Ethenea - Marktkommentar Juni 2021

Auf der Zielgeraden

Marathonläufer kennen das Ritual – nach Wochen des harten Trainings werden in den letzten Wochen vor dem Wettkampf der Trainingsumfang langsam zurückgefahren, die Kohlenhydratspeicher mit Unmengen Nudeln und Kartoffeln aufgefüllt, Körper und Geist mental auf die Kraftanstrengung vorbereitet. Der Körper kann sich erholen, und jedes harte Training kurz vor dem Wettbewerb ist sogar schädlich und mindert die Aussichten auf Erfolg. Tapering, englisch für „drosseln, runterfahren“, kommt ursprünglich aus dem Marathon-Sport, ist aber spätestens seit 2013 auch Investoren ein Begriff. Damals kündigte der Vorsitzende der US-Notenbank Ben Bernanke an, die Anleihenkäufe zurückfahren zu wollen. Das kam für viele Marktteilnehmer überraschend. Die Renditen von US-Staatsanleihen schossen daraufhin nach oben und die Aktienmärkte stürzten ab.

Das will die US-Notenbank diesmal unbedingt verhindern. Mittlerweile werden aber wieder erste Stimmen lauter, die angesichts einer sich erholenden Wirtschaft und hoher Bewertungen über alle Märkte hinweg ein Zurückfahren der geldpolitischen Unterstützung fordern. Robert Kaplan, der Vorsitzende der Dallas-Fed, hat sich als erster aus der Deckung getraut und sprach öffentlich von „Exzessen und Ungleichgewichten an den Finanzmärkten“ und forderte, dass bei der nächstmöglichen Gelegenheit über eine Anpassung der Geldpolitik diskutiert werden sollte. Selbst dem Fed-Vorsitzenden Jerome Powell ist während der Pressekonferenz im Anschluss an die letzte Notenbanksitzung, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, das Wort „frothy“ (also „schaumig“, „blasenartig“) im Zusammenhang mit der aktuellen Situation an den Märkten herausgerutscht. Auch das im Mai veröffentlichte Sitzungsprotokoll der Fed zeigt, dass einige Teilnehmer angedeutet haben, dass sie eine Diskussion über eine Anpassung des Tempos der Anleihenkäufe bei den kommenden Sitzungen für angebracht halten.

Wohlgemerkt: Derzeit wird eine Diskussion über eine mögliche Diskussion der Anleihenkäufe geführt. Von einer tatsächlichen Anpassung sind wir also noch ein ganzes Stück entfernt. Wir gehen davon aus, dass die Fed frühestens in der Juni-Sitzung über eine Drosselung beraten und ihr Anleihenkaufprogramm nicht vor Herbst, vielleicht sogar erst Ende des Jahres, anpassen wird. Auch dann ist vorerst nur eine moderate Anpassung der Volumen wahrscheinlich, bevor im zweiten Schritt Zinserhöhungen ins Gespräch gebracht werden. Die EZB wird ihre Geldpolitik voraussichtlich noch später zurückfahren und frühestens Anfang nächsten Jahres eine Straffung umsetzen.

Die ersten Zentralbanken machen vor, wie der Ausstieg gelingen könnte

Wie ein Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik aussehen könnte, ohne dass dies zwangsläufig zu einem Crash an den Finanzmärkten führen muss, machen derzeit die kleineren Zentralbanken vor. Die Bank of Canada legte im April vor, indem sie ankündigte, ihr Anleihenprogramm um rund eine Milliarde kanadische Dollar von 4 Mrd. auf 3 Mrd. pro Woche (25 Prozent) zu reduzieren. Es wird erwartet, dass in den folgenden Sitzungen im Juli und September weitere Reduzierungen um jeweils eine Milliarde angekündigt werden. Das sorgte erwartungsgemäß für einen festeren kanadischen Dollar und eine Ausweitung der Renditeaufschläge kanadischer Staatsanleihen gegenüber US-Treasuries. Das befürchtete Taper-Tantrum wie in 2013 und ein damit verbundener massiver Abverkauf kanadischer Staatsanleihen blieb aber aus.

Die Bank of England ist nach der Bank of Canada die zweite Zentralbank, die angekündigt hat, das Tempo ihrer Anleihenkäufe von 4,4 Mrd. Pfund auf 3,4 Mrd. Pfund pro Woche zu drosseln. Gleichzeitig betonte sie, dass dies nicht als Verschärfung der Geldpolitik interpretiert werden sollte und dass das Auslaufdatum des Kaufprogramms und sein Gesamtvolumen von 895 Milliarden Pfund unverändert bleiben werden.

