Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 13.09.2019

"Es ist nicht alles Gold, was glänzt"

Vor acht Jahren, am 6. September 2011, markierte der Goldpreis sein bisheriges Allzeithoch von rund 1.920 US-Dollar pro Feinunze. Nach dem Beginn der Normalisierung der Geldpolitik in der Mitte der Dekade hatte das Edelmetall meist in der Spanne von 1.050 bis 1.350 Dollar gehandelt, bevor der Kurs im Sommer 2011 nach oben ausbrach und über die Marke von 1.500 kletterte.

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass der Goldpreis mittelfristig weiter steigen könnte: Die erneute Lockerungspolitik der Notenbanken weltweit – mit nur wenigen Ausnahmen wie der Norges Bank – übt für sich genommen fortgesetzt Abwärtsdruck auf die Anleiherenditen aus. So verkündete die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer Ratssitzung am Donnerstag nicht nur ein umfassendes Lockerungspaket, sondern signalisierte weitere Handlungsbereitschaft. Neben den realen, d.h. um die Inflation bereinigten, Zinsen verharren zunehmend auch nominale Sätze unter der Nullmarke. Gold – eine Währung, die 0% Zinsen „zahlt“– profitiert von den mittlerweile sogar negativen Opportunitätskosten der Goldhaltung. Kurzfristig scheint Gold jedoch überkauft zu sein.

Auch mit Blick auf die Börsen fragt sich gegenwärtig so manch‘ Anleger, ob tatsächlich alles Gold ist, was glänzt. Maßgeblich für die höheren Aktienkurse – der globale MSCI-Aktienindex hat seit Jahresbeginn ein Plus von etwa 18% verzeichnet, gegenüber dem Vorjahr von rund 5% – scheint ebendieser Eifer der Notenbanken zu sein, weitere Stimulierungsmaßnahmen zu lancieren. Gleichzeitig hat sich die stetige Abschwächung der Weltwirtschaft im August fortgesetzt, trotz der (zögerlichen) Stabilisierung „weicher“ Früh- und Stimmungsindikatoren. Auf Dreimonatssicht verschlechterten sich die Makrodaten in allen großen Industrie- und Schwellenländern und waren auf globaler Ebene in 17 der letzten 19 Monate rückläufig. Für sich genommen kein Grund für überschäumenden Enthusiasmus. Für eine anhaltend aufgehellte Börsenstimmung wird entscheidend sein, ob den Notenbankern und Finanzministern eine (seltene) „weiche Landung“ des alternden globalen Konjunkturzyklus gelingt, mit der die Grundlage für einen erneuten Aufschwung gelegt werden könnte. Die hohen Markterwartungen an die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger bergen unseres Erachtens ein gewisses Enttäuschungspotenzial (wie die jüngste Gegenbewegung bei Kernstaatsanleiherenditen offenbart hat).

Immerhin scheinen mehrere politische Stolpersteine vorerst aus dem Weg geräumt: Die neue italienische Regierung schlägt fiskalpolitisch einen weniger konfrontativen Kurs mit Brüssel ein. Das britische Parlament hat unlängst das Szenario eines ungeordneten Brexit am 31. Oktober eingedämmt. Premier Johnson muss nun entweder bis zum 19. Oktober einen (neuen) Deal mit der EU unterbreiten oder um einen dritten Aufschub bitten. Und bei den US-chinesischen Handelsgesprächen zeichnen sich zumindest verhaltene positive Signale ab.
 

Die Woche voraus.

