Loys Capital Kolumne vom 08.10.2019

"Japanifikation"

Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst  ist die  "Japanifikation': Wie ein Schleier aus Bodennebel legt sich eine Melange aus struktureller Wachstumsschwä­che, Reformunfähigkeit, Kulturpessimismus und Prioritätsverwirrung über den alten Kontinent. Weit entfernt sind mittlerweile die Tage nach der Einführung des Euro und dem Beginn des neuen Jahrhunderts mit dem vom damaligen EU­ Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barrosa proklamierten Ziel, Europa bis 2020 zur wettbewerbsfähigsten Region der Weit zu machen.

Heute kann man über eine derartige Wunschvorstellung nur milde lächeln. Insofern kann man verstehen, dass die neue EU-Kommission die Finger von ehrgeizigen wirt­schaftlichen Zielen lässt. Zu groß ist die Angst vor einer weiteren Blamage. Da kommt es Brüssel ganz zu­ pass, dass mit der Klimade­batte ein Thema bereitsteht, in dessen Sattel sich jeder Politiker  unter viel Applaus gerne aufschwingt. Garniert mit hohen Genderzielen ver­spüren Ursula von der Leyen und ihre Truppe großen Ta­tendrang.

Für die omnipotente EU­ Chefin darf man hoffen, dass die Wirtschaft mitspielt. Hier aber sind Zweifel angebracht. Das Potenzialwachstum der EU-Länder ist verglichen mit anderen Regionen der  Welt und der eigenen Vergangenheit eher gering. Magere Wachstumsraten zwischen 0,5  und  1,5  Prozent dürften angesichts der schleichenden Überalterung des Kontinents zur Gewohnheit werden.

Auf diesem Gebiet ist ein Blick nach Nippon hilfreich, denn im Land der aufgehen­den Sonne muss man sich bereits seit einem Vierteljahr­hundert mit dürftigen Zu­wächsen begnügen.

Zwar hat die EU im Gegen­satz zu Japan eine starke Ein­ wanderung, jedoch sind die Einwanderer überwiegend zu gering qualifiziert, um positi­ve Wachstumsimpulse aus­ zulösen. Auch sollte man nicht vergessen, dass das Wohlstandsniveau in Japan deutlich über jenem der EU­ Länder liegt.

Nicht minderbesorgniserre­gend ist die Rückständigkeit der europäischen Wirtschaft auf den Gebieten, Software, Pharmakologie und Finanzen. Es sind aber diese Sektoren, die weltweit als Wachstumsmotor benötigt werden.

Zugleich schwemmt traditio­nellen Branchen, wie etwa im Bereich Chemie, Versorger, Maschinen- und Automobil­bau im gesättigten Europa ein Klima zunehmender Ablehnung entgegen. Hohe Steuer- und Abgabenlasten gepaart mit einem enormen Bürokratiedickicht hohen Energiepreisen und der sich zuspitzenden Klimahysterie, schrecken Unternehmer  und Betriebe davon ab, die nächs­te Raffinerie, das nächste Automobilwerk, die nächste Stahlproduktion in der EU  - von Deutschland ganz zu schweigen - zu errichten. Wohlfeile Forderungen nach einer Vermögenssteuer und Enteignungen bereiten der Investitionsabstinenz einen gedeihlichen Nährboden.

Die  Lage  erinnert  an die  ers­ten Jahre der Regierung Schröder / Fischer, die als chaotisch im kollektiven Ge­dächtnis der Nation abgespei­chert ist. Erst als die Kapital­flucht  aus Deutschland nicht mehr  zu übersehen und leug­nen war, besann sich Kanzler Schröder und vollzog mit der Agenda 2010 einen signifi­kanten Wandel.

Wenn die EU  und Deutschland nicht eine fünfundzwanzigjährige "Japanifikation" durchlaufen wollen, dann muss marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik eine Priori­tät in Brüssel und Berlin ein­nehmen. Und die Personen, die eine solche Politik glaub­würdig  verkörpern, sollten nach Kompetenz und Leis­tung, nicht aber nach Quoten und Proporz ausgewählt wer­den.

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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