Europas weiße Weste

MainFirst Artikel vom 12.09.2022

Von Jan-Christoph Herbst

Daniel ist 26 und vor ein paar Jahren mit dem Studium fertig geworden. Er lebt in Frankfurt am Main, genauer gesagt im Stadtteil Nordend, dort wo viele Menschen leben, die gerne mit dem Fahrrad ins Büro fahren. In der Nachbarschaft gibt es diverse Bio-Supermärkte, in denen man nachhaltige Produkte kaufen kann, zwar etwas teurer, aber eben nachhaltig. Daniel ist mittlerweile stolzer „Teilzeit-Vegetarier“, wie er sich nennt. Auch, weil er seinen persönlichen CO2 –Footprint reduzieren möchte. „Man muss lernen zu verzichten und den Gürtel enger zu schnallen, es kann in unserer Generation nicht so weitergehen wie bisher“, betont er. „Wenn nur jeder hier seinen Beitrag leistet und mit gutem Beispiel vorangeht, können wir viel bewegen“.

Als alles Anfing – vor dreißig, vierzig Jahren -, war die Gemeinde der ökologisch Interessierten und klimapolitisch Engagierten in den westlichen Industrienationen noch sehr klein.

Mittlerweile ist Daniel einer von vielen. Einer von hunderttausenden jungen Menschen in Deutschland, die verstanden haben wie wichtig Umweltschutz ist.

Alle 83 Millionen Deutschen zusammen sind für etwa 2,4% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich und bilden 1% der Weltbevölkerung ab. Jedoch wissen auch die jungen Menschen im Nordend, dass sie den Klimawandel alleine nicht stoppen können, selbst, wenn Deutschland ab morgen jegliche Emissionen einstellt. Aber man möchte Maßstäbe setzen und zeigen, dass es auch anders geht.

Auf dem internationalen Schachbrett ist die Demonstration des Konsumverzichts ein Irrweg

Das Argument, Klimaschutz darf auch gerne teuer sein, zieht bei den Schwellenländern nicht. Die Menschen in Indien und China wollen Autofahren, Fleisch Essen und die Klimaanlage einschalten, genau wie wir. Die Übung des Verzichts durch Konsum- und Wohlstandsreduktion, die die junge Generation propagiert, wird Schwellenländer folgern lassen: „Da machen wir nicht mit. Wir wollen Wachstum und Wohlstand, diese Entwicklung steht uns ebenso zu wie den entwickelten Staaten, die dort bereits angekommen sind.
Laut aktuellsten Berechnungen des auf den Energiemarkt spezialisierten Research Unternehmens BNEF wird die globale Stromnachfrage bis 2050 auf etwa 41 Millionen Gigawattstunden ansteigen, eine Steigerung gegenüber heute von 54%. Dieser Trend ist in der Wissenschaft unumstritten.

Unsere Aufgabe als relativ kleines, wohlhabendes Industrieland mit technologisch und wissenschaftsorientiertem Personal sollte es sein, möglichst kostengünstig und ohne CO2-Emissionen Energie zu produzieren und diese zur Steigerung des Lebensstandards zu nutzen. Das Vorbild schwäbischer Sparsamkeit wird wohl bei keinen Schwellenland Attraktivität erlangen.

Die deutsche Automobilindustrie, der Wohlstandsbringer der letzten 70 Jahre

Die deutsche Automobilindustrie, der Wohlstandsbringer der letzten 70 Jahre schlechthin, die zum Höhepunkt ihrer Reifezeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 einen zusätzlichen Globalisierungsschub erhielt, steht mittlerweile auf äußerst wackeligen Beinen.
Gleichzeitig wurde der Weg zur batteriebetriebenen E-Mobilität politisch und technologisch geebnet. Anschaffungskosten und Reichweite sind auf einem für den Konsumenten verträglichen Level angekommen.

In 2021 waren global 17,4 Millionen E-Autos unterwegs, etwa sechs Millionen mehr als noch in 2020. Tendenz stark steigend. Der Erfolg gibt Elon Musk recht, sich bereits früh und kompromisslos auf die Elektrotechnologie festgelegt zu haben. Sein Unternehmen positioniert sich mit 936.000 verkauften Autos in 2021 als globaler Marktführer. Trotz der Unternehmensgröße, die Tesla mittlerweile erreicht hat, scheint sich das Wachstum nicht abzuschwächen. Die Produktionskapazität wird zum Jahresende auf etwa 2.000.000 Fahrzeuge angewachsen sein. Entgegen der Skepsis der letzten Jahre arbeitet das Unternehmen mittlerweile profitabel und konnte in Q2 2022 einen Nettogewinn von 2,26 Mrd. Dollar ausweisen. Der chinesische Wettbewerber BYD, dessen Ursprung in der Batteriezellenproduktion zu finden ist, wuchs in den letzten Jahren auf ähnliche Größe heran, produziert mittlerweile 1.000.000 vollelektrische Autos pro Jahr und liegt damit global auf Rang zwei. Das Unternehmen mit Sitz in Shenzhen, China, dass seine Autoproduktion erst kürzlich auf 100% E-Autos umgestellt hat und im März den letzten Verbrenner vom Band laufen ließ, ist ebenfalls profitabel unterwegs.