Auch in der kommenden Börsenwoche geben die Zentralbanken den Takt für die Kapitalmärkte vor. In den USA richtet sich das Augenmerk auf den Zinsentscheid der Federal Reserve (Mi). Der US-Geldmarkt preist mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 95% eine zweite „vorsorgliche“ Leitzinssenkung von 25 Basispunkten ein. Das Zielband für die Fed Funds Rate läge dann bei 1,75-2,00%. In der Vergangenheit haben „insurance rate cuts“ der Fed in Summe maximal 75 Basispunkte betragen. Die Bank of England (BoE) steht weiterhin vor einem Dilemma. Obwohl sich binnenwirtschaftlicher Preisdruck aufbaut – in den drei Monaten bis Juli fiel die britische Arbeitslosenquote auf 3,8%, den tiefsten Stand seit 44 Jahren, während die Löhne ein Plus von 4,0% verzeichneten, so kräftig wie seit über zehn Jahren nicht mehr – dürfte die BoE am Donnerstag in Anbetracht der anhaltenden Brexit-Ungewissheit vorerst die Füße stillhalten. Ob die Notenbanker perspektivisch am Leitzins schrauben – und wenn ja, in welcher Richtung – wird davon abhängen, wie der EU-Austritt vonstattengeht.

Die Weltkonjunktur befindet sich zwar beileibe nicht in einem freien Fall, der unvermeidlich und zeitnah in die Rezession führt. Doch lasten die fortdauernde Schwäche im Handel und geopolitische Unsicherheiten weiterhin schwer auf dem verarbeitenden Gewerbe. Mit Argusaugen beobachten Investoren, ob sich Abstrahleffekte auf den bislang robusten, binnenwirtschaftlich orientierten Dienstleistungssektor bemerkbar machen. Im Blickpunkt wird u.a. stehen, ob sich die Industrieproduktion in den beiden Supermächten China (Mo) und den USA (Di) wie erwartet erholt hat. Hinweise darauf, ob Deutschland im dritten Quartal in eine „technische“ Rezession gerutscht ist, liefert der ZEW-Index (Di). In Japan dürften die Exporte (Mi) auf einen kurzfristig nur mäßigen Anstieg der Wirtschaftsleistung schließen lassen. Im Vorfeld der für Oktober geplanten Mehrwertsteuererhöhung sind zudem die Bedenken hinsichtlich der Belastbarkeit des privaten Konsums gestiegen. Ein Umfeld, in dem die Bank of Japan (Do) den Markterwartungen entsprechend unverändert an ihrem lockeren Kurs festhalten wird. Eine Zinssenkung Ende Oktober würde am Geldmarkt jedoch nicht für eine Überraschung sorgen.

Active is.

Was bedeutet all dies für Anlageentscheidungen? Die sich abzeichnende geldpolitische Lockerung stützt für sich genommen risikobehaftete Anlageklassen. Ob dies mittelfristig jedoch ausreicht, um eine anhaltend aufgehellte Stimmung an den Börsen zu erzeugen, scheint weiterhin mit einem Fragezeichen behaftet. Zumindest solange eine Belebung bei Konjunktur und Unternehmensgewinnen ausbleibt. Dies legt einerseits ein breit gestreutes Portfolio nahe, andererseits eine taktisch vorsichtige Positionierung bei risikobehafteten Anlagen in einem Multi-Asset-Kontext, die eine aktive Selektion von Wertpapieren mit Leben füllt.

In einem globalen Aktienportfolio bevorzugen wir derzeit beispielsweise den US-Aktienmarkt aufgrund seines niedrigen Betas (d.h. der historisch relativ geringeren Sensitivität zum Weltaktienmarkt) sowie defensive Sektoren. Der breite US-Dollar dürfte sich angesichts politischer und zyklischer Belastungsfaktoren und der erwarteten global synchronisierten Lockerung der Geldpolitik vorerst weiter gut behaupten – jedoch vor allem gegenüber Schwellenländerwährungen aus dem asiatischen Raum, weniger gegenüber den internationalen Reservewährungen und „sicheren Häfen“ japanischer Yen und Schweizer Franken.

Gerade in „Glanzzeiten“ lohnt sich das genaue Hinschauen, meint Ihre

Ann-Katrin Petersen
Vice President, Global Economics & Strategy


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