Inflation: Zu früh gefreut?

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 08.12.2023

Wie könnte es anderes sein: Die Inflation bleibt weiter im Fokus der Kapitalmärkte. Auf den ersten Blick erscheinen die Nachrichten über die Inflation im Euroraum dabei äußerst vielversprechend. Legt man die von der Europäische Zentralbank veröffentlichten saisonbereinigten Daten zugrunde, so liegt die Kerninflation, je nach Abgrenzung, auf Jahresbasis zwischen 2,0 % und 2,25 %. Damit wäre ja dann eigentlich das Ziel erreicht. Aber halt, da gibt es einen technischen Faktor: Die Gewichte des Warenkorbs wurden geändert, was die Jahresveränderungsraten besser aussehen lässt, als sie tatsächlich sind. Das wahre Tempo der zugrundeliegenden Inflation werden wir erst Anfang nächsten Jahres erfahren, wenn die Daten aus dieser Änderung herausgewachsen sind. So war die saisonbereinigte Kerninflation im November auf Jahresbasis für nicht Energie bezogene Industriegüter im Vergleich zum Oktober negativ. Ohne die Energie- und Nahrungsmittelkomponenten erreichte sie die Nulllinie. Der einzige Bereich, der hinterherhinkt, ist – wenig überraschend – der Dienstleistungssektor, wo die Inflation immer noch bei etwa 3 % liegt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich der in der Eurozone gegenüber den USA deutlich stärkere Anstieg der Kernraten auf ein einheitliches Niveau nach unten nivelliert hat.

Auch in den USA kamen die Verbraucherpreise erfreulicherweise zurück (vgl. Grafik der Woche). Aber auch hier könnten sich die Märkte zu früh gefreut haben. Unsere Modelrechnungen geben nur eingeschränkte Signale der Entwarnung. Zu den Triebkräften unseres langfristigen Inflationsmodells für die USA gehören der Konjunkturzyklus (Produktionslücke), kurzfristige Störungen der Versorgungskette (Energiepreise), die Geld- und Finanzpolitik (und hier vor allem der inflationäre Impuls der USNotenbank), das Arbeitsentgelt (namentlich die Lohnstückkosten) und der internationale Handel gemessen am Anteil der Einfuhren am Bruttoinlandsprodukt). Die US-Inflation könnte kurzfristig sehr wohl weiter zurückgehen. Mittelfristig sollte die Inflation jedoch länger über dem Inflationsziel von 2 % bleiben, was auf den zugrundeliegenden Inflationsdruck zurückzuführen ist. Es braucht einfach Zeit, um überschüssige Liquidität zu absorbieren, und die strukturellen „3D-Angebotsschocks“ (Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung) üben weiterhin einen strukturellen Aufwärtsdruck auf die Inflation aus. So kommt unser Modell bis 2027 hinein zu einer Inflationsschätzung, die sich zwischen knapp 3% (Basisszenario) und über 4% (Szenario mit hohem Inflationsdruck) bewegt. Nur in einem sehr optimistischen Disinflationsszenario wäre bis dahin mit einem Unterschreiten der 2%-Schwelle zu rechnen.

Die Woche voraus

Die neue Woche dürfte von den Zentralbanken der USA (Mittwoch) und der Eurozone (Donnerstag) dominiert werden. Dass die vorweihnachtliche, geldpolitische Ruhe noch einmal gestört wird, ist kaum zu erwarten. Sowohl die Federal Reserve Bank (Fed) als auch die EZB dürften ihren Kurs bestätigen. Im Kontext vor allem der jüngeren Preisdaten wird dabei das „Wording“ bezüglich des zukünftig zu erwartenden Zinspfades wichtig. Jüngst wurden aus den Reihen der Fed Stimmen laut, die auf eine frühere Zinssenkung hindeuten. Dies kann allerdings noch nicht als allgemeine Meinungsbildung ausgelegt werden. Sowohl Fed-Chef Jerome Powell als auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde sollten sich den Rücken für ein „höher für länger“ freihalten wollen. Wir sind jetzt in der Phase geldpolitischer Feinsteuerung angekommen. Wer zu schnell Signale der Entwarnung an der Preisfront gibt, nährt nicht nur die Zinssenkungsphantasie, sondern auch die Inflationserwartungen. Was ja in der Folge der ruckartig angesprungenen Energiepreise als Folge des Angriffs auf die Ukraine unterging, ist, dass die lockere Geldpolitik durchaus ihren Anteil an der Inflation hat. Rücklaufende Preisdaten begründen noch keinen dauerhaften Trend.

Ansonsten stehen am Montag ZEW-Konjunkturerwartungen für die Eurozone und die Mitgliedsländer an. Am Dienstag folgen die Verbraucherpreise für die USA. Die Consensus-Schätzungen haben den Markt schon mal auf eine, im Vergleich zum Vormonat, leicht niedrigere Vorjahresveränderungsrate eingestimmt. Das 2%-Ziel sollte aber bei weitem nicht erreicht werden.

Für Japan steht am Mittwoch das breite Frühindikatorentableau des TANKAN-Berichts an, von dem ein unverändertes Niveau zum Vormonat erwartet wird. Am Donnerstag werden die Einzelhandelsumsätze, die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe und die Import- wie die Exportpreise für die USA veröffentlicht. Am Freitag werden die Industrieproduktion und die Einzelhandelsumsätze für China erwartet. In beiden Fällen geht der Consensus von Verbesserungen aus, was wichtige Signale für eine eher wackelig verlaufende Konjunktur des Reichs der Mitte wären.

Für die Eurozone und die Mitgliedsländer stehen am Freitag, bei einem insgesamt äußerst vollen Datenkalender, die Einkaufsmanagerindizes an, sowie das GfK-Verbrauchervertrauen für das Vereinigte Königreich. Die S&P-Einkaufsmanagerindizes für Großbritannien und die Vereinigten Staaten rund dann das Bild ab.

Vorfreude auf eine ruhigere Phase an den Kapitalmärkten wünscht Ihnen

Dr. Hans-Jörg Naumer
 

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