Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 27.11.2020

Immun?

Die Kapitalmärkte scheinen nun seit fast drei Wochen mit einer Mischung aus Erleichterung und Hochstimmung auf die erfreulichen Fortschritte bei der Erprobung eines Impfstoffes gegen Covid-19 zu reagieren, während sie sich kaum für Lockdowns, Infektionszahlen und nachlassende Konjunkturdynamik interessiert zu haben scheinen. Mit der Hoffnung auf einen Impfstoff scheinen sich auch die Kapitalmärkte gegen schlechte Nachrichten immunisiert zu haben. Dies gilt sowohl für Aktien, vor allem aus Europa, Japan und einigen Schwellenländern, als auch für Hochzinsanleihen und viele konjunkturabhängige Rohstoffe wie Industriemetalle und Öl.

Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Erstens das vorausschauende Moment vieler Kapitalmärkte. In einem Unternehmensbewertungsmodell eines Aktienanalysten spielt das nächste halbe Jahr gegenüber der langen Frist eine sehr untergeordnete Rolle. Und die mittlere bis lange Frist dürfte sich durch die Perspektive, die globale Pandemie durch flächendeckende Impfungen besser kontrollieren, möglicherweise eindämmen zu können, klar verbessert haben.

Auf Sicht des nächsten Jahres dürfte dabei die Erholungsbewegung weiter von expansiver Fiskal- und Geldpolitik flankiert werden. Keine Regierung oder Zentralbank der Welt möchte riskieren, die Unterstützungsmaßnahmen zu früh zurückzudrehen. Dazu passt der Vorschlag von Joe Biden, die ehemalige Zentralbankchefin Janet Yellen als Finanzministerin der Vereinigten Staaten zu berufen. Unter Ihrer Führung stand die Federal Reserve für eine im Zweifel expansiv ausgerichtete Geldpolitik, außerdem dürfte sie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als besonders wichtig erachten.

Dazu kommen große Bewertungsunterschiede zwischen verschiedenen Segmenten des Aktienmarktes: Einige von der Pandemie besonders betroffene Branchen waren zuletzt sehr günstig bewertet, während die Gewinner der Krise, allen voran die großen Technologiekonzerne, erhöhte Bewertungsniveaus aufwiesen. Hier könnte die Bewegung zurück zu einem Gleichgewicht („Mean Reversion“) noch etwas anhalten. Vor allem Banken und Versicherungen hilft ein neuer Blick auf Kreditrisiken – je schneller die Pandemie kontrollierbar wird, je geringer der finanzielle Schaden bei Kreditnehmern.

Die Woche Voraus

Die scheinbare Resistenz vieler Marktsegmente gegenüber kurzfristig schwächeren Konjunkturdaten könnte in der nächsten Woche getestet werden. Weltweit im Mittelpunkt dürften die finalen Einkaufsmanagerindizes für November stehen. Vorläufige Daten haben wenig überraschend eine merklich verschlechterte Stimmung im europäischen Dienstleistungsgewerbe ergeben, während sich die Stimmung in den USA sowohl für Produzenten als auch Dienstleister sogar verbessern konnte. Immer einen Blick wert ist zudem der US Arbeitsmarktbericht, nachdem sich der Stellenaufbau dort in den letzten Monaten verlangsamt hat.

Außerdem werden aus Japan die vorläufigen Daten zur Industrieproduktion sowie die Einzelhandelsumsätze für den Oktober berichtet. Aus der Eurozone kommen vorläufige Daten zur Konsumentenpreisinflation aus dem November, zudem wird die Arbeitslosenrate veröffentlicht. Einen vorausschauenden Charakter sollten die Zahlen zu Auftragseingängen aus Deutschland und den USA haben.

Politisch bewegen wir uns auf die letzten, wirklich harten Fristen im Brexit-Prozess zu. Spekulationen zufolge ist ein Abkommen in der buchstäblich letzten Sekunde möglich. Dabei könnten gewisse Streitpunkte eventuell auf einen späteren Zeitpunkt vertagt werden, indem beispielsweise die umstrittenen Fischereirechte zukünftig einer erneuten Überprüfung unterzogen werden oder die Fangquoten für Fischer aus der EU schrittweise zurückgeschnitten werden.

Kontrollierte Offensive

Die durch die Hoffnung auf einen Impfstoff und die Reduktion von politischen Risiken nach dem Wahlsieg von Joe Biden verbesserten mittelfristigen Perspektiven hellen den Ausblick für riskante Vermögensklassen wie Aktien und Rohstoffe auf. Ob die schnellen Gewinne aber gegen potentielle Stolpersteine wie verlängerte LockdownMaßnahmen, überforderte Gesundheitssysteme oder ein Scheitern eines Brexit-Abkommens immun sind, muss erst bestätigt werden. Aus technischer Perspektive scheinen sich die konjunktursensitiven Aktienmärkte aus Europa, Japan befreit zu haben, d.h. sie haben den seit Ende Mai ausgebildeten Seitwärtskanal nach oben verlassen.

Immunisierung wünscht Ihnen
Stefan Rondorf
Senior Investment Strategist, Global Economics & Strategy


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