Beide Unternehmen haben große Pläne. Musk gibt an über noch mehrere Jahre mit durchschnittlich 50% weiter zu wachsen. Bis zum Ende des Jahrzehnts steht ein Produktionsziel von 20 Millionen Fahrzeugen pro Jahr auf der Agenda. Für manche mögen solche Zahlen nach Größenwahn klingen. Noch nie hat es in der Geschichte einen Autohersteller solchen Ausmaßes gegeben. Die Ziele, die sich das in Texas ansässige Unternehmen in der Vergangenheit gesteckt hat, wurden häufig jedoch mit erschreckender Präzision getroffen.

Die Profitabilität kommt nicht von ungefähr. Während Tesla die Preise 2022 über die Produktpalette hinweg um bis zu 6.000 Dollar anheben konnte, sinken die Produktionskosten dank steigender Skaleneffekte stetig. Bei Einführung des Model 3 kalkulierte man Herstellungskosten von 56.000 Dollar. Mit der Einführung der neuesten Batteriegeneration namens „4680“, die in der Berliner Fabrik zum Einsatz kommt, werden die Produktionskosten unter die Marke von 30.000 Dollar sinken.

Bei der Konkurrenz ist man von solchen Erfolgsmeldungen noch weit entfernt. Die Fahrzeugfertigung der sogenannten Traditionshersteller ist nicht vertikal integriert. Anders ausgedrückt, man ist bei jedem Arbeitsschritt auf dutzende von Zulieferern angewiesen. Dies kostet Flexibilität, Geschwindigkeit und Innovationskraft. Während VW mit seinen Gewerkschaften kämpft und weiterhin auf der Suche nach talentierten Softwareentwicklern ist – immerhin konnte der Gesamtkonzern letztes Jahr 263.000 E-Autos verkaufen – ist BMW mit 104.000 Einheiten noch auf der Suche nach Traktion. Das Ziel der Bayern sei 50% Elektroanteil bis 2030. Ein absolutes Stückzahlen-Ziel hält man bisher noch zurück.

Was könnten die Traditionshersteller ändern um im Wettbewerb der Zukunft nicht chancenlos anzutreten?

Wir wissen bereits heute, dass wir in den nächsten Jahren einen extremen Bedarf an Kobalt, Lithium und Kupfer verspüren werden. Die europäischen Autohersteller haben die Bedeutung der Rohstoffversorgung lange Zeit unterschätzt. Laut einer Analyse der EU-Kommission müssen wir mehr als 65% der für die E-Motor Produktion benötigten Rohstoffe aus China importieren.

Die Erfolge von Vorzeigekonkurrenten wie BYD hingegen sind kein Zufall. Kein anderes Land dominiert den Abbau von Batterie-relevanten Rohstoffen so sehr wie China.

Bei neun von zehn Beteiligungen an Rohstoffvorkommen der letzten Jahre waren chinesische Unternehmen involviert. China verarbeitet 60% des weltweit geförderten Cobalts. Der Großteil davon stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. An nahezu jedem Projekt ist China hier finanziell als auch operativ beteiligt oder leistet Infrastrukturhilfe. Man ist sich der Notwendigkeit des Rohstoffs im anbrechenden Batteriezeitalter bewusst.

BYD, der zweitgrößte Produzent von Lithium-Ionen-Batterien für E-Autos nutzt 90% seiner Zellen für die eigene Autoproduktion. Selbst für zahlungswillige Wettbewerber bleibt da wenig übrig. Im Juni dieses Jahres hat das Unternehmen zudem sechs Lithium Minen, über den afrikanischen Kontinent verteilt, gekauft, um seine Batterieproduktion bis zum Jahr 2029 sicherzustellen.

Elon Musk sorgt ebenfalls vor, um seine Pläne zu verwirklichen. Im November 2021 schloss Tesla einen mehrjährigen Liefervertrag mit Ganfeng Lithium. 20% der Jahresproduktion wird demnach an Tesla abgeführt.

