Kommt sie oder kommt sie nicht – die Rezession?

Raiffeisen Capital Management "Märkte unter uns" Mai 2023

Zunächst war von einer tiefen Rezession in Europa in den Herbst- und Wintermonaten 2022 infolge der kriegsbedingten Energiekrise die Rede. Die Rezession in Europa ist aber bis dato nicht wirklich eingetreten, da die Energieversorgung viel besser gemanagt werden konnte, als ursprünglich gedacht. Die nächste Indikation geht von der inversen Zinskurve aus, da jeder Rezession in der Vergangenheit eine solche Konstellation am Kapitalmarkt vorangegangen ist. Mit der offenbar noch nicht überwundenen Krise bei den amerikanischen Regionalbanken ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor gegeben. Trotz all dieser Risiken haben sich die Konjunkturerwartungen für die USA und Europa auf niedrigen, aber doch positiven Wachstumsraten eingependelt. Im wichtigen Dienstleistungssektor deuten die Umfragen unter Wirtschaftstreibenden im Gegensatz zum verarbeitenden Gewerbe sogar auf Expansion hin. Die „economic surprises“, also die Differenz von veröffentlichten und erwarteten Wirtschaftsdaten hält sich in allen Regionen seit Monaten im positiven Bereich. Auch die Gewinnausweise der Unternehmen überraschen – wenngleich nach negativen Revisionen der Analysten im Vorfeld der Berichtssaison – mehrheitlich positiv. Bemerkenswert ist auch immer noch das solide Umsatzwachstum im Jahresvergleich, obwohl im Vorjahr überdurchschnittlich hohe Zuwachsraten durch die Erholungseffekte nach der Coronakrise erzielt wurden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Wirtschaft bis dato erstaunlich gut hält, auch wenn es an Risikofaktoren nicht mangelt. Dass sich die deutlich höheren Zinsen bemerkbar machen und in Hinblick auf die Eindämmung der Inflation auch bemerkbar machen sollen, ist klar. Wir sehen aber weiterhin ein Zeitfenster für „risky assets“ bis in den Sommer oder Herbst – auch deshalb, weil nach dem Ende von Zinsanhebungen meist eine gute Marktphase folgte – und gewichten daher Aktien höher zulasten von Anleihen.

Marktumfeld – Anleihemärkte

Anleihemärkte: Kursgewinne verteidigt

In Summe konnten die meisten Anleihesegmente im April ihre Kursgewinne vom März erfolgreich halten: Anleihekurse bewegten sich zu Monatsbeginn leicht nach unten, erholten sich aber rasch wieder. Entsprechend unspektakulär die Performance über den Gesamtmonat April (das kleine Monatsminus bei US-Staatsanleihen resultiert aus dem etwas schwächeren US-Dollar). Seit Jahresbeginn zeigen damit die meisten Anleiheklassen, vor allem die wichtigsten in der Eurozone, weiterhin eine respektable Gesamtperformance. Das ist das Ergebnis eines inzwischen attraktiv laufenden Zins-(Kupon-)Ertrags und Kursanstiegen aufgrund des seit Jahreswechsel etwas tieferen Marktrenditeniveaus. Unterstützt hat hier die Markterwartung, dass Europäische Zentralbank und US-Notenbank mit ihren Leitzinsanhebungen inzwischen (fast) am Ende sind – die jüngsten Leitzinsanhebungen waren bereits erwartet und gepreist, richteten also bei den Anleihekursen keinen Schaden mehr an.

