DAX in der Baisse
Erfahrene Anleger wissen, dass die Börse ein Spiegelbild des Lebens ist. Goethe, der große Dichter der Deutschen, beschreibt in seinem Faust scheinbar das wankelmütige Wesen der Börse, wenn es im Himmelsprolog heißt: "Und schnell und unbegreiflich schnelle dreht sich umher der Erde Pracht, es wechselt Paradieseshelle mit tiefer, schauervoller Nacht."
Einem solchen Wechselbad waren die Investoren im letzten Jahr ausgesetzt. Nach dem mehr als 20-prozentigen Kursrückgang im DAX befindet sich der deutsche Aktienmarkt nach Jahren des Aufschwungs nunmehr in einer Baisse. Gekennzeichnet ist diese durch einen allgemeinen Zukunftspessimismus, der sich aktuell auf Themen wie Konjunktur, Gewinne, Umsätze, Demographie und Politik (zum Beispiel den Brexit) erstreckt.
Die im Vergleich mit anderen europäischen Aktienmärkten besonders schwache Kursentwicklung deutscher Aktien findet ihre Begründung in den vielen Gewinnwarnungen, die seit dem dritten Quartal von etlichen Unternehmen ausgesprochen wurden. Vorallem die Paradebranchen Automobil, Maschinenbau und Chemie wurden arg gebeutelt. Dabei spielen hausgemachte Probleme wie etwa der Umgang mit der Dieseltechnik eine wichtige Rolle.
Inzwischen gibt es eine Anzahl von Aktien, die sich seit ihren Höchstkursen halbiert haben und mittlerweile günstig bewertet sind. So beträgt beispielsweise die Dividendenrendite der im DAX versammelten 30 großen Aktiengesellschaften derzeit knapp 3,5 Prozent. Zum Vergleich: Die Rendite zehnjähriger deutscher
Staatsanleihen beträgt derzeit 0,25 Prozent. Wenig anspruchsvoll und historisch niedrig ist mit einem aktuellen Wert von 11,5 auch das Kurs-Gewinn Verhältnis im DAX.
Euro ist keine zweite D-Mark
Einen Beitrag zu den markant gefallenen Kursen hat sicherlich auch die fehlende Aktienkultur hierzulande geleistet. Das Aktionariat der Mehrzahl der großen Aktiengesellschaften in Deutschland wird von Investoren angelsächsischer Provenienz angeführt. Daher verwundert es nicht, dass gerade amerikanische Aktionäre zuletzt steuerlich relevante Verluste realisiert haben, zumal auch der Euro diesen Anlegern im Jahr 2018 keine Freude bereitet hat.
Apropos Euro: Genau 20 Jahre nach seiner Einführung kann fest gestellt werden, dass die europäische Einheitswährung keine zweite D-Mark geworden ist - wie es manche
Apologeten seinerzeit verheißen hatten. Für den Aktienmarkt knüpfen sich an diesen Befund sogar positive Hoffnungen, denn die geringe Haushaltsdisziplin in den allermeisten Ländern des Euro-Raums hat es notwendig erscheinen lassen, dass die Europäische Zentralbank mit Hilfe von Dauerniedrigzinsen und Staatsanleihekäufen zum permanenten Staatsfinanzierer mutierte.
Kaufgelegenheiten in zweiter und dritter Reihe
Jedenfalls dürften sich besonders die exportorientiert arbeitenden Aktiengesellschaften über den schwachen Euro tendenziell freuen. Gleiches gilt auch für die niedrigen Zinsen, die eine günstige Finanzierung der Unternehmen garantieren. Nimmt man noch die zuletzt stark rückläufigen Rohstoffpreise hinzu, so zeigt sich, dass für den Aktienmarkt langsam ein stark unterstützender Datenkranz zusammenkommt. Wer überdies den Willen hat, in der zweiten und dritten Reihe des Aktienmarktes nach attraktiven Papieren Ausschau zu halten, der findet einige Unternehmen mit einstelligen KGVs, robusten Geschäften und zugleich sehr soliden Bilanzen.
Freilich gilt diese Bestandsaufnahme nicht nur für deutsche Dividendentitel, sondern findet sich auch bei etlichen europäischen Titeln wieder. Noch günstiger sind viele Aktien in
Japan, wo die Gesellschaften des TOPIX mittlerweile nahezu am Buchwert notieren. Man darf sich einigermaßen gewiss sein, dass entsprechende Gelegenheiten nicht dauerhaft unentdeckt bleiben. Zunächst müssen sich aber die "Zittrigen" - ein schönes Bild von Andre Kostolany - von ihren Aktien trennen, womit schließlich das Feld für die "Hartgesottenen" bestellt wird. Sodann kann eine neue Runde des ehernen Zyklus aus Hausse und Baisse eingeleitet werden.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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