Das Metall Nickel wird aufgrund sich verändernder Zellchemie immer wichtiger für die Batterieproduktion. Große Vorkommen gibt es zum Beispiel in Indonesien. Im August dieses Jahres wurde bekannt, dass Tesla sich im Rahmen eines gigantischen fünfjährigen Liefervertrages mit mehreren indonesischen Unternehmen etwa ein Drittel der globalen Nickelproduktion gesichert hat. Das entspricht einer Menge von 5 Millionen Autos.

Stand 2021 befinden sich die zehn größten Batterieproduzenten in Asien, verteilt auf China, Südkorea und Japan. Das sind etwa 94% der globalen Kapazität, Tendenz steigend. Die deutsche Autoindustrie hat lange die Strategie des Zukaufs von Ressourcen verfolgt. Viel einfacher und effizienter sei dies, hieß es aus Fachkreisen.

Bei den Rohstoffen für erneuerbare Energien ist die Abhängigkeit ähnlich groß. Die EU-Kommission berichtet, dass 54% der Materialien für Windturbinen sowie 53% der Ressourcen für Photovoltaik-Anlagen aus China importiert werden.

Es ist genau dieselbe Abhängigkeit in der wir uns aktuell bei der russischen Gasversorgung wiederfinden, in die wir uns bei den Rohstoffen für E-Mobilität und erneuerbare Stromproduktion hineinmanövrieren. Der Investigativ Journalist Christoph Keese des Medienhauses ThePioneer trifft mit einem Beitrag zum Thema Rohstoff-Abhängigkeit den Nagel auf den Kopf.

„Wir möchten unsichtbaren Wohlstand. Reichtum, dem man seine Erzeugungsweise nicht ansieht: Industrie, bei der der Rauch aufgeht, das wollen wir in Europa nicht.“

Bisher sind Menschenrechtsverletzungen und mangelnder Umweltschutz Markenzeichen des Rohstoffabbaus. Doch das muss nicht zwangsläufig so bleiben. 2017 wurde in Europa die „Global Battery Alliance“ gegründet, eine Vereinigung, die sich für saubere und faire Produktionsbedingungen einsetzt. Die Chancen die afrikanischen Lieferketten bei einem durch Europa geführten Rohstoffabbau zu verbessern wären unweigerlich größer, als bei einer Überlassung Spielfeldes dem chinesischen Staat. Doch Europa fühlt sich pudelwohl beim Tragen seiner weißen Weste. Der Preis ist hoch.

Das Taiwan Risiko

Mit 245 Milliarden Euro Handelsvolumen war China im Jahre 2021 erneut Deutschlands größter Handelspartner. China ist hier seit 2015 auf Platz eins. Käme es in der Meerenge zwischen China und Taiwan zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit der Folge einer Sanktionierung Chinas ähnlich Ausmaßes wie im derzeitigen Russland Konflikt, wäre dies für Deutschland ein wirtschaftlicher Totalschaden. Größenvergleich: Russland belegte letztes Jahr nur den 14. Platz bei den größten Handelspartnern Deutschlands. Etwa 60% der Importe aus Russland bestehen aus Öl und Gas, Güter die von Ihrer Beschaffenheit kaum einheitlicher, kaum ersetzbarer sein könnten.

Ein großer Teil unseres Wohlstands basiert auf der Ausweitung der Handelsbeziehung zu China, die seit den 1990er Jahre passierte. Vier von zehn Autos, die Volkswagen verkauft, gehen nach China. Mehr als 90% der Produkte, die wir auf amazon.com bestellen können, werden dort produziert. Der Konsument profitiert auf breiter Basis von der globalen Arbeitsteilung. 98% der seltenen Erden, die wir in Europa für Solarzellen, Windturbinen oder Batterien benötigen, kommen aus der Volksrepublik. Bei einer derartigen Sanktionierung Chinas durch den Westen, würden hier alle Lichter ausgehen. Es ist nicht „nur“ Öl oder Gas, das woanders beschafft werden muss. Beiden Seiten würde eine solches Szenario stechende Schmerzen bereiten. Genau diese Tatsache macht es unwahrscheinlicher, jedoch nicht ausgeschlossen. Allerdings läuft die Zeit nicht gegen, sondern für die Volksrepublik China. Mit jedem weiteren Jahr sinkt die Abhängigkeit vom Westen, die tertiäre Sektor des Landes wird stärker, die langfristige Rohstoffversorgung scheint zu großen Teilen gesichert. Die relative ökonomische Macht des Landes nimmt weiter zu. Wir sprechen mittlerweile von einem Hochtechnologieland, von dem die ganze Welt abhängig ist. China hat große Ziele, doch bis zum Jahr 2050 vergeht noch etwas Zeit.
 

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