Loys Capital Kolumne vom 02.06.2020

Alea iacta est!

Wieder einmal zeigt sich, dass Krisen große Weichenstellungen ermöglichen. Die Corona-Pandemie  und vor allem die staatlich angeordneten Wirtschaftsstilllegungen haben eine gewaltige Veränderungsdynamik in Gang gesetzt. Von der Adaptierung des Einkaufsverhaltens über die Infragestellung von Lieferketten, den Ersatz von Präsenzschulen durch Videolernen, der Abschaffung des Zinssparens bis hin zur Voll­endung einer europäischen Transferunion.

Sogar Erich Honeckers viel belächelte halbbiblische Fest­stellung  - "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf" - mag sich schließlich als wahr er­weisen, mit Blick auf den stark gewachsenen Staats­einfluss und vor allem demje­nigen seiner Beglückungsfüll­hörner.

Wer will heute noch hören, dass man nicht mehr ausge­ben kann als man einnimmt?
Eine Schuldenorgie ohne Vor­bild erobert die Welt im Sturm. Die Exzesse der gro­ßen Finanzkrise wirken zwer­genhaft dagegen. Zugleich ist in der EU der Rubikon der Transferunion überschritten worden. Scheinbar ohne Ge­genleistung hat sich Bundes­kanzlerin Merkel nunmehr im Schlepptau Frankreichs für Eurobonds - freilich mit ande­rem Namen - entschieden. Die EU bekommt einen schuldenfinanzierten Haus­halt - man nennt ihn ver­schleiernd Rettungsfonds - und kann nun mit der Geld­verteilung beginnen. Finanz­minister Scholz entblödet sich nicht, von einem  Hamilton-Moment zu sprechen, ganz so, als ob die EU bereits die Vereinigten Staaten von Europa wären. Immerhin macht die Äußerung klar, wo­hin die Reise gehen soll, nämlich in die Vereinigten Staaten von Europa. Zwar gibt es heute keine europäi­sche Verfassung, weshalb in Deutschland das Grundge­setz noch  gültiger Rechtsrah­men ist. Wie man aber an der Reaktion der Politik auf das jüngste Urteil des Bundesver­fassungsgerichts zur Staatsfi­nanzierung durch die EZB re­agiert hat, spricht Bände.

Über alle staatstragenden Parteien hinweg empfindet man das gesprochene Urteil als "nicht hilfreich". Im Übri­gen hat das BVerfG einen schweren Fehler begangen, weil es jahrelang versäumt hat, den Gelddruckexzessen der EZB einen Knüppel zwi­schen die Beine zu werfen. Hier wäre ein "Wehret den Anfängen!" vonnöten gewe­sen, wie es so häufig in deutschen Sonntagsreden zu hö­ren ist. Denn niemand, der von Finanzen auch nur ein Quäntchen versteht, wird leugnen, dass die Europäi­sche Zentralbank Staatsfinanzierung betreibt und damit die Haushaltssouveränität des Bundestages untergräbt.

Obendrein nimmt mich Wun­der, warum Frau Merkel nicht Gegenleistungen für die deut­sche Wohltätigkeit verlangt. Warum verlangt sie z.B. nicht von Frankreich, das Zweitpar­lament der EU in Straßburg aufzugeben, um den Bürgern wenigstens den Anschein ei­ner sparsamen EU zu ver­schaffen. Oder warum zwingt sie Frankreich nicht zur Aufgabe des UN-Sicherheitsratssitzes zugunsten eines EU-Sitzes? Oder warum verlangt sie nicht Mitsprache beim französischen Atomwaf­fenpotential?

Als die Herren Kohl, Genscher, Waigel etc. beschlos­sen, die D-Mark zugunsten eines zu schaffenden Euros aufgaben, erhielten sie im­merhin die Zustimmung zur deutschen Einheit als Gegenleistung. Heute, wo das Grundgesetz schleichend durch europäische Verträge und das BVerfG durch den EuGH ersetzt wird, ist eine proportionale Gegenleistung nicht zu erkennen. Und das Volk wird überhaupt nicht gefragt. Wo ist eigentlich der vielbesprochene Verfassungs­patriotismus geblieben, ange­sichts der Teilaussetzung unserer  Grundrechte?
Neben­ bei: Wer wacht eigentlich über die Einhaltung des Maastricht-Vertrages?

Wäre es nicht eine beden­kenswerte Alternative, dass jedes EU-Land zunächst einmal sein eigenes Haus in Ord­nung bringt, bevor eine weitere Vergemeinschaftung vo­rangetrieben wird? Ich fürchte, die Antwort auf diese rhe­torische Frage hat Gaius Juli­us Caesar vor mehr als 2000 Jahren bereits gegeben, als er den Rubikon überschritt: "Aiea iacta est".

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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