Welche Themen waren diese Woche am Finanzmarkt relevant?
- Zum Kampf der Wagen und Gesänge
- Hinauf, hinauf strebt´s
- Hier sitz ich, forme Menschen
Zum Kampf der Wagen und Gesänge
Wie einst der Götterfreund Ibycus, so zieht auch die Weltbevölkerung los, um im Kampf der Wagen und Gesänge gegenüber dem Feinde zu bestehen. Doch während Ibycus es noch mit handfesten Mördern zu tun hatte, so ist das aktuelle Virus ein unsichtbarer, gar heimtückischer Geselle. Der läßt sich gerade nicht zurückdrängen und breitet sich daher ungehemmt aus. Diese Woche wurden auch Frankreich, Italien, die Niederlande und Teile der Schweiz zu Risikogebieten erklärt. Damit sind Deutschlands Nachbarstaaten allesamt betroffen. Das hat auch die Börse infiziert, und der DAX schaut sich erneut die 13.000 Punkte wieder von unten an. Einen anderen Kampf fechtet derweil der britische Premier Boris Johnson mit der EU aus. Dessen Ultimatum, bis diese Woche am 15. Oktober, ließ die EU völlig kalt und bringt nun ihrerseits auch einen No-Deal ins Gespräch. Boris Johnson übt derweil die feine Lyrik und bezeichnet einen Deal doch als wünschenswert. Ganz im Sinne des Gedichts von Schiller, Die Kraniche des Ibycus: „Zum Kampfe muß er sich bereiten, doch bald ermattet sinkt die Hand, sie hat der Leyer zarte Saiten, doch nie des Bogens Kraft gespannt.“
Hinauf, hinauf strebt´s
Ich glaube, viele Jungbörsianer glauben, dass es etwas Göttliches hat, sich an der Schönheit der aktuellen Kurserfolge zu erfreuen. Wenngleich sie es wahrscheinlich so nicht ausdrücken würden, empfinden sie wohl wie der Protagonist Ganymed in Goethes gleichnamigen Gedicht. Der erglüht förmlich in tausendfacher Wonne zu seinem Glück. So liefert die moderne, schöne neue digitale Welt, das Glück der Börse und schiebt sie, ungeachtet der wirtschaftlichen Kollateralschäden, auf ständig neue Hochs. Hinauf, hinauf strebt´s, heißt es in einer Zeile des Ganymed. Und so haben diese Woche Banken wie Goldman Sachs oder JPMorgan sensationelle Zahlen für das dritte Quartal geliefert und gezeigt, wie schnell es wieder hoch hinauf gehen kann. Aber auch Daimler überraschte diese Tage durch eine 3,7 Milliarden Euro-Gewinnmeldung. Gleichzeitig kam das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute in Deutschland zu der Erkenntnis, dass der Einbruch der Wirtschaft dieses Jahr mit 5,4% wohl doch größer ausfallen wird, als ursprünglich gedacht. Aber wen kümmert dies schon, wenn man im Glücksrausch der Aktienkurse verweilt. Oder wie Goethe es formulierte: „In eurem Schooße, Aufwärts! Umfangend umfangen.“ Apropos Goethe:
Hier sitz ich,forme Menschen
Quasi als Gegengedicht zum Ganymed, schuf Goethe den Prometheus. Was haben mich die beiden Gedichte in meiner Schulzeit gequält. Wenngleich mich Schillers Kraniche des Ibycus schon immer mehr berührt haben, faszinieren mich doch die beiden Antagonisten Ganymed und Prometheus. Letzterer repräsentiert die Hybris, sich quasi gottgleich zu erheben und selbst Menschen zu erschaffen. Beide Gedichte repräsentieren daher für mich sinnbildlich die Eigenschaften, die einem an der Börse wenig helfen: Blindes Vertrauen der Euphorie und der eigenen Fähigkeiten. Overconfidence nennen die Behavioral Finance-Wissenschaftler dies. In diesem Sinne bleiben Sie bescheiden und lesen vielleicht wieder einmal ein Gedicht. Denn die Lyrik ist wieder auf dem Vormarsch, wie man an der aktuellen Nobelpreisträgerin für Literatur, Louise Glück, sieht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir diese Woche das Jugendwort des Jahres gekürt haben: „Lost“ ist es geworden. Was ließen sich wohl aus diesem Wort für vortreffliche Verse formen.
Ihr Volker Schilling
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