Doppelter Kontrollverlust?
- Im Oktober sind die Zinserwartungen des Marktes stark gestiegen. Das hat die kurzfristigen Anleiherenditen nach oben getrieben und zu flacheren Renditekurven geführt.
- Dies könnte Ausdruck eines Rückgangs der Wachstums- und Inflationserwartungen sein.
- Die Notenbanken müssen die Marktteilnehmer davon überzeugen, welcher Weg für die Leitzinsen in den kommenden Jahren der richtige ist.
- Was das Klima betrifft, scheinen wir ebenfalls die Kontrolle verloren zu haben. Doch auch wenn wir von Glasgow nicht zu viel erwarten sollten, können wir das Schlimmste verhindern.
Der erste Kontrollverlust
Die Zentralbanken scheinen die Kontrolle über die Zinserwartungen verloren zu haben, oder stehen kurz davor, sie zu verlieren. Denn die Anzeichen verstärken sich, dass der Anstieg der Inflationsrisiken nach der Pandemie tiefgreifender sein könnte als noch vor einigen Monaten angenommen. Die Erwartung des Marktes, wo die kurzfristigen Zinsen in 18 Monaten stehen werden, ist an einer Reihe von Märkten seit Anfang September stark angestiegen. Die Anleiherenditen sind über das unmittelbare Niveau von vor der Pandemie geklettert. Zudem deuten die Zinserwartungen in Europa und Großbritannien darauf hin, dass die während der Pandemie getroffenen geldpolitischen Vorgaben bis Anfang 2023 vollständig zurückgenommen werden. Wir befinden uns auf dem Weg zu einer Normalisierung des Zinsumfelds.
Risiko zu hoher Zinserwartungen
Sehr wichtig ist in dieser Woche deshalb, dass sowohl die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Bank of England die Möglichkeit haben, die Zinserwartungen wieder unter Kontrolle zu bringen oder zumindest einen Hinweis darauf zu geben könnten, welcher Weg für Zinserhöhungen in den kommenden zwei Jahren angemessen ist. Das Risiko besteht nämlich darin, dass die Märkte die Zinserwartungen höher ansetzen. Die Marktteilnehmer haben kaum noch eine kollektive Erinnerung an die Reaktionen der Notenbanken auf eine höhere Inflation, weil diese viele Jahre lang von niedriger und starrer Inflation geprägt waren. Jetzt, da die Teuerung ihren Höhepunkt erreicht, ist der bisherige Rahmen für die Festlegung der Zinserwartungen möglicherweise unzureichend. Es ist bemerkenswert, dass die Zentralbanker die Markterwartungen entweder erfolglos oder gar nicht versucht haben, zu korrigieren. Es scheint fast so, als wollten die Notenbanken, dass der Markt ihre Arbeit für sie erledigt.
Der Markt preist niedrigeres Wachstum ein
Die Heftigkeit der Bewegungen am kurzen Ende der Zinskurven hat einige Kollateralschäden verursacht. Die Renditekurven wurden flacher und die Kluft zwischen dem, was die Märkte hinsichtlich der Inflation kurz- und längerfristig einpreisen, hat sich vergrößert. Der Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen US-Staatsanleihen verringerte sich bis Oktober um über 20 Basispunkte. Auch wenn man diese Entwicklungen nicht überdramatisieren sollte, so sind sie doch Ausdruck eines Rückgangs der Wachstums- und Inflationserwartungen am Markt.
Zins- und Energieschock belasten die Haushaltseinkommen
Warum das so ist, ist leicht nachvollziehbar. Ein Zins- und Energieschock werden die Haushaltseinkommen belasten. Das ist ein Risiko für den Ausblick auf die kommenden ein bis zwei Jahre. Bislang haben die risikobehafteten Asset-Märkte die Wachstumsangst jedoch nicht erkannt. Die Realzinsen sind negativ und wenn viele Wirtschaftsakteure von einem höheren nominalen Wachstum (Löhne) profitieren, ist der Anstieg der Lebenshaltungskosten vielleicht nicht so schlimm.
Möglicherweise behalten die Notenbanken Recht
Doch die Zentralbanker könnten mit ihrer Inflationseinschätzung auch richtig liegen. Wir sind zwar der Meinung, dass die Inflationsrate höher ausfallen wird als in den vergangenen Jahren. Die sehr hohen Werte der vergangenen Monate sind aber eher auf Basiseffekte und die mit Corona zusammenhängenden Lieferkettenengpässe zurückzuführen. Selbst der schockierend starke Anstieg des US-Beschäftigungskostenindex um 1,3 Prozent könnte zum Teil auf das Ende des Zwangsurlaubs und der Hilfen für Arbeitslose zusammenhängen. Dies ist nicht unbedingt ein Dauerzustand. Andernorts ist der Septemberwert des PCE Core Deflators (Inflationsindex der US-Notenbank), auf 0,2 Prozent im Monatsvergleich gesunken. Bleibt er dort, hat die Fed überzeugt. Einige unserer Aktienfondsmanager sehen zudem eine Entspannung bei den Lieferkettenproblemen, insbesondere in Südostasien, und die Kosten für die Schifffahrt sind jüngst – gemessen am Baltic Freight Index – gefallen, ebenso wie die Preise für Kupfer und Erdgas.
Warten auf das Signal
Auf den Zinsschock müssen die Zentralbanken reagieren. Sie haben die Markterwartungen während der Pandemie sehr stabil gehalten. Es war klar, dass der Ausstieg aus der Pandemie schwierig werden würde, doch die Erholung ist gefährdet, wenn die Märkte die Zinsen weiter in die Höhe treiben. Die Geldpolitik kann nichts an den Ölpreisen ändern. Was die Notenbanken jedoch tun können, ist, eine Botschaft zu senden, dass die Zinsen zwar steigen müssen, aber auf kontrollierte Weise und nicht so aggressiv, wie es einige Märkte nahelegen. Wenn sie das tun können, wird das Risiko eines Marktabsturzes bei Anleihen und Aktien verringert.
Der zweite Kontrollverlust
Schließlich stellt sich mit Blick auf die UN-Klimakonferenz (COP26) auch die Frage: Haben wir die Kontrolle über das Klima verloren? Die Antwort scheint ja zu sein und es ist kaum zu erwarten, dass in Glasgow aggressivere Vereinbarungen getroffen werden, die an diesem Fazit etwas ändern. Das heißt aber nicht, dass wir aufgeben.
Investoren spielen eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung von Finanzmitteln zur Unterstützung von Unternehmen und Regierungen, die einen Beitrag zu einer Netto-Null-Zukunft leisten. Es muss mehr getan werden. MSCI geht davon aus, dass nur zehn Prozent der börsennotierten Unternehmen weltweit Pläne haben, die mit einer Begrenzung des Temperaturanstiegs um 1,5 Grad vereinbar sind; beim Zwei-Grad-Ziel sind es nur 43 Prozent. Glasgow sollte den Druck von Investoren auf Unternehmen verstärken, damit sich mehr von ihnen dem 1,5-Grad-Ziel verpflichten.
Wir müssen also weiterhin die Unternehmen unter ESG-Kriterien analysieren, aufhören, die schlimmsten Umweltverschmutzer zu finanzieren und uns noch aktiver engagieren, um Firmen dazu zu bringen, das Richtige zu tun. Wir werden die Kontrolle vielleicht nicht zurückerlangen, aber wir können das Schlimmste verhindern.
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