mittelgroße Unternehmen werden mit gewaltigen Abschlägen gehandelt. Historische Bewertungen sind außerhalb des Internet- und Medizinsektors unerreichbar weit weg. In Japan und Südkorea, beides Länder, die mit der Corona-Epidemie wesentlich besser zurande kommen als der Westen, finden sich Aktien mit einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnissen, bei denen die Hälfte des Marktwertes als Liquidität in der Unternehmenskasse liegt.
Allerdings nährt die Baisse erfahrungsgemäß die Baisse und vernunftbasierte Entscheidungen weichen einer emotionalen Impulsivität, die stets Begleiter von Krisen ist. Im Übrigen obherrscht prozyklisches Herdenverhalten, wie man an der Beendigung mancher Aktienrückkaufprogramme ersieht. Und die erwartbare ETF-Abverkaufswelle kommt in den USA erst gerade ins Rollen.
Entscheidend aber für den Anleger bleibt, den Kardinalfehler der Aktienanlage zu vermeiden. Er besteht darin, nach einem heftigen Kurseinbruch zu verkaufen. Hartgesottene Investoren werden indes während des Crashs Zukäufe vornehmen, in der Erwartung, dass bei etlichen Aktien sogenannte Worst-Case-Szenarien bereits eingepreist sind.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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