Geld- und Geopolitik

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 22.07.2022

Manchmal kommt einfach alles zusammen, so in der abgelaufenen Woche, die von Geld- und Geopolitik geprägt war, und einer sich daraus ableitenden Konjunkturentwicklung, die mehr und mehr auch in den Unternehmensgewinnen ankommt.

Sie hat also getan, die Europäische Zentralbank. Sie hat den ersten Schritt auf der Zinstreppe genommen. Den ersten seit 11 Jahren. Alles in Butter ist es aber mit dem Straffen der Zinszügel noch nicht. Denn was für die EZB ein großer Schritt ist, da sie die Zinswende einläutet, ist im Kampf gegen die Inflation(serwartungen) – 50 Basispunkte hin oder her - nur ein kleiner Schritt. Die Inflation nährt die Inflation, und die EZB ist schon viel zu lange viel zu expansiv und konnte sich bislang kaum aus ihrem Euro-Schulden- und Corona-Krisenmodus befreien. Viel stärker auf der Agenda als das Straffen der Zinszügel scheint bei ihr der Kampf gegen die „Fragmentierung“ der Anleihemärkte zu stehen. Dafür hat sie eigens das Transmission Protection Instrument (TPI) geschaffen, eine Möglichkeit zum Kauf von Staatsanleihen – ohne Bedingungen, ohne Limitierungen. Da darf sich niemand wundern, wenn die Inflationserwartungen steigen statt fallen. „Fragmentierung“ ist ein schönes Framing für die Manipulation von Anleiherenditen, um die Renditezuschläge zu drücken, welche Euroländer schlechterer Bonität im Vergleich zur Rendite deutscher Staatsanleihen zahlen. Das hat einen handfesten Hintergrund: Je niedriger die Renditezuschläge, desto niedriger die Gesamtrendite, desto weniger stark steigt die Zinslast, mit der die Schulden der öffentlichen Hand bedient werden müssen. Der Schuldenabbau im Schlafwagen, also mittels Inflation, funktioniert nur (einen ausgeglichenen Primärhaushalt unterstellt), solange die Realzinsen kleiner sind als die reale Wachstumsrate. (Dieser grundlegende Mechanismus wird hier beschrieben.) Steigen die Realzinsen, steigt die Zinslast.

Das Gute ist nur, dass der implizite Zins, also jener Durchschnittszins, zu dem die Refinanzierung der öffentlichen Schuldenberge erfolgt, nicht 1:1 mit dem Renditeanstieg an den Märkten erfolgt, und dass der Ausgangspunkt deutlich unterhalb des Niveaus vor Ausbruch der Finanzmarktkrise liegt.

Für Anleger zumindest im Euroraum ist wichtig: Die Strafzinsen mögen endlich Geschichte werden, es ist aber kaum zu erwarten, dass der inflations-bedingte Kaufkraftverlust bei Spareinlagen und Anleihen schnell zu einem Ende kommt.

Von der europäischen auf die globale Bühne. Hier war ebenfalls der Donnerstag Stichtag, wenn es um die russischen Gaslieferungen geht. Gashahn auf oder zu? Das ist nicht nur eine Frage für die Wohlfühltemperatur im heimischen Wohnzimmer, sondern eben auch für die Wachstumsaussichten der (deutschen) Wirtschaft.

Die Woche voraus

In der kommenden Woche stehen eine Reihe an Stimmungsindikatoren quer über alle Regionen an, bei denen es wichtig wird zu sehen, wie stark die Stimmung von der Lage abweicht. Gerade beim ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland dürfte die Sorge um Ende der russischen Gaslieferungen durchschlagen. Am Freitag kommen die Verbraucherpreise für das Euroland. Sie dürften der EZB wenig Spielraum geben, wenn es darum geht die Inflationserwartungen einzufangen. Geldpolitisches Highlight wird der Entscheid des gelpolitischen Rats der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed). Der Konsensus scheint sich noch nicht schlüssig, ob es bei einer Anhebung der Leitzinsen um 50 Basispunkte bleiben wird, oder ob die USWährungshüter die Zinstreppe nicht doch mit einem kräftigeren Schritt nach oben gehen.

Die Berichtssaison setzt sich derweil fort. Sie hat, auf bereinigter Basis, mit soliden Ergebnissen aber etwas vorsichtigerem Ausblick und höherer Risikovorsorge wegen der Konjunkturaussichten bei einigen US-Banken etwas durchwachsen begonnen. Auch wurden hier und da bereits Bremsspuren aufgrund steigender Produktions- und Inputkosten sichtbar. Die Erwartungen der Analysten an die Gewinne je Aktie (EPS – „Earnings per Share“) liegen für den S&P 500 bei 11% im laufenden und bei 9% für das kommende Jahr. Für den Eurostoxx belaufen sich die Erwartungen auf 14% bzw. 6%. Anders als sonst üblich, dürfte es schwer werden, die Analystenerwartungen zu übertreffen, was zu einer insgesamt eher glanzlosen Berichtssaison führen dürfte.

Die kommende Woche verspricht nicht einfach zu werden. Aktien- wie Anleihenmärkte sind gleichermaßen aufgewühlt, wobei der Volatilitätsindikator für den Anleihenmarkt MOVE noch deutlich über dem VIX, seinem Pendant auf der Aktienseite, liegt. Der MOVE hat extreme Höhen erklommen. Die Liquidität an den Aktienmärkten ist angespannt, was dazu führt, dass einzelne Trades die Kurse beeinflussen können. Eine Situation, die sich über den Sommer kaum verbessern dürfte. Ein ähnliches Bild ergibt sich an den Devisenmärkten.

Das Gute ist, dass die Märkte bereits defensiv positioniert sind und sich auf negative Nachrichten eingestellt zu haben scheinen.

Eine weiter anziehende Geld- und eine sich deutlich entspannende Geopolitik wünscht Ihnen

Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research
 

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