Gewissheiten gelten nicht mehr!
Die Bundeskanzlerin hat es treffend diagnostiziert: "Gewissheiten gelten nicht mehr!" Der resignative Ton dieser Feststellung ist schwer zu überhören. Dabei hat Frau Merkel keine neue Erkenntnis ausgesprochen. Von Heraklit über Mark Aurel bis hin zu Arthur Schopenhauer heißt es: Alles fließt, der Kosmos ist Veränderung und nur der Wechsel ist das Beständige.
Für Frau Merkel muss es bitter sein, erkennen zu müssen, dass sie ähnlich wie ihr Ziehvater Altkanzler Kohl innenpolitisch keine Bäume ausgerissen hat. Während aber der Pfälzer als beherzter Manager der Deutschen Einheit in die Geschichtsbücher eingegangen ist droht das Erbe Merkels durch europäische Spaltung, die Aufblähung des Umverteilungsstaates, eine verhunzte Energiewende und vor allem ein Migrationsdebakel geprägt zu werden. ln ihre Amtszeit fällt der Aufstieg der AfD, der zunächst von den gebrochenen Versprechen um den Euro und später dann von der merkelschen Willkommenskultur getragen wurde.
Vor allem mag es aber die Erosion des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten unter Donald Trump sein, die bei Frau Merkel alte Gewissheiten schwinden lässt.
Die Bindungen der letzten Jahrzehnte an Nato und EU werden mürbe. Auch die Überbetonung der ,Freundschaft' zu Frankreich kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schnittmenge an politischer Übereinstimmung überschaubar ist.
"Deutschlands Einfluss in der Welt verdankt sich seiner großen Wirtschaftskraft". So hatte die Kanzlerin einst richtig analysiert. Aber das Aufkommen Chinas, hohe
Exportlastigkeit, die Gängelung durch Bürokratie und vor allem die immense Abgabenlast nebst der sich zusehends verschlechternden Demographie säen Zweifel am dauerhaften Bestand deutscher Wirtschaftskraft. Während Amerikas Stärke ganz offenbar mit seinem dominanten Finanzmarkt zu tun hat, gilt die Bundesrepublik diesbezüglich als Diaspora. Aber anders als die Branchen Automobil, Maschinenbau und Chemie ist die Finanzbranche nicht durch Handelskonflikte oder Wettbewerb aus China bedroht. Diese Entwicklung über Jahrzehnte ignoriert zu haben gehört schlechterdings zu den größten Versäumnissen deutscher Politik. Obendrein spricht wenig dafür, dass Berlin die Jahrhundertchance des Brexit zur elementaren Stärkung des Finanzplatzes Deutschland nutzen kann.
Zu den verlorenen Gewissheiten gehört auch die Politik der Europäischen Zentralbank. Stets galt es als sicher, dass Notenbanken vor allem lnflation bekämpfen sollen.
lnzwischen hat sich der Spieß umgedreht, die EZB versucht durch ihre ultra-lockere Geldpolitik Geldentwertung zu schaffen. Zwar hat davon der Bundeshaushalt in dramatisch positiver Weise profitiert, aber die emsigen deutschen Sparer vermochten sich nicht von alten Gewissheiten bzw. Spar-Gewohnheiten zu verabschieden und müssen nun erleben, wie sie und ihre Altersvorsorgeinstitutionen wie z.B. Kapitallebensversicherungen, Unterstützungskassen, Versorgungswerke, Stiftungen etc. darben.
In diesem Zusammenhang sollte übrigens einmal überprüft werden, ob die bisherige deutsche Gewissheit, der zu folge Aktienanlagen auch bei breiter internationaler Streuung zu riskant für das Volk sind, noch als zeitgemäß gilt. Ob AKK dazu den Mut hätte, nachdem Sie Frau Merkel im Kanzleramt beerbt? Auch hier obwaltet Ungewissheit.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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