Kurze Überlegungen: Ukraine – Die Lage aus Sicht der Anleger
Wird aus dem großen „R“ in BRIC ein kleines? Stephen Dover, Chief Market Strategist, nimmt zu der aktuellen Lage in der Ukraine Stellung.
Über den Ausbruch eines Kriegs zu schreiben, der für unermessliches Leid, Trauer und Unsicherheit unter der Bevölkerung sorgt, ist eine enorme persönliche Herausforderung. Mein Mitgefühl gilt all denjenigen, die unter diesen anhaltenden tragischen Ereignissen leiden.
Als Treuhänder müssen wir jedoch auch unsere Verpflichtung gegenüber unseren Kunden erfüllen, die darin besteht, die Auswirkungen dieser Ereignisse auf ihre Portfolios und ihr finanzielles Wohlergehen sachlich zu analysieren.
Eines meiner Lieblingsbücher ist „Peter der Große: Sein Leben und seine Zeit“ von Robert Massie. Es beschreibt, wie Peter der Große entscheidend dazu beitrug, Russlands Ansehen und Einfluss in der Welt zu stärken und seine Grenzen zu erweitern. Es ist hilfreich, einen langfristigen Blick auf Russlands Geschichte zu werfen, wenn wir die heutige Situation betrachten, um die Hintergründe in Bezug auf die Ambitionen der Führung des Landes besser zu verstehen. Es gibt insbesondere einige Ergebnisse und Auswirkungen, die sehr wahrscheinlich sind.
Erstens wird Russland wahrscheinlich mit langfristigen nachteiligen diplomatischen, handelspolitischen, finanziellen und wirtschaftlichen Folgen aufgrund seiner Handlungen konfrontiert sein. Diese Entscheidung findet in Russland keine breite inländische Unterstützung. Viele Russen und Ukrainer haben gemeinsame Vorfahren, und mit dieser Wendung hatte die Bevölkerung nicht gerechnet. Der Schock trifft die russische Mittelschicht, die große Erwartungen für ihre Familien hatte, besonders hart. Diese Menschen leiden jetzt unter der internationalen Isolation und schwindenden Chancen. Der Begriff Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) als langfristige Triebkraft für das globale Wirtschaftswachstum und die Anlagerenditen hatte bereits spürbar an Bedeutung verloren. Jetzt werden die Anlageströme unabhängig von den Aussichten für die anderen drei zweifellos nicht mehr nach Russland fließen, solange die Expansionspolitik des Landes eine Bedrohung für die regionale, europäische und weltweite Stabilität bleibt. Der Zugang zu russischen Staatsanleihen und bedeutenden Unternehmensanleihen wird für weltweite Anleger wahrscheinlich stark eingeschränkt sein, sowohl aufgrund der US-amerikanischen als auch aufgrund der europäischen Sanktionen, aber auch weil treuhänderische Überlegungen (Governance) eine Rückkehr zum Status quo nicht zulassen. Anleger sollten folgende Lehre daraus ziehen: Unterschätzen Sie nicht die Wahrscheinlichkeit, dass die politische Ausrichtung von der wirtschaftlichen Logik abweicht.
Zweitens sollte die globale Sicherheit, insbesondere die Energiesicherheit, völlig neu überdacht werden. Russland ist der drittgrößte Ölproduzent der Welt, der größte Erdgaslieferant für Westeuropa und ein führender Lieferant von anderen Rohstoffen.1 Die Ukraine ist außerdem einer der drei „Brotkörbe“ der Welt, da das Land neben Nord- und Südamerika ein wichtiger Getreideproduzent ist. Nationen, die bisher für die Versorgung mit Energie, Lebensmitteln und sonstigen Rohstoffen von Russland und der Ukraine abhängig waren, werden jetzt beginnen, ihre Lieferanten zu diversifizieren. Der europäische Kontinent deckt zum Beispiel rund 40% seines aktuellen Bedarfs an Erdgas aus Russland.2 Flüssigerdgas ist wahrscheinlich eine bedeutende Alternative, und Länder wie die USA und Katar würden helfen, die Lücke der reduzierten Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu füllen. Diese Verschiebung scheint bereits begonnen zu haben, da die Erdgasflüsse von Russland nach Europa im ersten Halbjahr 2021 um 30% und im zweiten Halbjahr 2021 um 40% gegenüber denselben Zeiträumen im Jahr 2020 zurückgegangen sind.3 Natürlich ist die nahe Zukunft für Anleger ebenfalls wichtig. Anleger mögen keine Unsicherheit und solange der Krieg nicht von Diplomatie abgelöst wird, werden die Märkte für Volatilitätsschübe anfällig bleiben.
Die zyklischen Auswirkungen auf die Asset-Preise, die sich aus dem Konflikt ergeben, werden von zwei Faktoren bestimmt werden: ihre Auswirkungen auf die Inflation und auf das Wachstum. Von diesen Ergebnissen wird wiederum die Reaktion der Zentralbanken und die Richtung der Zinssätze abhängen.
Kurzfristig werden steigende Preise für Energie, Lebensmittel und sonstige Waren die Gesamtinflation in die Höhe treiben. Die Kerninflationsraten, in denen die volatileren Lebensmittel- und Energiepreise nicht enthalten sind und die die bevorzugten Kennzahlen für die US-Notenbank (Fed) sind, werden wahrscheinlich ebenfalls steigen. Die Pandemie, die globalen Störungen in den Lieferketten, die Fiskal- und Geldpolitik und die wachsende Nachfrage im Jahr 2021 sorgten bereits für starke Lohn- und Preissteigerungen, wodurch auch die Wahrscheinlichkeit höherer Energie- und Rohstoffpreise steigt.
