Rückspiegel
Der alte Politikerwitz, dass Minister nicht gerne Zug fahren, weil dort öfters die Durchsage kommt „Zurücktreten bitte!“, hat sich diese Woche manifestiert. Familienministerin Anne Spiegel wirkte nicht nur bei ihrer Entschuldigung ganz „ver“-rückt, sondern muss wohl beim Blick in den Rückspiegel konstatieren, dass sie wirklich in mehrfacher Hinsicht versagt hat. Einschätzung der Flutkatastrophe, unglücklicher Urlaub, Lügen bei Anwesenheit von Kabinettsitzungen, Verweigerung von Hilfe für einen CDU-Abgeordneten bei ukrainischen Flüchtlingskindern. Es gab zu viele „Spiegel“-verkehrte Entscheidungen. Für einige mag dies ein tragischer Abgang sein, für andere längst fällig. Für mich: Spiegelbildlich eine verpasste Selbstreflexion eigener Fehler. Die fehlende Reflexion wirft aber immerhin eine nicht minder bedeutsame Frage auf: Wie konnte sich Andreas Scheuer bis zum Ende seiner Regierung im Ministeramt halten? Vielleicht weil er als Verkehrsminister auch für die Bahnhofsansagen verantwortlich war?
Kosmetikspiegel
Spiegelbilder glauben nicht an die dritte Dimension. Deshalb ist im Spiegel betrachtet nicht nur alles flach, sondern verkehrtherum. Ähnlich wie an der Börse gerade: Aktienmarktkorrekturen führen nicht zur Flucht in Anleihen, steigende Inflationszahlen in Europa führen nicht zu Zinserhöhungen und Krieg führt nicht zu einem Crash an den Börsen. Es ist wie beim Blick in den Spiegel sogar andersherum: Wir haben eine Flucht aus Anleihen, die europäische Notenbank will die Zinsen nicht anheben und die Börsen halten sich trotz Krieg auf stabilen Niveaus. Was ist da los? Auch die Börse trennt, wie ein Spiegel, die Vorstellung von der Erkenntnis. In unserer Vorstellung müsste es anders laufen, aber in der realen Welt des Kapitalmarktes sehen wir Muster, die wir nicht durchschauen können, wenn man nur die Vergangenheit spiegelt. Und da begeht die Europäische Notenbank aus meiner Sicht einen großen Fehler. Wieder hat sie in dieser Woche bei Ihrer Sitzung nichts Konkretes getan, was wir nicht ohnehin schon wussten. Im 3. Quartal läuft das Anleihekaufprogramm PEPP aus, die Wiederanlage auslaufender Papiere wird man aber fortführen und Zinserhöhungen werden nicht konkret benannt. Meine Güte, was sind das für kosmetische Maßnahmen ohne Substanz? Dieser monetäre Kosmetikspiegel ist ein großer Zerrspiegel zwischen Realität und Wunschdenken auf Kosten der Sparer.
Spieglein, Spieglein
Was ist das absolute Musk-have diese Woche? Richtig, Twitter! Elon Musk überrascht alle mit einer Offerte für die Komplettübernahme des Nachrichtendienstes Twitter. 41 Milliarden US-Dollar will er hinblättern. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Reichste im ganzen Land? Einmal mehr demonstriert der reichste Mann der Welt, wie man aus Geld noch mehr Geld macht. Die neun Prozent Anteil an Twitter, die er erst kürzlich erworben hat, sind inzwischen durch seine Ankündigungen um einiges an Wert gestiegen. Warum erwähne ich das? Die Wortwahl von Elon Musk ist es, die einen aufhorchen lässt: „This is my only and final offer!“ Mit anderen Worten: er kann jederzeit sein Angebot zurückziehen. Der zerschlagene Spiegel seiner Übernahmeeitelkeit wird indes zu Lasten derer gehen, die es dann versäumt haben, wie Elon sich wieder rechtzeitig von seinen Aktien zu trennen. Für mich ist Twitter daher aktuell kein Musk-have. Oder, um es mit den Worten des schweizer Aphoristikers Kurt Haberstich zu sagen: „Wer wertvolle Begegnungen nutzen will, darf den Blick in den Spiegel nicht vergessen.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Osterfest.
Ihr Volker Schilling
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