Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 08.01.2021

Widerstandsfähigkeit

Als im abgelaufenen Jahr 2020 der sinoamerikanische Handelskrieg von einer globalen Pandemie überholt wurde, hätten es selbst die Optimistischsten unter uns nicht zu hoffen gewagt: Die Finanzmärkte erwiesen sich am Ende als bemerkenswert widerstands-fähig gegenüber der schlimmsten – nicht nur ökonomischen – Krise seit dem 2. Weltkrieg.

Einige Länder haben zwar derzeit mit neuen Infektionswellen und den Auswirkungen erneuter Lockdowns zu kämpfen, insgesamt hat aber die Weltwirtschaft das Rezessionstal dank signifikanter geld- und fiskalpolitischer Hilfspakete der Staaten und Notenbanken durchschritten. Diese Maßnahmen waren notwendig und hilfreich, könnten aber nennenswerte Spätfolgen haben:

  1. Die durch die geldpolitischen Stimuli verursachte Überschussliquidität blieb nicht ohne Auswirkung auf die Kapitalmärkte – Besonders die hohen Bewertungen der Staatsanleihen in den USA und der Eurozone bei vorherrschenden Negativrenditen dürften auch durch die Geldpolitik zu erklären sein.
  2. Die Verschuldung des öffentlichen und privaten Sektors ist inzwischen sehr hoch. Falls die Erholung deutlich an Dynamik verliert, könnten die Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Schulden zu bedienen – was das Risiko vermehrter Zahlungsausfälle birgt.
  3.  Durch die geldpolitische Liquiditätsschwemme, die virusbedingten Lockdowns und die andauernden Handelskonflikte sowie die davon verursachten Nachfrageschocks steigt das Risiko eines mittelfristigen Anstiegs der Waren- und Dienstleistungspreise.

Bis die Weltwirtschaft nach der jähen Unterbrechung durch Covid-19 wieder auf den alten Wachstumspfad zurückfindet, könnten noch Jahre vergehen. Umso mehr, als sich das globale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nach dem rasanten Anstieg im dritten Quartal 2020 jüngst spürbar verlangsamte (nicht zuletzt aufgrund der wieder eingeführten Covid-Restriktionen in Europa und den USA).

Viel hängt 2021 davon ab, wann wirksame Impfstoffe und Behandlungsmethoden in der Breite zur Verfügung stehen. Die ersten Impfungen laufen bereits, auch in Europa.

In den letzten Wochen konnte sich der Markt inmitten konjunktureller und politischer Unsicherheit als äußert robust erweisen. Aktien erreichten gar neue Allzeit- bzw. Post-Pandemie-Höchststände. Dies nicht zuletzt auch wegen der Einigung über ein neues US-Konjunkturpaket, Fortschritten bei den Brexit-Verhandlungen und beginnender Covid-Impfungen.

Diese Widerstandsfähigkeit könnte jedoch schon bald auf die Probe gestellt werden, denn die Finanzmärkte haben bereits eine rasche, wenn auch unsichere Erholung eingepreist. Und der Konsensus unter den Investoren ist laut jüngsten Positionierungs-umfragen im Vergleich zur Vergangenheit wohl etwas zu optimistisch. Vor diesem Hintergrund bedarf es 2021 einer breiten Aufstellung – die auch andere Regionen, Sektoren und Strategien berücksichtigt als diejenigen, die sich zuletzt gut entwickelt haben.

Taktische Allokation: Aktien & Anleihen

  • Die Weltwirtschaft hat das Rezessionstal durchschritten. Aber bis sie nach der jähen Unterbrechung durch Covid-19 wieder auf den alten Wachstumspfad zurückfindet, könnten noch Jahre vergehen.
  • Die Widerstandsfähigkeit der Konjunktur wird in den kommenden Quartalen entscheidend davon abhängen, wann wirksame Impf-stoffe und Behandlungsmethoden in der Breite zur Verfügung stehen und damit einen phasenweisen Rückgang zur Normalität ermöglichen.
  • Die Staaten und Notenbanken haben mit signifikanten geld- und fiskalpolitischen Hilfspaketen auf die Rezession reagiert. Das kann langfristig allerdings einen wirtschaftlichen Tribut fordern (u. a. hohe Preise für Vermögenswerte in einigen Märkten, hohe Verschuldung sowie zunehmende Volatilität der Inflation).
  • Angesichts der weitreichenden Zusagen der Notenbanken dürften die kurzfristigen Zinsen bis auf Weiteres auf ihrem extrem niedrigen Niveau verharren. Währenddessen könnten die Neuauflage der finanziellen Repression und massive Staatsverschuldung die Renditen am langen Ende der Zinskurve nach oben treiben.
  • Der Anlagenotstand verschärft die Jagd nach Kapitaleinkommen weiter. Aktien und risikoreichere Anlageformen dürften davon profitieren. Doch angesichts der immer noch zahlreichen Unbekannten sollten Investoren auf ein ausgewogenes Aktienportfolio setzen. Das beinhaltet, 2021 auch andere Regionen, Sektoren und Strategien zu berücksichtigen als diejenigen, die sich zuletzt gut entwickelt haben

Investmentthema: RCEP – das weltgrößte Handelsabkommen

  • Nach achtjährigen Verhandlungen haben 15 Länder aus dem asiatisch-pazifischen Raum im November 2020 offiziell den Vertrag zur Gründung der Regional Comprehensive Economic Partnership („RCEP“) unterzeichnet.
  • Dadurch entsteht ein neuer Wirtschaftsblock, dem ein Drittel der Weltbevölkerung angehört, in dem knapp ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird und in dem sich knapp ein Drittel des Welthandels vollzieht.
  • Die RCEP ist ein wichtiger Schritt hin zu einer umfassenden regionalen Integration in Asien. Mittelfristig wird sie die regionalen Lieferketten stärken und eine engere wirtschaftliche Verzahnung ermöglichen, um das Wachstum in der gesamten Region anzukurbeln.
  • Engere Handels- und Investitionsbeziehungen dürften wiederum die Finanzmarktintegration in der Region Asien-Pazifik vertiefen. Dabei werden die ASEAN-Länder wohl noch umfassender in Chinas Lieferketten eingebunden.
  • China dürfte beträchtlich von dem Abkommen profitieren, aber für andere RCEPMitgliedsstaaten könnte der Nutzen sogar noch größer sein: Die ASEAN-Länder, Japan und Südkorea dürften ihre Wertschöpfungsketten künftig besser ausbauen können.

Widerstandsfähigkeit wünscht Ihnen Ihr
Stefan Scheurer

Director, Global Capital Markets & Thematic Research


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