Marktumfeld – Aktienmärkte

Aktienmarkt: Anstieg flacht ab

Auch wenn einzelne Bankenprobleme weiterhin für Schlagzeilen sorg(t)en, so sieht die Mehrheit der Investoren darin offensichtlich keine systemische Gefahr, sondern nur punktuelle Probleme einzelner Banken, die bisher rasch und marktverträglich gelöst werden. Entsprechend ließ sich der Aktienmarkt auch im April nicht beirren – die meisten Börsenindizes legten weiter zu. Das galt insbesondere für Europa, auch wenn sich das Tempo der Kursanstiege verlangsamte. Eine in Summe zufriedenstellende Berichtssaison war ebenfalls förderlich. Auffallend schwach waren dagegen einmal mehr die Börsen in China, was angesichts deren hoher Gewichtung auch asiatische und Schwellenland-Indizes nach unten zog. Dabei sind die Konjunkturdaten aus China weiterhin sehr positiv und sprechen unverändert für eine starke Post-Corona-Erholung der chinesischen Wirtschaft. Für die Investoren zählen derzeit aber anscheinend die politischen Risiken mehr.

Marktumfeld – Rohstoffe und Währungen

Währungen und Rohstoffe: Ölpreis auf Talfahrt

Der US-Dollar verlor gegenüber dem Euro im April weiter an Wert und baute damit seinen Kursrückgang seit Jahresbeginn weiter aus. Gegenüber anderen Hartwährungen zeigte sich der Euro im abgelaufenen Monat dagegen kaum verändert. Schwellenland-Währungen wurden ihrem Ruf als volatiler Markt dagegen wieder mehr als gerecht: Sowohl die stärkste Währung (Brasilianischer Real) als auch die schwächste (Russischer Rubel) in unserer Übersicht stammen aus dieser Kategorie. Auf der Rohstoffseite fällt ins Auge, wie wenig der Goldpreis aus der eigentlich unterstützenden Mischung von schwächerem US-Dollar und absehbarem Ende der US-Zinsanhebungen samt etwas tieferen Anleiherenditen machen konnte. Erst Anfang Mai reichte es dann für ein neues Rekordhoch über 2.050 US-Dollar. Die Preisschwäche bei Industriemetallen und Energie passt dagegen gut zu den weiterhin grassierenden Konjunktursorgen. Das kleine Monatsminus bei Energie täuscht dabei über die tatsächliche Volatilität hinweg: Anfang April hatte der Ölpreis dank unerwarteter Ankündigung von Produktionskürzungen einen Satz nach oben gemacht – gab diesen Preisanstieg bis Monatsende aber wieder vollständig ab und brach Anfang Mai sogar kräftig ein.

Ausblick – Globale Wirtschaft

Konjunkturausblick: Industrie schrumpft, Dienstleistungen wachsen

In vielen Medien, und auch von namhaften Konzernchefs, wird das Thema Rezessionsgefahr nach wie vor stark betont – insbesondere für die US-Wirtschaft. Das könnte auch damit zu tun haben, dass weite Teile der Industrie (in den meisten Industrieländern) derzeit de facto in einer Rezession sind und schrumpfen. Nach dem Konsum- und Investitionsboom nach Corona sitzt dieser Sektor zunehmend auf übervollen Lagern, entsprechend ist von der Güterseite der Inflationsdruck weitgehend versiegt und muss jetzt die Produktion gebremst werden. Das gilt allerdings bis dato nicht für den Dienstleistungssektor, der gleichzeitig in USA, Europa und China kräftig wächst. Nachdem dieser Sektor viel größer ist als die Industrie, reicht das in Summe für stark steigende Konjunkturvorlaufindikatoren, Vollbeschäftigung und eine wachsende Wirtschaftstätigkeit. Das muss natürlich nicht dauerhaft so bleiben – derzeit sprechen die Daten allerdings für eine Fortsetzung der konjunkturellen Erholung 2023. Das sieht auch der Ökonomen-Konsensus so und erwartet unverändert eine weiche Landung, sprich ein Einpendeln um langfristiges Durchschnittswachstum für Europa und USA im weiteren Jahresverlauf.

Ausblick – Inflation und Notenbanken

Leitzinsanhebungen: USA fertig, Europa in Kürze?

