Weichenstellung / Wer soll das bezahlen? / „Hammer“ und „Tanz“
Es war ein vorsichtiger Start in die neue Kalenderwoche, dominiert von der Angst einer zweiten Pandemie-Welle. Mit mehr als 180.000 Neuinfektionen am vorangegangenen Wochenende verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den bislang stärksten Tagesanstieg an COVID-19-Fällen in diesem Jahr – getrieben von exponentiell steigenden Infektionszahlen in Schweden, Brasilien, Indien sowie in weiten Teilen der USA. Auf der anderen Seite ging allerdings die schrittweise Lockerung der „Lockdown“-Maßnahmen in vielen Regionen und Ländern Hand in Hand mit einer allmählichen Wiederbelebung der sozialen Aktivitäten und einer wieder steigenden Mobilität der Bevölkerung einher. Stehen wir an den Kapitalmärkten vor einer entscheidenden Weichenstellung?
Die schrittweise Lockerung der Ausgangsbeschränkungen bzw. die zunehmende Mobilität sind notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Erholung. Denn während alternative Daten in den USA darauf hindeuten, dass sich die konjunkturelle Belebung nach einer ersten Stabilisierung und Verbesserung im April/Mai zuletzt wieder verlangsamt haben könnte, untermauern die Mobilitätsdaten im Zuge der Lockerungsmaßnahmen einen anhaltenden, allmählichen Anstieg der wirtschaftlichen Aktivität. Neben ermutigenden Exportzahlen aus Asien, stiegen in der Eurozone die Einkaufsmanagerindizes für den laufenden Monat auf breiter Front (siehe Grafik der Woche) – angetrieben vor allem vom Dienstleistungsgewerbe. Zudem erholte sich der ifoGeschäftsklimaindex für Deutschland ein weiteres Mal und auch das europäische Verbrauchervertrauen verbesserte sich erneut, was eine weniger pessimistische Sicht der Haushalte auf die zukünftige Entwicklung des Konsums in Europa widerspiegelt. Dass sich der europäische Binnenmarkt in den nächsten Monaten wieder erholen könnte, dazu dürften auch die in Aussicht gestellten fiskalischen Stimuli beitragen. Die italienische Regierung denkt über eine Senkung der Mehrwertsteuer für einzelne Positionen wie Hotels, Restaurants oder Autos von bis zu 10 Prozentpunkten für die kommenden zwei Jahre nach. Auch an der Downing Street in London wird diese Art der konjunkturellen Unterstützung nach deutschem Vorbild diskutiert.
Die Woche voraus
Mehr Klarheit, welche Weichenstellung die Weltkonjuktur nimmt, sollten auch die Konjukturdaten in der kommenden Kalenderwoche bringen. Die Woche startet in den USA mit diversen Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe – für den Staat Texas (Mo) und für den Raum Chicago (Di) – sowie dem ISM-Einkaufsmanagerindex, der die wirtschaftliche Aktivität im ganzen Land misst (Mi). Analog den europäischen Pendants dürften auch diese eine weitere konjunkturelle Erholung im Zuge der Lockerungsmaßnahmen signalisieren. Neben dem Verbrauchervertrauen des Conference Boards (Di) – ein zentraler Indikator für die Konsumausgaben der US-Amerikaner, die etwa zwei Drittel der US-Wirtschaftsleistung ausmachen – , liegt der Fokus insbesondere auf den US-Arbeitsmarktdaten für den laufenden Monat. Dem Konsensus zufolge scheint es zu einem weiteren Beschäftigungsaufbau zu kommen. Das deutet sowohl die Beschäftigungsentwicklung (Mi und Do) als auch die Arbeitslosenquote (Do) an.
Der Datenkalender in der Eurozone ist dagegen eher spärlich bestückt. Neben der Wirtschaftsstimmung (Mo) und den vorläufigen Verbraucherpreisen (Di), ist einzig die Arbeitslosenquote für einzelne Länder der Eurozone (Mi und Do) von Interesse.
In Asien richtet sich die Aufmerksamkeit hingegen vor allem auf China und deren Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe (Di und Mi). Der offizielle, vom National Bureau of Statistics (NBS) erhobene Index, könnte sich marginal verschlechtern, sollte sich aber dennoch den dritten Monat in Folge über der Schwelle von 50 halten und eine steigende Produktion signalisieren. Hinzu kommen eine Vielzahl an weiteren Einkaufsmanagerindizes asiatischer Länder, während in Japan der Fokus auf den Einzelhandelsumästzen (Mo) und der Industrieproduktion (Di) liegen dürfte.
Active is: Realistisch bleiben bei der Konjunktureinschätzung
Technisch betrachtet (u.a. mittels den RelativeStärke-Indizes) liegen die globalen Märkte dank des „gesunden“ Rücksetzers auf einem neutralen Niveau, wenngleich sie auch hier vor einer Weichenstellung stehen, denn zwischen Anlegerstimmung und –positionierung scheint sich ein Spannungsfeld aufzutun: Während der Anteil der Bären gemäß der American Association of Individual Investors (AAII) immer noch bei fast 50% verharrt, weisen laut dem Datenanbieter EPFR die Nettomittelflüsse eine deutlich gestiegene Risikoneigung aus. Letzteres spiegelte sich in Nettomittelabflüssen in Höhe von 40 Mrd. US-Dollar aus globalen Geldmarktfonds in den letzten drei Wochen wider – nach knapp 1,2 Billionen US-Dollar Nettomittelzuflüsse seit Anfang März – zu Gunsten von risikoreicheren Vermögenswerten wie u.a. Aktien- und Unternehmensanleihefonds. Zwar scheinen die Weichen für eine weitere Erholung der Konjunktur gestellt, getragen von den signifikanten geld- und fiskalpolitischen Gegenmaßnahmen, allerdings sei vor zu viel Konjunkturoptimismus gewarnt. So dürften u.a. steigende Fallzahlen von CoronavirusInfektionen oder der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China im Kontext der anstehenden US-Präsidentschaftswahl auch weiterhin für erhöhte Volatilität sorgen.
Achten Sie auf die Weichenstellungen,
Ihr
Stefan Scheurer
Director, Global Capital Markets & Thematic Research
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