Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 08.10.2021

Mit oder ohne „Vollgas“ ins Winterhalbjahr?

Es bleibt dabei: Die unmittelbaren Aussichten für die Weltkonjunktur werden maßgeblich durch vorherrschende Angebotsknappheiten beeinflusst. Mitten im Börsenherbst sind die Energiepreise weltweit in die Höhe geschnellt. Bisher haben höhere Öl- und vor allem Gaspreise zwar die Inflationsdebatte angeheizt, die Konjunkturerholung jedoch nicht spürbar beeinträchtigt. Das könnte sich in den kommenden Monaten ändern.

  • Nach dem kräftigen Rückgang im Ausnahmejahr 2020, als die globale Wirtschaftsaktivität pandemiebedingt zeitweise zum Erliegen kam, stieg der Rohölpreis der Sorte Brent zu Wochenbeginn auf über 80 US-Dollar je Barrel. Der Preisanstieg von mehr als 50% seit Januar 2021 auf ein Siebenjahreshoch ist das Ergebnis einer kräftigen Nachfrage – Spiegelbild des globalen Konjunkturaufschwungs – bei einem gleichzeitig begrenzten Angebot. Angebotsseitig ist von der OPEC in naher Zukunft wohl keine Entlastung zu erwarten. Die Förderländer beschlossen am Montag, die Ölhähne wie geplant nur moderat aufzudrehen. Angesichts der angespannten Versorgungslage haben Marktbeobachter ihre Ölpreisprognosen nach oben korrigiert.
  • Noch dynamischer fällt der Anstieg der Erdgaspreise aus. In Europa haben sich die Gaspreise seit Jahresbeginn mehr als und in Großbritannien knapp verdreifacht. Die Ursprünge dieser Gaspreisentwicklung sind vielfältig und reichen bis in den letzten Winter (2020/21) zurück, als sehr kalte Temperaturen in Nordostasien zu einem erhöhten Bedarf nach Flüssigerdgas (LNG) führten. Angebotsseitig schlugen unter anderem eine geringere europäische Gasproduktion, niedrigere russische Gasexporte gepaart mit begrenzten Lagervorräten zu Buche.

Für Notenbanker und Anleiheinvestoren stellt sich einmal mehr die Frage, ob höhere Inflationsraten ein „transitorisches“, „dauerhaftes“ oder – mit einem gewissen Augenzwinkern – womöglich „dauerhaft transitorisches“ – Phänomen sind.

Ob wir sprichwörtlich mit oder ohne „Vollgas“ ins europäische Winterhalbjahr starten, dürfte insbesondere von drei Faktoren abhängen:

1 Fällt der Winter überdurchschnittlich streng oder lang aus? Selbst die Erwartung eines solchen würde die Gaspreise vorerst hoch-halten, während Lagerbestandsquoten von ca. 75% für „durchschnittliche“ Temperaturen als ausreichend angesehen werden.

2 Bahnt sich eine Lösung in der politischen Gemengelage rund um das betriebsbereite Nord Stream-2-Projekt an? Und auch: Wie steht die neue Bundesregierung dazu?

3 Inwiefern wird eine Ausweitung der Energieproduktion im nichteuropäischen Ausland (z.B. USA) im Zuge attraktiver Preise und nachlassender Corona-Beschränkungen für Entlastung sorgen?

Dabei ist die Inflationswirkung von Öl direkter als die von Gas. Im Euroraum etwa fließt Energie mit einer Gewichtung von 9,5% in den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) ein, wobei flüssige Brennstoffe (Benzin, Diesel und Heizöl) den größten Anteil (4,1% des gesamten HVPI) bilden, gefolgt von Strom (2,9%) und Gas (1,9%). In der Praxis hängen die Auswirkungen auf die Gesamtinflation auch von der Weitergabe der Großhandels- auf die Einzelhandelsenergiepreise ab. Zudem sind die Gas- und Strompreise in einigen europäischen Ländern zumindest teilweise reguliert.

Die Woche voraus.

Es bleiben spannende Zeiten für die Geldpolitik. Auf der virtuellen Jahrestagung des Institute of International Finance (Mo-Fr) melden sich eine Reihe von hochrangigen Notenbankern zu Wort, die eine Fortsetzung des Normalisierungskurses signalisieren dürften, wenngleich mit regional unterschiedlichem Tempo.

So sollten in den USA das Protokoll der letzten FOMC-Sitzung (21./22. September) und die Inflationsentwicklung im September (Mi) untermauern, dass eine Drosselung der Anleihekäufe noch vor Jahresende beginnt. In China dagegen, wo bis zuletzt höhere Erzeugerpreise kaum auf die Verbraucherpreise (Do) überwälzt wurden, wären weitere geldpolitische Lockerungsschritte keine Überraschung. Für die Bank of England ist derweil von Interesse, wie der britische Arbeitsmarkt auf das Ende des Kurzarbeitprogramms „Furlough“ reagiert (Di). Eine robuste Beschäftigung spräche für einen ersten Zinsschritt bereits im ersten Quartal 2022, noch vor der US-Notenbank.

Im Hinblick auf die Konjunkturperspektiven stechen in der kommenden Woche die Veröffentlichung des World Economic Outlook des IWF (Di), der US Empire State Manufacturing Index, die Verbraucherstimmung der Uni Michigan (Fr) sowie der deutsche ZEW-Index hervor. Diese sollten in Summe das Szenario einer soliden Konjunktur bei nachlassendem Wachstumstempo und anhaltendem Inflationsdruck untermauern. Je länger die (Energie-)Preise erhöht bleiben, desto höher ist dabei das Risiko von Bremsspuren beim privaten Verbrauch und der Investitionstätigkeit.

Zu guter Letzt wird die Berichtssaison zum dritten Quartal eine wichtige Orientierung für die Märkte sein. Nach dem schwachen Jahresauftakt waren die Unternehmensgewinne im zweiten Quartal kräftig ausgefallen. Im Einklang mit einem nachlassenden Konjunkturmomentum sollte ein solides, jedoch etwas gemächlicheres Gewinnwachstum nicht überraschen.

Der Blick auf den Kalender zeigt: Es ist noch lange nicht Winter.

Ihre Ann-Katrin Petersen
Vice President, Global Economics & Strategy


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