Nach den steilsten Leitzinsanhebungen der letzten 40 Jahre haben sowohl Europäische Zentralbank (EZB) als auch US-Notenbanken Anfang Mai – wie allgemein erwartet – auf „nur“ noch 0,25 %-Anhebungen umgeschwenkt. Und die Anzeichen verdichten sich weiter, dass damit in den USA der Zinsgipfel vielleicht schon erreicht ist; und dass auch die EZB nur noch ein- oder maximal zweimal um 0,25 % weiter anhebt – was der Markt auch schon preist. Denn die Inflationsrate fällt inzwischen wie erwartet dank tieferer Energiepreise rasch nach unten (selbst die Kerninflation ohne Energie stieg zuletzt nicht mehr) und eine vorsichtigere Kreditvergabe der Banken angesichts der jüngsten Turbulenzen nimmt den Notenbanken einen Teil der Arbeit ab. Vor allem aber haben die Leitzinsen auf beiden Seiten des Atlantiks inzwischen ein Niveau erreicht, wie es nahe der Zinshochs vor der jüngsten Tiefzinsphase zu beobachten war. Auf diesem Niveau macht es Sinn vorerst einmal abzuwarten, wie sich dieser massive Zinsimpuls auf Wirtschaft und Inflation über die nächsten Quartale auswirkt und ob er ausreicht. Ob dann ab der Jahreswende wirklich schon Spielraum für Zinssenkungen besteht (wie derzeit vom Markt gepreist) sehen wir weiterhin skeptisch.

Ausblick – Anleihemärkte

Anleihemärkte: Taktischer Richtungswechsel

Während wir bisher innerhalb des Anleihesegments vor allem auf Unternehmensanleihen setzten, ändern wir mit diesem Monat erstmals seit längerem unsere grundsätzliche Positionierung im Rahmen der taktischen (kurzfristigen) Anleihen-Asset-Allocation: Wir übergewichten Euro-Staatsanleihen nun stark, wobei wir italienische Staatsanleihen bevorzugen. Zudem positionieren wir uns in Richtung einer steileren Kurve deutscher Staatsanleihen, bevorzugen also kurze Laufzeiten (zwei Jahre) gegenüber langen (zehn Jahre). Unternehmensanleihen (Investmentgrade und High-Yield) werden von einer Übergewichtung in eine Untergewichtung gedreht. US-Anleihen werden weiterhin übergewichtet, allerdings währungsgesichert. Ergänzend positionieren wir uns in Richtung einer Abwertung des US-Dollar zu Euro. Globale Staatsanleihen werden untergewichtet.

Ausblick – Aktienmärkte global

Aktienquote auf zwei Schritte Übergewichtung angehoben

Wir sehen das Risiko, dass die Aktienvolatilität in den nächsten Monaten nicht so tief bleiben wird, wie im April: Problembanken, die Farce um die US-Schuldenobergrenze und andere Unwägbarkeiten könnten Investoren kurzfristig verunsichern. Mittelfristig überwiegen aber die Argumente für eine weitere Aktienmarkterholung: Der größte Belastungsfaktor vom Vorjahr, nämlich steile Leitzinsanhebungen, entfällt, Unterstützung kommt durch rasch fallende Inflationsraten. Die Konjunkturvorlaufindikatoren indizieren – trotz Industrie-Schwäche und dank boomendem Dienstleistungssektor – weiterhin eine positive Wirtschaftsentwicklung 2023. Und die Unternehmensgewinne sollten im ersten Halbjahr ihren zyklischen Tiefpunkt erreicht haben und sich im zweiten Halbjahr wieder verbessern. Sollte sich der Ausblick für einen dieser Faktoren drastisch verschlechtern, würden wir proaktiv unsere Aktiengewichtung zurücknehmen – derzeit überwiegen aber die unterstützenden Faktoren. Wir erhöhen unsere Aktien-Übergewichtung um einen weiteren Schritt auf zwei von vier maximal möglichen Übergewichtungsschritten.

