„Hitze des Gefechts“

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 09.02.2024

Sollten die Notenbanken die Leitzinsen senken? So lautet die aktuelle Gretchenfrage, die für nahezu alle globalen Investoren jeglicher Couleur weitreichende Konsequenzen hat. Jenseits des Atlantiks, wo der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) Jerome Powell unlängst die Hoffnungen auf zeitnahe Leitzinssenkungen mit der Begründung, dass man erst „weitere aussagekräftige Daten“ benötige, zunichte machte, verläuft die Debatte besonders hitzig.

Ist die Zurückhaltung Powells angebracht? Jedenfalls argumentieren seine Befürworter, eine verfrühte Lockerung könne zu künftigen Problemen führen. Dafür sprechen mehrere Gründe. Einerseits ist im letzten Jahr das Bruttoinlandprodukt in den USA - allen Rezessionsängsten zum Trotz - um 2,5% gewachsen. Auch heute dürfte die Dynamik anhalten. Andererseits nähert sich die US-Arbeitslosigkeit einem 50-Jahres-Tief und der von der Fed bevorzugte Maßstab für die Inflation, die PCE-Kernrate („Core Personal Consumption Expenditure“ – Kernrate der persönlichen Konsumausgaben), verharrt oberhalb des 2-Prozent-Zielwerts. Warum sollten also die Währungshüter angesichts dieses robusten Konjunkturumfelds die Leitzinsen herabsetzen und somit ein Wiederaufflammen der Inflation riskieren?

Hier gilt es, sowohl diese Betrachtungsweise als auch deren Gegenargumente genau unter die Lupe zu nehmen.

Die Mehrheit der Volkswirte erwarten im Zuge der immer stärker in den Hintergrund rückenden, coronabedingten Verzerrungen eine Abkühlung des US-Wachstums. Bei den überschüssigen Ersparnissen der Haushalte, die seit 2022 um rund 65% gefallen sind, sind die abnehmenden Folgen der Pandemie bereits erkennbar. Wieder aufgefüllt wird das abgeschmolzene Sparguthaben nicht. Was übrig bleibt befindet sich größtenteils bei einkommensstärkeren Haushalten, die eine geringere Konsumquote aufweisen.

Unterdessen setzt sich der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt fort, wenngleich die Arbeitslosigkeit immer noch niedrig ist. Das zeigt zum Beispiel die Anzahl der Stellenangebote, die als eindeutiger Indikator für den aktuellen Bedarf an Arbeitskräften gilt und seit 2022 um ein Drittel zurückgegangen ist. Aller Voraussicht nach dürfte sie bis Mitte 2024 ihr VorCorona-Niveau erreicht haben.

Trifft eine sinkende Nachfrage auf ein stetiges Angebot, fallen die Preise - so besagt es zumindest die Wirtschaftstheorie. In weiten Teilen der Welt herrscht heute deswegen ein disinflationäres Umfeld.

Einen Hinweis darauf liefern zum Beispiel die Lohnzuwächse in den USA, die sich seit 2022 von 5,9% auf 4,5% verlangsamt haben; gleichzeitig ging die PCE-Kernrate von 5,4% auf 2,9% zurück. Dabei fällt auf, dass die PCEKernrate auf sechsmonatige annualisierte Basis um lediglich 1,9 % gestiegen ist. Auf dreimonatige Sicht liegt sie sogar bei gerade einmal 1,5 %.

Wohin steuert also die Inflation? Parallel zum Rückgang der Stellenangebote schwächt sich auch die Lohnentwicklung ab und dieser Trend dürfte sich weiter fortsetzen. Derweil sind die Wohnkosten, nicht zuletzt die Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt, kaum bis gar nicht gestiegen. Laut Fed-Chef Powell werde sich dieser Effekt „im Zeitverlauf in der Inflation niederschlagen“.

Selbst wenn die US-Notenbank untätig bleiben sollte, wird die Disinflation zu einer strukturell restriktiveren Geldpolitik führen. Für Anleger stellt sich bei nachlassenden Pandemiefolgen die Frage, ob die wirtschaftliche Neuordnung der Hitze standhalten kann.

Die Woche voraus

Abgesehen von China, wo die Märkte aufgrund der Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahrsfest eine Woche lang geschlossen bleiben, steht in den kommenden Tagen eine Fülle an Datenmeldungen an.

In Asien rückt dabei Japan in den Mittelpunkt, wo am Dienstag der Erzeugerpreisindex für Januar erscheint. Die Investoren werden nach der Stagnation von 0,0 % für das Gesamtjahr 2023 auf Anzeichen für eine Belebung achten. Unabhängig davon werden am Donnerstag die vorläufigen Angaben zum japanischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das 4. Quartal 2023 erwartet. Hier deuten die Konsensschätzungen auf einen kräftigen Anstieg von 1,2% hin; im Vorquartal schrumpfte dagegen die Wirtschaft um deutliche 2,9%.

Der Blick richtet sich aber auch auf das konjunkturelle Umfeld Europas. Auf dem Programm stehen die vorläufigen BIP-Zahlen für das 4. Quartal 2023 für den Euroraum am Mittwoch und für das Vereinigte Königreich am Donnerstag. Beide Wirtschaftsräume verzeichneten im Q3 2023 eine schwache Entwicklung, wobei der Euroraum kein Wachstum aufwies und Großbritannien einen Rückgang von 0,1% zu vermelden hatte. Zu den weiteren bedeutenden Updates gehören die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland für den Monat Februar (Dienstag), die Industrieproduktion im Euroraum (Mittwoch) und die Handelsbilanz in der Eurozone (Donnerstag).

Ähnlich von Daten überschüttet werden US-amerikanische Anleger. Im Hinblick auf die Inflationsentwicklung werden am Dienstag der Verbraucherpreisindex (VPI) und am Freitag der Erzeugerpreisindex (EPI) für Januar sowie am Freitag die Inflationserwartungen der Verbraucher (University of Michigan) für Februar veröffentlicht. Erhitzt bleibt auch der Donnerstag mit der Veröffentlichung der US-Einzelhandelsumsätze, der Industrieproduktion und des Vertrauens der Eigenheimbauer.

Auf ein Aufblühen Ihrer Anlagen und Gelassenheit beim Ausblick,

Ihr
Greg Meier
Director, Senior Economist, Global Economics and Strategy
 

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