Die neuseeländische Zentralbank überraschte die Märkte Ende Mai mit der Prognose, dass sie die Leitzinsen bereits in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres anheben könnte. Dies hänge allerdings davon ab, ob sich die Wirtschaft wie erwartet entwickeln werde, so der geldpolitische Ausschuss der RBNZ. Vorerst bleibt der Leitzins also auf niedrigen 0,25 % und das Anleihenkaufprogramm bei einem Gesamtvolumen von 100 Mrd. NZ-Dollar. Der Kiwi-Dollar und die Anleihenrenditen stiegen nach der Ankündigung an.

Auch in Australien nimmt der Druck zu, nachdem der wirtschaftliche Ausblick im Statement on Monetary Policy (SOMP) im Mai angehoben wurde und die Notenbank angedeutet hat, dass sie in der Juli-Sitzung über die weitere geldpolitische Richtung entscheiden könnte. Derzeit ist das Anleihenkaufvolumen auf 100 Mrd. australische Dollar gedeckelt und das Renditeziel für dreijährige Staatsanleihen liegt bei 0,1 %. Im Gespräch ist eine Verlängerung des Kaufprogramms und eine Verlängerung der Zinskurvenkontrolle von April 2024 auf November 2024. Die Nationalbank wird wohl die kommenden Wirtschaftsdaten abwarten wollen, bevor sie eine Entscheidung trifft. Bei einer weiteren Erholung wird eine Verlängerung allerdings unwahrscheinlicher.

Darüber hinaus hat eine Reihe kleinerer europäischer Zentralbanken in Mittel- und Osteuropa sowie in Nordeuropa kürzlich eine Straffung ihrer Geldpolitik angekündigt. In Ungarn kündigte Notenbank-Vizepräsident Barnabás Virág überraschend eine Zinserhöhung bereits im Juni dieses Jahres an, um einer potenziell außer Kontrolle geratenen Inflation zuvorzukommen. Diese hat im April mit 5,1 % den höchsten Stand seit Jahren erreicht. In Polen und der Tschechischen Republik sieht es nicht anders aus; die Inflation liegt mit 4,3 % bzw. 3,1 % über den Inflationszielen der Notenbanken, weshalb die Falken zunehmend nach einer Straffung der Geldpolitik rufen.

Ähnlich Töne werden bei unseren skandinavischen Nachbarn angeschlagen: Die Riksbank in Schweden gab Ende April bekannt, dass sie an ihrem Plan festhält und ihr QE-Programm gegen Ende des Jahres 2021 vollständig beenden wird. Norwegens Zentralbank, die Norges Bank, hat zwar nie ein Anleihenkaufprogramm aufgesetzt, kündigte aber an, dass sie die Leitzinsen in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 anheben werde. Und zuletzt überraschte die isländische Zentralbank mit einer Straffung ihrer Geldpolitik, indem sie die Zinsen für Festgelder mit einer Laufzeit von sieben Tagen von 0,75 Prozent auf 1 Prozent anhob. Der Zinsanstieg wurde mit dem zunehmenden Inflationsdruck sowie einem Anstieg der Löhne und Immobilienpreise begründet.

Fed, EZB und Bank of Japan lassen weiterhin Vorsicht walten

Nur die großen Notenbanken – die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan – halten weiterhin die Füße still. Dies wird vorerst auch so bleiben und freut die Märkte, insbesondere die Anleiheninvestoren, die grundsätzlich keine Überraschungen mögen.

Die Strategie birgt aber auch Risiken. Niemand weiß mit Sicherheit, wie sich die Wirtschaft in Zukunft entwickeln wird, und vielleicht wird die Fed mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass die Erholung noch deutlich länger dauern wird als uns allen lieb ist. Portfoliomanagement ist in erster Linie aber auch immer Risikomanagement, also das Vermeiden oder Minimieren von Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit. Und sollte die Fed mit ihrer Einschätzung danebenliegen, könnte das fatale Folgen haben – die Wirtschaft könnte überhitzen, die Inflation deutlich über die 4- bis 5 Prozent-Marke hinausschießen. Dann müsste die Fed umso stärker auf die Bremse treten, und das würde dann richtig weh tun.

Das führt uns zurück zum Marathon. Vielleicht ist doch gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für die US-Notenbank, ihre Anleihenkäufe sukzessive herunterzufahren, gewissermaßen langsam auszutraben, anstatt sich auf den letzten Metern noch zu verausgaben und es dann womöglich nicht ins Ziel zu schaffen. Beispiele, wie es funktionieren kann, liefern derzeit ja schon andere Notenbanken.


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