Jüngste Kommentare von Fed-Vertretern deuten darauf hin, dass die US-Notenbank unbeirrt an ihrer Einschätzung festhält, dass die Geldpolitik gestrafft werden müsse, um die Inflation zu bekämpfen und zu verhindern, dass sie ihren Zielwert dauerhaft übersteigt. Es bedürfte wahrscheinlich eines erheblichen negativen Schocks wie etwa eines viel stärkeren Rückgangs der weltweiten Aktienmärkte und eines entsprechenden Rückgangs der Investments und Konsumausgaben, damit die Fed ihre aktuelle Einschätzung der Geldpolitik ändert.
Die Herausforderung für die Europäische Zentralbank (EZB) ist möglicherweise viel größer. Europa ist wie oben erwähnt von russischen Energielieferungen abhängig und ist damit für jegliche Störungen, die sich durch den Konflikt oder Sanktionen ergeben könnten, anfällig. Daher ist die EZB nicht in derselben Position wie die Fed. Sie muss sich mehr Sorgen über potenzielle negative Nachfrageschocks aufgrund von Unsicherheit machen, sowie über einen potenziellen negativen Angebotsschock, falls es zu Unterbrechungen der Energielieferungen kommen sollte. Während sich die Fed vorerst weiter auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren kann, muss die EZB zweifellos größere Vorsicht walten lassen.
Dennoch richten beide Zentralbanken ihr Augenmerk auf eine gemeinsame Variable – die Inflationserwartungen. Die auf dem Markt und auf Verbraucherumfragen basierenden Kennzahlen gehen weiter von einer durchschnittlichen Inflationsrate zwischen 2,1% und 3,1% in den nächsten fünf Jahren aus. Auch wenn dieser Wert immer noch höher ist als der 30-jährige Durchschnitt für den tatsächlichen Verbraucherpreisindex von rund 2%, ist er viel niedriger als der jüngste Anstieg um 7,5%.4 Falls der Konflikt und die Sanktionen nicht nur zu höheren Rohstoffpreisen führen, sondern auch zu einem Anstieg der Inflationserwartungen, werden beide Zentralbanken (und andere) gezwungen sein, die Zinssätze schneller anzuheben, was unter Umständen ein deutlich geringeres Wachstum oder sogar eine Rezession zur Folge haben wird.
Damit sind wir bei den kurzfristigen Folgen für Anleger. In der Vergangenheit erwiesen sich konfliktbedingte Abverkäufe als Kaufgelegenheiten. Wir sind uns da nicht so sicher. Auch wenn es nach dem Krieg in der Ukraine zu einem Waffenstillstand und zu Frieden kommen kann, ist eine Erholung der Aktien unter Umständen nicht nachhaltig, da überdurchschnittliche Bewertungen, rückläufige Gewinne und die drei Schreckgespenster Inflation, geldpolitische Straffung und geopolitische Unsicherheit bleiben. Auf historische Vergleiche, die nahelegen, dass bei Konflikten Kaufgelegenheiten entstehen, kann man sich nicht immer stützen, da die vorherrschenden Bedingungen unterschiedlich sein können. Damals gab es nicht die fundamentalen Herausforderungen von heute.
Kurz gesagt könnten die Märkte nach dem erhofften Ende der Feindseligkeiten eine vorübergehende Atempause einlegen, aber die Erholung dürfte nicht lange anhalten. Die Renditen verzeichnen aus anderen Gründen einen fundamentalen Rückgang, und die Volatilität dürfte höher ausfallen. Steigende Zinsen und ein langsameres Gewinnwachstum stellen dieses Ergebnis praktisch sicher, unabhängig von der Entwicklung des geopolitischen Risikos.
Die mittelfristigen Auswirkungen für Anleger bleiben größtenteils so wie wir sie zuvor dargestellt haben. Wenn die Renditen fallen und die Volatilität steigt, wird die Diversifizierung unseres Erachtens von entscheidender Bedeutung sein. Außerdem ergeben sich neue Chancen. Im Laufe der Zeit könnten Anlegern durch höhere Zinsen Chancen entstehen, sich an bestimmten Anleihenmärkten sowohl aus Ertrags- als auch aus Sicherheitsgründen zu erneut zu engagieren.
Schließlich bedeutet der Einmarsch Russlands in der Ukraine nicht das Ende der globalen Investments. Russland war nie ein wesentlicher Treiber der Globalisierung, sei es im Handels- oder Finanzsektor. Asien und andere Schwellenländer waren immer wichtiger und bleiben tragfähige langfristige Optionen. Die strategischen Treiber und die Treiber zur Bekämpfung des Klimawandels für massive Investitionen, falls die Energieversorgung und -verteilung für Europa, Asien und viele andere Teile der Welt noch wichtiger geworden ist. Das große „R“ in BRIC könnte künftig klein geschrieben werden, aber die Welt und ihre Kapitalmärkte werden weiterhin Anlagechancen bieten.
Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Investment Institute
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Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht in dem LinkedIn-Newsletter „Global Market Perspectives“ von Stephen Dover. Folgen Sie Stephen Dover auf LinkedIn, wo er seine Gedanken und Kommentare sowie seinen Newsletter mit globalen Marktperspektiven veröffentlicht.
Weitere Einschätzungen von unseren Anlageverwaltungsspezialisten entnehmen Sie bitte den Erkenntnissen zur aktuellen Volatilität. Diese werden in den kommenden Wochen regelmäßig aktualisiert.
Fußnoten
1Quellen: IMF WEO, IEA, USDA, Bloomberg
2Quelle: Institute of International Finance.
3Ebd.
4Quellen: University of Michigan, Federal Reserve Bank of St. Louis, BLS, Macrobond, Franklin Templeton Investment Institute Analysis. Weitere Informationen zum Datenanbieter finden Sie auf www.franklintempletondatasources.com.