Ausblick – Aktienmärkte regional

Selektive taktische Über- und Untergewichtungen

Innerhalb des Aktiensegments setzen wir weiterhin auf Europa – dieses Mal aber differenzierter: Wir sind jetzt Euroland-übergewichtet, mit Vereinigtem Königreich und Schweiz dagegen untergewichtet. Unsere Nordamerika-Position drehen wir von einer Unterauf eine Übergewichtung. Speziell die NASDAQ 100 sehen wir für diesen Monat positiv. Nachdem die Untergewichtung in Japan zuletzt schon reduziert wurde, setzen wir diesen Monat auf eine Fortsetzung der relativen Stärke und gewichten Japan über. Kurzfristig positiv sehen wir aufgrund guter Gewinnrevisionen auch Singapur. Unsere größte kurzfristige Untergewichtung bleiben in Summe die Schwellenländer (Emerging Markets): Die Outperformance gegenüber entwickelten Märkten zum Jahreswechsel konnte in den letzten Monaten nicht fortgesetzt werden. Die langjährige Underperformance von Schwellenland-Aktienmärkten dauert damit weiterhin an – und auch deren tiefere Gewinnerwartungen.

Strategische Asset Allocation

Aktien
Wir haben die Aktienmarktschwäche im letzten Jahr genutzt, um in mehreren Schritten zuzukaufen und ein geringfügig erhöhtes Aktienrisiko zu erreichen. Im Q1 dieses Jahres haben wir die starke Performance bei EUR-Aktien genutzt um Gewinne mitzunehmen. Der Anfang Q2 erfolgte modellgetriebene Kauf von EUR-Aktien wurde Anfang Mai in Cash gedreht.

Staatsanleihen
Auch bei den Staatsanleihen haben wir im vergangenen Jahr in mehreren Schritten zugekauft. Nach dem Zukauf bei australischen Bonds Mitte Juni 2022 haben wir im Oktober 2022 und zuletzt auch Ende Februar 2023 das Zinsrisiko bei europäischen Staatsanleihen erhöht. Im März reduzierten wir kanadische Staatsanleihen und haben das Zinsrisiko wieder gesenkt.

Unternehmens- & EM-Anleihen
Die letzten wesentlichen Änderung im Spreadbereich war eine Aufstockung bei High-Yield-Anleihen Anfang Juli 2022 und bei Italienischen Staatsanleihen im Q2 und Q4 2022. Demgegenüber haben wir bei Emerging Markets Währungen in mehreren Schritten Gewinne mitgenommen. Zuletzt (im Q1 2023) haben wir auch bei High-Yield-Anleihen geringfügig reduziert.

Reale Assets
Wir haben die starke Performance bei inflations-sensitiven Assets (Inflationsschutzanleihen, zyklische Rohstoffe, inflationssensitive Aktien und Währungen) im Laufe des H1 2022 genutzt, um die Position zu verringern. Nach den gesunkenen Rohstoffpreisen haben wir im Q4 2022 und im Q1 2023 bei Industrie- metall- und Energierohstoff-Futures zugekauft.

Taktische Asset Allocation Mai

  • Wirtschaft: Stabile Wirtschaftsentwicklung dank Dienstleistungssektor; Inflationstrend weiterhin rückläufig (bei Kernraten jedoch zäher); China mit positiven Wachstumsimpulsen
  • Unternehmen: Q1-Berichtssaison bis dato deutlich besser als erwartet; Negativrevisionen nehmen wieder ab, Revisionen in Europa positiv; Gewinnausblick sollte sich im Jahresverlauf sukzessive aufhellen
  • Anlegerstimmung: Anlegerstimmung weiterhin eingetrübt, trotz Marktperformance; Positionierungen bleiben bislang zurückhaltend und risikoavers; Aktuell keine Extremwerte bei Sentiment- und Risikoindikatoren
  • Markttechnik: Globale Aktien in Euro weiter im leichten Aufwärtstrend; Durchbruch technischer Widerstände steht jedoch noch aus; Europa kann seit Jahresbeginn Outperformance aufrechterhalten
  • Themen: Inflation/Notenbanken/Zinsrisiko; Geopolitik; China
  • Positionierung: 2 Schritte Aktien-Übergewichtung, Fokus auf Europa-Aktien; Euro-Geldmarkt und Euro-Anleihen untergewichtet
     

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