Süßes oder Saures?
Halloween steht vor der Tür. Ob der Abend vor Allerheiligen „Süßes oder Saures“ für die Börsianer bringt, scheint noch keine ausgemachte Sache zu sein.
Zweierlei steht jedoch fest:
1 Ein geregelter EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zum 31. Oktober ist vom Tisch. Zwar haben sich die britischen Abgeordneten in dieser Woche nicht prinzipiell gegen das von Premier Boris Johnson vorgeschlagene Austrittsgesetz ausgesprochen. Sie weigerten sich allerdings, den eng getakteten Ratifizierungszeitplan zu akzeptieren. Ein ungeregelter, wirtschaftlich schmerzlicher Brexit droht kurzfristig wohl dennoch nicht. Vielmehr ist eine erneute Verlängerung der Brexit-Frist, voraussichtlich um drei Monate bis zum 31. Januar 2020, wahrscheinlich. Neuwahlen sind denkbar. Damit ist der erste Akt der langwierigen Brexit-Saga, der Austritt, noch immer nicht abgehakt. Der zweite Akt, die Übergangsphase, während derer die zukünftige Partnerschaft mit der EU ausgehandelt werden soll, rückt einmal mehr in die Ferne. Mit anderen Worten: Die Politik bleibt ein Unsicherheitsfaktor für die Märkte.
2 Nach acht Jahren im Amt wird Halloween Mario Draghis letzter Tag in den Frankfurter Bürotürmen der Europäischen Zentralbank (EZB) sein. Auf der Abschiedssitzung des EZB-Präsidenten am Donnerstag wurden wie erwartet keine wegweisenden geldpolitischen Entscheidungen getroffen, sondern vielmehr Details zu dem im September geschnürten, umfassenden Lockerungspaket verkündet. Letzteres beinhaltet neben einer Senkung des Einlagensatzes um 10 Basispunkte eine verstärkte „Forward Guidance“ sowie die umstrittene Wiederaufnahme der Nettowertpapierkäufe ab 1. November. Mit der klaren Festlegung, die Anleihekäufe in einem monatlichen Umfang von 20 Mrd. Euro noch lange Zeit fortzusetzen, ist der Weg für Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde gewissermaßen vorgeebnet. Erst auf der Ratssitzung am 12. Dezember, bei der auch die neuesten Makroprojektionen veröffentlicht werden, dürfte Madame Lagarde eine Kursanpassung vornehmen.
Der Übergang zu einem gestaffelten Einlagensatz, der die negativen Auswirkungen auf das Bankensystem abmildern soll, eröffnet ihr grundsätzlich Zinssenkungsspielraum. Mit anderen Worten: Die Geldpolitik im Euroraum – und darüber hinaus – bleibt bis auf Weiteres ultra-expansiv, und damit konjunkturstützend.
Wenn nach Halloween die Kürbisse allmählich von der Bildfläche verschwinden, sollte sich auch in Bezug auf entscheidende Unsicherheiten der Nebel lichten: Entscheidet sich Trump bis zum 13. November für oder gegen eine Erhöhung der US-Importzölle für die Autoindustrie? In Europa würden v.a. Deutschland, Großbritannien und Italien empfindlich getroffen. Ist Euroraum-Schwergewicht Deutschland im dritten Quartal tatsächlich in eine „technische“ Rezession gerutscht (Zahlen am 14. Nov.)? Unterzeichnen US-Präsident Donald Trump und Chinas Staatspräsident Xi Jinping wahrhaftig auf dem Apec-Gipfel (16./17. Nov.) den „Phase-eins-Deal“, und bereiten damit den Boden für weitere konstruktive Gespräche der beiden Supermächte? Denn Obacht, die großen strukturellen Fragen im Handelsstreit bleiben nach wie vor ungeklärt.
Die Woche Voraus
Mit diesen Fragen im Hinterkopf steht eine spannende Börsenwoche bevor.
