Aufklarung naht
Nachdem das dritte Quartal 2020 ganz im Zeichen von Konjunkturerholung, Kursgewinnen und vielerorts sommerlicher Entspannung bzgl. des Pandemieverlaufs stand, dominierte bei den Anlegern zuletzt wieder die Unsicherheit. Dies hat zu steigenden Kursschwankungen bei vielen Vermögensklassen geführt. Wichtig ist festzuhalten: Einige dieser Faktoren sollten von eher kurzlebiger Natur sein, und auch ein frostiger Virus-Winter dürfte wieder enden.
Eine der entscheidenden Fragen war: Wer wird der nächste US-Präsident? In den letzten Wochen haben sich die Aktieninvestoren zunehmend mit einem Sieg des demokratischen Herausforderers Joe Biden arrangiert, ja geradezu angefreundet. Dies vor allem wegen der Aussicht auf ein größeres Fiskalpaket. Die Wahllokale sind geschlossen, die Klärung einiger wichtiger Fragen sollte anstehen
Für europäische Anleger naht außerdem eine finale Richtungsentscheidung in der Brexit-Saga. Auch wenn dieser Unsicherheitsfaktor die Kapitalmärkte zuletzt nicht mehr in Aufruhr versetzt hat, dürfte eine Klarstellung des zukünftigen Beziehungsstatus der beiden Verhandlungspartner EU und Großbritannien hilfreich sein. Eine Verhandlungslösung in letzter Sekunde könnte dem gebeutelten britischen Aktienmarkt, vor allem den Titeln aus der zweiten Reihe, guttun. Spiegelbildlich gilt jedoch auch: Ein furioser „No-Deal-Brexit“ dürfte in den meisten Kursen nicht enthalten sein.
Verbleibt der in den letzten Wochen wieder stark an Bedeutung gewonnene Unsicherheitsherd: die globale Pandemie. Vor allem europäische Länder, die abgesehen von einigen Ausnahmen im Frühjahr das Virus mit beherzten Maßnahmen vergleichsweise schnell und geordnet eindämmen konnten, sind in den letzten Wochen besonders von einer zweiten Infektionswelle getroffen worden. Die Anleger müssen sich nun wieder auf strenge, zeitlich zunächst begrenzte Einschränkungen des öffentlichen Lebens einstellen. Davon sind auch die beiden größten Volkswirtschaften Europas, Deutschland und Frankreich, betroffen. In den USA und in anderen Ländern, vorwiegend der nördlichen Hemisphäre, ist eine zweite Infektionswelle ebenfalls erkennbar. In China und in vielen asiatischen Ländern erscheint die Lage währenddessen kontrollierbarer.
Dabei ist auch für dieses Störfeuer zu hoffen, dass es nicht all zu langlebig sein dürfte: Zum einen scheint es weitere Fortschritte bei der Entwicklung eines Impfstoffes zu geben, was das Sentiment beruhigen könnte. Zum anderen reagieren die Regierungen gezielter als während der ersten Lockdown-Phase. Zudem dürften die Regierungen im Zweifel ihre fiskalischen Sicherheitsnetze für Konsumenten, Arbeitnehmer und Unternehmen beibehalten, an einzelnen Stellen womöglich sogar verstärken. Während die Geldpolitik letztlich wenig zur Eindämmung des Virus beitragen kann, dürften die Zentralbanken alle Anstrengungen zur Verbesserung der Finanzmarktbedingungen aufrechterhalten. Eine Ausweitung von Ankaufprogrammen könnte bei einem schlechter als erwarteten Konjunkturverlauf oder ins Rutschen geratenden Inflationserwartungen schnell wieder auf die Agenda kommen. Dies hilft zuallererst, eine starke Ausweitung der Risikoprämien an den Kapitalmärkten zu verhindern.
In der Erwartung auf nahende Aufklarung bei einigen der großen Unsicherheitsfaktoren sollten Anleger über einen vermutlich stürmischen November hinausschauen. Auch scheinen einige Anleger, die die überraschend starke Kurserholung ab Ende März zu großen Teilen verpasst haben, auf eine Einstiegsgelegenheit zu warten.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Der Höhepunkt der Erholungsbewegung nach dem ersten Virus-Schock liegt hinter uns. Während viele Konjunkturindikatoren aus dem. Bereich Produktion weiter steigen, bleibt die Entwicklung in zahlreichen Dienstleistungssektoren gedämpft und dürfte sich über den Winter wieder abflachen.
- In Deutschland und Frankreich sind gegenüber dem Frühjahr leicht abgeschwächte Lockdown-Maßnahmen beschlossen worden, mit dem Ziel die zweite Infektionswelle hart, aber zügig zu brechen. Auch wenn ihr Einfluss auf die Konjunktur deutlich milder sein sollte als im Frühjahr, dürften bei den Wachstumsprognosen Abwärtsrevisionen anstehen.
- Je ungünstiger der Pandemieverlauf sein wird, desto eher dürften Regierungen bereit sein, ihre fiskalischen Sicherheitsnetze für Haushalte und Unternehmen aufrechtzuerhalten bzw. zu verstärken. Gleiches gilt für die massive geldpolitische Unterstützung der Zentralbanken.
Trotzen Sie den stürmischen Zeiten, Ihr
Stefan Rondorf
Senior Investment Strategist, Global Economics & Strategy