Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 08.07.2022
Die jüngsten makroökonomischen Daten deuten ebenso wie politische Äußerungen auf eine konjunkturelle Wende in den beiden größten Volkswirtschaften der Welt hin. Bisher ging der Markt davon aus, die US-Konjunktur werde trotz des steigenden Inflationsdrucks, der auf allzu umfangreichen, pandemiebedingten Stimulus zurückzuführen ist, robust bleiben. Chinas Wirtschaft erlitt dagegen während des Lockdowns in Schanghai im zweiten Quartal 2022 einen starken Schock, und man rechnete nicht mit einer schnellen Erholung, zumal die Regierung weiterhin an ihrer dynamischen NullCovid-Strategie festhielt.
Die jüngsten Daten und politischen Äußerungen scheinen diesem Konsens jedoch zuwider zu laufen. Makrodaten aus den USA deuteten zuletzt darauf hin, dass sich die Konjunktur rascher als erwartet abschwächt, und verstärkten damit Rezessionsbefürchtungen. Die Aktivitätsindizes für das verarbeitende Gewerbe der Dallas Federal Reserve und der Richmond Federal Reserve fielen mit einem Rückgang um 17,7 Punkte (Konsens: -6,5) bzw. 11 Punkte (Konsens: -7) enttäuschend aus. Der Verbraucherklimaindex des Conference Board brach im Juni von 106,4 (Mai) auf 98,7 ein (Konsens: 100). Und auch die dritte Schätzung des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das erste Quartal enttäuschte; das BIP schrumpfte um annualisiert 1,6% gegenüber dem Vorquartal (vorhergehende Schätzung: -1,5%), was auf das enttäuschende sequenzielle Wachstum des privaten Konsums zurückzuführen war (1,8%; vorhergehende Schätzung: 3,1%). Der Index des Institute for Supply Management (ISM) für das verarbeitende Gewerbe schwächte sich im Juni ebenfalls von 56,1 auf 53 (Konsens: 54,5) ab. Er wurde vom Einkaufsmanagerindex für die Auftragseingänge nach unten gezogen, der mit 49,2 unter die Kontraktionsschwelle fiel.
Die US-Konjunktur schwächt sich also schneller ab als erwartet, und der Inflationsdruck hält an. Die sequenzielle Rate des Deflators für den privaten Konsum (PCE) lag im Mai mit 0,6% gegenüber dem Vormonat über den Erwartungen, und auch bei der Kernrate sind keine Anzeichen für einen mäßigeren Verlauf zu erkennen (+0,3% gegenüber dem Vormonat). Daher wird die Federal Reserve Bank (Fed) wohl an ihrem Straffungskurs festhalten und den Leitzins im Einklang mit der jüngsten „Dot Plot“-Prognose rasch anheben.
Chinas Erholung verläuft dagegen problemloser als erwartet. Das Land bekommt den Covid-19-Ausbruch unter Kontrolle, und bei den Unternehmen und im Logistiksektor kehrt allmählich wieder Normalität ein. Im Mai haben sich die Makrodaten – zu nennen sind Industrieproduktion (saisonbereinigt +3,2% gegenüber dem Vormonat), Einzelhandelsumsätze (saisonbereinigt +3,6% gegenüber dem Vormonat) und Anlageinvestitionen (+4,7% gegenüber dem Vormonat) – von den April-Tiefständen erholt. Mit +10,5% gegenüber dem Vorjahr stieg auch das Finanzierungsvolumen im Mai überraschend stark an, nicht zuletzt aufgrund deutlich höherer Emissionen von Staatsanleihen. Die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor kletterten im Juni ebenfalls wieder über die Expansionsschwelle von 50.
m Gegensatz zu den USA ist der Inflationsdruck in China begrenzt, so dass der Staatsrat und die People‘s Bank of China (PBoC) weitere Lockerungen vornehmen können. Die Gesamtrate des VPI belief sich im Mai lediglich auf 2,1% gegenüber dem Vorjahr; der Preisauftrieb wird durch die schwache Binnennachfrage und durch Maßnahmen der Verwaltung gedämpft, die eine Weitergabe des Preisanstiegs begrenzen. Zudem unterstützt die Regierung das Wachstum, weil sie die sozialen und wirtschaftlichen Ziele für dieses Jahr erreichen will. So wurde die Quarantäne für Reisende aus dem Ausland von 21 auf 10 Tage verkürzt, und den Policy Banks wurde gestattet, Kapital aufzunehmen und in Infrastrukturprojekte zu investieren. Dies belegt, dass die Regierung das Wachstum proaktiv ankurbeln möchte.
Die Woche voraus
Die Daten der kommenden Woche werden uns mehr Aufschluss über die Wachstums- und Inflationsentwicklung in den USA und China geben. Am Mittwoch werden die chinesischen Außenhandelsdaten für Juni veröffentlicht. Nach dem überraschend kräftigen Anstieg im Mai direkt nach dem Ende des Lockdowns in Schanghai wird jetzt ein moderateres Exportwachstum erwartet. Außerdem stehen der Verbraucherpreisindex (VPI) für die USA und die Kernrate des Verbraucherpreisindex an. Daran lässt sich ablesen, ob der Preisdruck in Amerika allmählich abklingt. Das reale Wachstum der durchschnittlichen Wochenlöhne in den USA gibt Aufschluss über den Lohndruck in den USA. Darüber hinaus werden im Euroraum die Juli-ZEW-Umfrage zu den Erwartungen und Zahlen zur Industrieproduktion im Mai veröffentlicht, die Rückschlüsse auf das Wachstum in Europa zulassen.
Am Freitag folgen die chinesischen BIP-Wachstumsdaten für das zweite Quartal sowie Makrodaten für Juni (Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze, Anlageinvestitionen usw.). Die Marktteilnehmer rechnen mit einem schwachen Wachstum im zweiten Quartal (Konsensprognose: 0,9% gegenüber dem Vorjahr). Allerdings sind positive Überraschungen möglich. Auch die Makrodaten für Juni sollten sich weiter erholen, wenn sich die Konjunktur nach den pandemiebedingten Lockdowns wieder belebt. Darüber hinaus stehen Daten zum Wachstum in den USA an, z.B. der Empire State Manufacturing Survey für Juli sowie die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion für Juni. Der Markt könnte sehr sensibel auf die US-Wachstumsdaten und die Erwartungen für die US-Wirtschaft reagieren, da durchaus Rezessionssorgen bestehen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit dem Auf und Ab der Konjunktur gut zurechtkommen!
Christiaan Tuntono
Senior Economist, Asia Pacific
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