Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 21.06.2019

Mit einem geldpolitischen Paukenschlag scheint sich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, aus seiner achtjährigen Amtszeit verabschieden zu wollen. Auf der alljährlichen EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra kündigte Draghi am Dienstag eine geldpolitische Lockerung an – zumindest für den Fall, dass sich die Konjunkturperspektiven im Euroraum nicht aufhellen und die Inflationsrate keine Anzeichen zeigt, sich dem Notenbankziel von mittelfristig „knapp unter, aber nahe bei“ 2% anzunähern.

Zuletzt waren die marktbasierten langfristigen Inflationserwartungen für den Währungsraum, gemessen anhand der Break-Even-Werte der 5J5J-Forwards, auf ein neues Allzeittief von unter 1,2% gefallen. Mit anderen Worten: Die Märkte scheinen zunehmend von „japanischen“ Verhältnissen im Euroraum auszugehen. In den Frankfurter EZB-Türmen kursiert daher offenbar die Sorge einer Entankerung der Inflationserwartungen, die sich in Zweitrundeneffekten auf die Lohn- und Preissetzung niederschlagen könnte. Obwohl im Rahmen der Erwartungen, erwies sich dabei nicht gerade förderlich, dass sich die im April verzeichnete Teuerung nur als kurzweiliges Phänomen entpuppte. Bedingt durch das im Jahresvergleich spät gelegene Osterfest sank die Inflation im Mai von 1,7% auf 1,2%, während die Kerninflation von 1,3% auf 0,8% schlitterte.

Und die Märkte? Am Geldmarkt rechnen Anleger inzwischen mit einer EZB-Zinssenkung bis Ende Dezember. Es handelt sich zwar um weniger aggressive Zinssenkungserwartungen als bei der US-amerikanischen Notenbank Fed. Befeuert von Draghis avisiertem „Abschiedsgeschenk“ rutschten die Renditen auf Euroraum-Staatsanleihen mit erstklassiger Bonität allerdings noch weiter in negatives Terrain. Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen markierte einen neuen Tiefststand von über -0,325%. Bis zu einer Laufzeit von 15 Jahren weisen Bunds – und damit sage und schreibe 86% (!) der im Umlauf befindlichen Papiere – inzwischen eine negative Rendite auf. Wichtige Börsenindizes verzeichneten Kursanstiege.

Um eine ungewollte Straffung der Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte zu vermeiden, könnten sowohl die EZB als auch die Fed unter Druck geraten, ihren Worten zeitnah auch Taten folgen zu lassen. Oder zu riskieren, die Bullen an den Anleihe- und Aktienmärkten zu enttäuschen. Ob Zinssenkungen oder gar „QE2“ (bzw. „QE4“ in den USA), also eine Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms, der geldpolitische Kurs des am 1. November antretenden Draghi-Nachfolgers scheint vorgeebnet. Es sei denn, die Konjunktur belebt sich, externe Abwärtsrisiken (u.a. Protektionismus im Welthandel) schwinden und mit ihnen möglicherweise die „japanifizierten“ Inflationserwartungen.

Doch Hoffnungen auf ein „Frühlingserwachen“ der Weltwirtschaft in den Mittelquartalen dieses Jahres haben sich angesichts der erneuten Eskalation des US-geführten Handelskonflikts verflüchtigt. „Ein Schritt vorwärts, zwei zurück“ scheint vielmehr das Motto zu sein. Nach der temporären Erholung im April – unser hauseigener „Macro Breadth Index“ hatte den ersten Anstieg in elf Monaten verzeichnet – erlitten die globalen Makrodaten im Mai einen erneuten Rückschlag. Anhaltende Anzeichen einer Bodenbildung in der Eurozone waren nicht ausreichend, um die schwächeren Indikatoren aus den USA, Japan und insbesondere China auszugleichen, das allein etwa 28% zum weltwirtschaftlichen Wachstum beiträgt.

Die Woche voraus
Sind die Tage des Konjunkturaufschwungs gezählt? Oder schaffen es die Notenbanken, einer Verlangsamung entgegenwirken? Wie stark die geopolitischen Faktoren auf der Weltwirtschaft lasten, werden wohl erst die hochfrequenten Makrodaten der kommenden zwei bis drei Monate zeigen. Von Interesse ist u.a., ob die Schwäche im exportorientierten verarbeitenden Gewerbe auf den bislang robusten Dienstleistungssektor und Konsum durchschlägt. Zu den wesentlichen Taktgebern der kommenden Börsenwoche gehören daher in den USA das Verbrauchervertrauen (Di, Fr), die schwebenden Hausverkäufe (Do) und persönlichen Einkommen und Ausgaben (Fr). Im
Euroraum geben das ifo-Geschäftsklima (Mo) und die vorläufige Juni-Inflationsschätzung (Fr) nicht nur der EZB Datenfutter. Die Einzelhandelsumsätze (Do) und das Sitzungsprotokoll der schon lange „taubenhaften“ Bank of Japan (Fr) stehen in Nippon im Mittelpunkt.

Doch das Hauptaugenmerk richtet sich auf den G20-Gipfel am 28./29. Juni im japanischen Osaka und die Frage, ob Washington und Beijing gesichtswahrend ihre Handelsstreitigkeiten beilegen können. Eines dürfte als sicher gelten: Je länger der Handelskrieg dauert und je breiter er streut, desto größer wird das Risiko eines
abrupten Endes des bereits langlaufenden Aufschwungs von Konjunktur – und von risikobehafteten Anlageklassen.

Active is
Was bedeutet all dies für Anlageentscheidungen? Die sich abzeichnende geldpolitische Lockerung stützt für sich genommen risikobehaftete Anlageklassen. Ob diese „Geschenke“ mittelfristig jedoch ausreichen, um eine anhaltend aufgehellte Stimmung an den Börsen zu erzeugen, scheint mit einem Fragezeichen behaftet. Zumindest solange sich keine Belebung bei den Konjunkturindikatoren durchsetzt. Für letzteres wäre unter anderem konstruktiveres handelspolitisches Gezwitscher – ob per Twitter
oder auf konventionellerem Weg – eine wichtige Voraussetzung.

Dies legt einerseits ein breit gestreutes Portfolio nahe, andererseits eine taktisch vorsichtige Positionierung bei risikobehafteten Anlagen in einem Multi-Asset-Kontext, die eine aktive Selektion von Wertpapieren mit Leben füllt.

Bisweilen schaut man einem geschenkten Gaul doch ins Maul, meint Ihre

Ann-Katrin Petersen


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