Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 21.10.2022
Insbesondere Stimmungsbasierte Indikatoren zur wirtschaftlichen Lage (also Umfragen wie z.B. die Einkaufsmanagerindizes) zeigen nach unten und verschlechtern sich Monat für Monat. Das Gegenteil ist der Fall bei Umfragen zur Inflation, hier steigen die Erwartungen. Insbesondere der mittelfristige Ausblick in den USA hat sich verschlechtert. Die Kerninflation, also die Betrachtung ohne Nahrungsmittelpreise und Energiekosten, bleibt zäh über der Marke von 6% und damit auf einem 40- Jahres-Hoch. Während in den USA die Inflationsbekämpfung der Zentralbank überlassen wird, ringt in Europa in dieser Situation die Politik um die richtige Strategie zur Dämpfung der Kosten, weil hohe Vorauszahlungen für Heizungskosten und Strom in der Bevölkerung für Verunsicherung sorgen. Die Märkte nehmen jeden Ansatz zunächst mit Erleichterung auf, um dann im nächsten Moment festzustellen, dass die Maßnahmen nicht ausreichen. Ein Teufelskreis für die Politik. Einmalzahlungen, Preisdeckel, ein Einkaufskartell der EU für Gas, … viele Konzepte sind in der Diskussion. Doch das Bild ist sehr heterogen. Neben den Maßnahmen der EU gibt es viele nationale Einzelkonzepte. Von „Wettbewerbsverzerrung“ ist die Rede, je nachdem welche Gruppe von Konsumenten oder Unternehmen in bestimmten Ländern besonders bevorzugt wird.
Die harten Fakten dagegen zwingen Politik und Zentralbanken zum Handeln. Zu lange schon dauert der Krieg in der Ukraine und die höheren Energiekosten haben sich in nahezu alle Produktgruppen durchgefressen. Restaurants, Dienstleister, Produktlieferanten und Markenhersteller weltweit liefern sich einen Wettstreit im Setzen höherer Preise. Doch was ist nun der Ausweg? Mit welchen Rahmenbedingungen müssen wir 2023 rechnen? Es gibt einen Hoffnungsschimmer seitens der Energiepreise. In den USA sind die Benzinpreise seit dem Juni-Hoch stark zurückgekommen, Öl der WTI Qualität in den USA handelt mit 85 US-Dollar wieder deutlich unter der Marke von 90 USD. Und in Deutschland zeigen die aktuellen Zahlen der Bundesnetzagentur, dass die Lagerbestände für Gas mit 96 % relativ hoch sind, während die Großhandelspreise für Gas deutlich unter der Übertreibungsphase vom Sommer liegen. Damit ergibt sich die Chance, dass ab Frühjahr 2023 die Vorjahresvergleiche für die reinen Energiepreise wieder deutlich niedriger als aktuell ausfallen und die Inflation dämpfen. Doch leider ist sowohl in den USA als auch in Europa eine Preisspirale über alle Produktbereiche und Dienstleistungen in Gang gesetzt worden. Vor allem steigende Lohnkosten sind vor dem Hintergrund starker Arbeitsmärkte ein Faktor. In den USA herrscht nach wie vor Beschäftigungsboom und Arbeitskräftemangel. Auch in Deutschland ist dies zu beobachten. Daneben drücken die Umstellungskosten im Rahmen der Energiewende, Rückverlagerungen der Produktion im Rahmen der Unsicherheiten globaler Lieferketten, und hohe Kosten für Wohnen die Preisindizes nach oben. Deshalb ist im Jahr 2023 mit ‚klebriger Inflation‘ zu rechnen, die zwar nicht mehr die aktuellen Spitzenwerte erreichen wird, aber dennoch mit Werten um die 5%-6% hoch bleibt und damit die Zinsen weiter höher treibt. Dies sollte dazu führen, dass die Zentralbanken auf dem Plan bleiben und die Leitzinsen weiter straffen müssen. Die Hoffnung der Märkte, dass ein aktuell möglicher Höhepunkt der Inflationsdynamik rasch auch die Zinsen nach unten bringt, sollte sich zumindest im ersten Halbjahr 2023 nicht erfüllen.
Die Woche voraus
In der kommenden Woche gibt es gleich ein ganzes Bündel an stimmungsbasierten Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes für alle wichtigen Länder. Zudem den ifo-Index für Deutschland und das Verbrauchervertrauen in den europäischen Kernländern Deutschland und Frankreich. Zum Wochenschluss dann die Entwicklung der Konsumentenpreise in der EU und den Kernländern. Noch weiterführender gibt es für die USA erste Zahlen zum Verlauf des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im dritten Quartal. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Konsumausgaben und dem Deflator für den Konsum als wichtige Inflationszahl, die den restriktiven Kurs der Federal Reserve Bank bestätigen sollte. Die Aktienbörsen sollten außerdem zusätzliche Impulse durch die Gewinnberichterstattung für das dritte Quartal bekommen. In der kommenden Woche erreicht die Berichtssaison in den USA, was die Anzahl der berichtenden Unternehmen betrifft, bereits ihren Höhepunkt.
Mit dem Blick auf die kommenden Wochen gilt: Dennoch nicht der Depression verfallen, sondern das auf der Nordhalbkugel bereits fallende, dicke Herbstlaub zur Seite zu schieben und mit nüchternem Blick die Chancen suchen. Zum einen gilt: positive und zumindest nominalhöhere Zinsen eröffnen Anlagemöglichkeiten wie wir sie die letzten Jahre nicht mehr kannten. Zum anderen hat scheint sich die Bewertung risikoreicher Anlagen dem höheren risikolosen Zins angepasst zu haben. Für Aktien zeigt sich die Bewertungsgrundlage günstiger, und Märkte nehmen die Zukunft vorweg. Während aus taktischer Sicht eine vorsichtige Grundhaltung noch naheliegt, können sich mittel-, langfristige Investoren auf eine Höhergewichtung risikoreicherer Assets vorbereiten.
Herbstsonne wünscht Ihnen
Thomas Tilse
Director, Head of Portfolio Strategy Private Clients
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