In den USA nimmt die Berichtssaison für das dritte Quartal an Fahrt auf. Positive Überraschungen sind ausgehend von niedrigen Gewinnerwartungen möglich. Darüber hinaus richtet sich das Augenmerk auf den Zinsentscheid der Federal Reserve (Mi). Der US-Geldmarkt preist mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 90% eine dritte „vorsorgliche“ Leitzinssenkung von 25 Basispunkten ein. Das Zielband für die Fed Funds Rate läge dann bei 1,50-1,75%. In der Vergangenheit haben „insurance rate cuts“ der Fed in einem nicht-rezessiven Konjunkturumfeld maximal 75 Bp. betragen. Eine Reihe von Indikatoren lassen auf die (künftige) Konsumentwicklung schließen, darunter das Verbrauchervertrauen (Di) und die privaten Einkommen und Ausgaben (Do). Die amerikanischen Verbraucher spielen eine Schlüsselrolle für die US-Wirtschaft, da rund zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vom Privatkonsum abhängen. Während die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe (Do) voraussichtlich bestätigen, dass der US- Jobmotor läuft, wenngleich schleppender, drohen nach wie vor Mitte Dezember die geplanten zusätzlichen Strafzölle von 15% auf chinesische Konsumgüter im Wert von rund 160 Mrd. US-Dollar.
Auch in Japan würde eine Lockerung der Zinszügel (Do) nicht für eine große Überraschung sorgen – der Geldmarkt rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% mit einem Zinsschritt bis Jahresende. Trotz Vollbeschäftigung ist das Inflationstempo auf der Verbraucherebene (Di) nach wie vor verhalten. Die Aussichten für die japanische Konjunktur bleiben vorerst gedämpft. Der andauernde Handelskonflikt zwischen den USA und China lastet auf den Exportperspektiven der Industrie (Do). Dagegen könnte der Einzelhandelsumsatz im September von vorgezogenen Käufen im Vorfeld der Mehrwertsteuererhöhung (seit Okt. in Kraft) profitiert haben. Hinweise auf die Wachstumsperspektiven Chinas im vierten Quartal geben die Einkaufsmanagerindizes (Do, Fr). Während die bisher zu beobachtende Konjunkturbeschleunigung weitgehend auf die wirtschaftspolitisch angekurbelte Binnennachfrage zurückgeht, könnte sich das Stimmungsbarometer angesichts der jüngsten Handelsgespräche zwischen Washington und Peking aufgehellt haben.
Im Euroraum stehen die BIP-Zahlen für Frankreich (Mi) und Italien (Do) im Blickpunkt, neben dem Economic Sentiment (Mi) und den Verbraucherpreisen im Oktober (Do). Bislang hat die robuste Binnenwirtschaft ein Abgleiten der Wirtschaft in eine Rezession verhindert. Die Inflationsrate dürfte angesichts gefallener Energiepreise weiterhin um die Marke von 1% schwanken, zum Unmut der EZB. Während die Geldpolitik insgesamt konjunkturstützend bleibt – seit Anfang des Jahres haben Zentralbanken weltweit mehr als 40-mal ihre Leitzinsen gesenkt – könnten ereignisreiche Wochen den Märkten sowohl Süßes bringen als auch „einen Streich spielen“. Dabei gilt: Je geringer die (politisch induzierten) konjunkturellen Abwärtsrisiken, desto größer dürfte die Risikofreude ausfallen. Je größer, desto lauter sollten einmal mehr die Rufe nach einer Lockerung der Fiskalpolitik werden. In China sind weitere Stimuli bereits geplant. In Europa lassen die Budgetzahlen für 2020 zumindest auf einen sanften Lockerungskurs schließen, mehr aber nicht.
Dass sich der November nicht von seiner trüben Seite zeigt,
wünscht Ihnen Ihre
Ann-Katrin Petersen
Vice President, Global Economics & Strategy
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