Loys Capital Kolumne vom 21.05.2019

Gewissheiten gelten nicht mehr!

Die Bundeskanzlerin hat es treffend diagnostiziert: "Gewissheiten gelten nicht mehr!" Der resignative Ton dieser Feststellung ist schwer zu überhören. Dabei hat Frau Merkel keine neue Erkenntnis ausgesprochen. Von Heraklit über Mark Aurel bis hin zu Arthur Schopenhauer heißt es: Alles fließt, der Kosmos ist Veränderung und nur der Wechsel ist das Beständige.

Für Frau Merkel muss es bitter sein, erkennen zu müssen, dass sie ähnlich wie ihr Ziehva­ter Altkanzler Kohl innenpolitisch keine Bäume ausgeris­sen hat. Während aber der Pfälzer als beherzter Manager der Deutschen Einheit in die Geschichtsbücher eingegan­gen ist droht das Erbe Merkels durch europäische Spaltung, die Aufblähung des Umvertei­lungsstaates, eine verhunzte Energiewende und vor allem ein Migrationsdebakel geprägt zu werden. ln ihre Amtszeit fällt der Aufstieg der AfD, der zunächst von den  gebroche­nen Versprechen um den Euro und später dann von der mer­kelschen Willkommenskultur getragen wurde.

Vor allem mag es aber die Ero­sion des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten unter Do­nald Trump sein, die bei Frau Merkel alte Gewissheiten schwinden lässt.
Die Bindun­gen der letzten Jahrzehnte an Nato und EU werden mürbe. Auch die Überbetonung der ,Freundschaft' zu Frankreich kann nicht darüber hinwegtäu­schen, dass die Schnittmenge an politischer Übereinstim­mung überschaubar ist.

"Deutschlands Einfluss in der Welt verdankt sich seiner gro­ßen Wirtschaftskraft". So hatte die Kanzlerin einst richtig analysiert. Aber das Aufkom­men Chinas, hohe   
Exportlastigkeit, die Gängelung durch Bürokratie und vor allem die immense Abgabenlast nebst der sich zusehends ver­schlechternden Demographie säen Zweifel am  dauerhaften Bestand deutscher Wirt­schaftskraft. Während Ameri­kas Stärke ganz offenbar mit seinem dominanten Finanz­markt zu tun hat, gilt die Bun­desrepublik   diesbezüglich als Diaspora. Aber anders als die Branchen Automobil, Maschi­nenbau und Chemie ist die Fi­nanzbranche nicht durch Han­delskonflikte oder Wettbewerb aus China bedroht. Diese Ent­wicklung über Jahrzehnte ig­noriert zu haben gehört schlechterdings zu den größ­ten Versäumnissen deutscher Politik. Obendrein spricht we­nig dafür, dass Berlin die Jahr­hundertchance des Brexit zur elementaren Stärkung des Finanzplatzes Deutschland nutzen kann.

Zu den verlorenen Gewissheiten gehört auch die Politik der Europäischen Zentralbank. Stets galt es als sicher, dass Notenbanken vor allem lnflation bekämpfen sollen.   
lnzwischen hat sich der Spieß umgedreht, die EZB versucht durch ihre ultra-lockere Geldpolitik Geldentwertung zu schaffen. Zwar hat davon der Bundeshaushalt in dramatisch  positiver Weise profitiert, aber die emsigen deutschen Sparer vermochten sich nicht von al­ten Gewissheiten bzw. Spar-Gewohnheiten zu verabschieden und müssen nun erleben, wie sie und ihre Altersvorsorgeinstitutionen wie z.B. Kapitallebensversicherungen, Unterstützungskassen, Versorgungswerke, Stiftungen etc. darben.

In diesem Zusammenhang sollte übrigens einmal über­prüft werden, ob die bisherige deutsche Gewissheit, der zu­ folge Aktienanlagen auch bei breiter internationaler Streuung zu  riskant für das Volk sind, noch als zeitgemäß gilt. Ob AKK dazu den Mut hätte, nach­dem Sie Frau Merkel im Kanz­leramt beerbt? Auch hier obwaltet Ungewissheit.

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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