In der Hitze des Gefechts
Rund ein Jahr nachdem sich die Corona-Pandemie erstmals nachdrücklich an den Kapitalmärkten niedergeschlagen hat, fällt das Fazit gerade für die etwas mutigeren Anleger reichlich positiv aus: Viele wichtige Aktienindizes vor allem außerhalb Europas, Öl und richtungsweisende Industriemetallpreise wie Kupfer oder Aluminium handeln teilweise deutlich über den Niveaus von Mitte Februar 2020. An wenigen ausgewählten Ecken und Enden der Kapitalmärkte reichte zuletzt eine Beschreibung mit „positiv“ nicht mehr aus: Die Aktien einiger, meist junger amerikanischer Technologieunternehmen sowie viel beachtete Kryptowährungen wiesen vermehrt Fahnenstangen ähnelnde Kursverläufe auf (so steil ging es nach oben). In Verbindung mit reichlich Gewinnfantasie beziehungsweise großen Hoffnungen auf stärkere Verbreitung ist dies ein Indiz für immer mehr überhitzte Gemüter bei manchen Marktteilnehmern.
Zunehmend erhitzen sich auch volkswirtschaftliche Debatten. Zunächst konnten die Folgen der Viruskrise durch beherzte und koordinierte Maßnahmen von Geld- und Fiskalpolitik einigermaßen erfolgreich eingedämmt werden. Nun stellt sich die Frage, wie viel Stimulus noch nötig ist, wenn sich eine Normalisierung der Wirtschaftsaktivität durch voranschreitende Impfprogramme am Horizont abzeichnet. Sollte die neue US-Regierung tatsächlich ihr geplantes Stimuluspaket im Umfang von 1,9 Billionen US-Dollar verabschiedet bekommen, summierte sich die bisher als Antwort auf die Viruskrise geflossene fiskalische Unterstützung für die US-Wirtschaft auf etwa 25 % des unter normalen Umständen möglichen Bruttoinlandsprodukts. Dies schürt nicht ganz unbegründete Sorgen vor einer zeitweiligen Überhitzung der Wirtschaft. Denn auch die durch die Lockdowns erzwungenen Ersparnisse der US-Haushalte von geschätzt ca. 1,6 Billionen US-Dollar sollten nach den Lockdowns zusätzliche Kaufkraft freisetzen. Damit einhergehende Sorgen um anziehende Inflationsraten haben jüngst die Anleihemärkte verunsichert. Und die Renditen amerikanischer 10- jähriger Staatsanleihen sind merklich gestiegen. Derzeit ist diese Bewegung aber als Zeichen von mehr Zutrauen in eine Normalisierung der Wirtschaftsaktivitäten zu sehen. Die Zentralbanken haben zuletzt deutlich gemacht, ihren Kurs großzügiger geldpolitischer Unterstützung auch während einer anfänglich kräftigen Wirtschaftserholung im Jahresverlauf aufrechterhalten zu wollen. Festzuhalten ist dabei auch, dass sich die Diskussion über eine mögliche Überhitzung der Wirtschaft derzeit auf die USA konzentriert. Mit Blick auf die Kapazitätsauslastung und die im ersten Quartal 2021 eher schleppend angelaufene Impfkampagne in Kontinentaleuropa erscheinen solche Diskussionen an dieser Stelle noch weit weg.
Im Weitwinkel betrachtet, dürften sich das Niedrigzinsumfeld und die Jagd nach Rendite also vorerst fortsetzen.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Auch wenn die anhaltenden Lockdown-Maßnahmen die Konjunktur am aktuellen Rand abbremsen, überraschen die Wirtschaftsdaten derzeit in der Breite weiterhin positiv – vor allem in den USA, aber auch in Asien. Sektoral bleibt das zweigeteilte Bild: Das produzierende Gewerbe setzt seine Erholung fort, der Dienstleistungssektor leidet weiter
- Aufkommende Inflationssorgen dürften die Staatsanleihemärkte stärker belasten als die Aktienmärkte – schlussendlich verbriefen Aktien Anteile am realen Produktivvermögen, welches in einem Inflationsumfeld auch an Wert gewinnt. Innerhalb der Aktienmärkte sollten aber zuletzt heiß gelaufene Segmente, wie z. B. junge US-Technologieunternehmen, zu Korrekturen neigen.
- Während auf den Aktienmärkten eher selektiv überhöhte Bewertungen festzustellen sind, können die globalen Staatsanleihemärkte als in der Breite überbewertet angesehen werden.
- Die Cash-Bestände der internationalen Investoren sind, gemessen an den seit Ausbruch der Pandemie kumulierten Mittelzuflüssen in die Geldmarkt-Fonds, hoch. Und es ist zu erwarten, dass diese auf der Suche nach Rendite weiter im „Risiko-an-Modus“ verharren, auch um dem Niedrig-/Negativzinsumfeld zu entgehen.
- In der Gesamtsicht liegt es nahe, Aktien gegenüber Anleihen weiterhin überzugewichten, wenn auch Vorsicht angebracht bleibt.
Aktien
- Der US-Aktienmarkt weist eine erhöhte Bewertung und in einzelnen Segmenten klare Übertreibungstendenzen auf. Gestiegene Handelsvolumina sowie hohe Emissionsvolumen von intransparenten Investmentvehikeln wie SPAC („Special Purpose Acquisition Companies“) sind zu beobachten. Dennoch weisen die globalen Aktienmärkte in der Breite noch wenig Tendenzen für eine Blasenbildung auf.
- Je erfolgreicher die Impfprogramme, je realer die Perspektive auf eine Wiedereröffnung von Wirtschaftsaktivitäten, desto mehr dürften sich Anleger solchen Unternehmen zuwenden, die von der Pandemie stark betroffen waren. Die Favoriten im „Stay-at-home“-Umfeld (also die Gewinnersegmente der Lockdowns) sollten entsprechend an Strahlkraft verlieren.
- Aktienanleger sollten sich gedanklich auf ansteigende Inflation einstellen, vor allem auf eine stärkere Schwankung der Inflationsraten. Historisch bedeutete ein Anstieg der Volatilität von Inflation Gegenwind für die Bewertung von Aktien. Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht sollten dies teilweise durch bessere Gewinndynamik ausgleichen können.
- Langfristig ist das Thema „Nachhaltigkeit“ aus keiner Anlageentscheidung mehr wegzudenken. Anleger dürften gut damit fahren, wenn sie auf die Integration von ESG-Kriterien bei ihrer Anlageauswahl achten.
Anleihen
- Während die Staatsanleiherenditen zunächst wegen einer Normalisierung der Inflationserwartungen (steigende Break-even-Inflationsraten) gestiegen sind, erhöhten sich zuletzt auch die Realrenditen. Anleger an den Rentenmärkten verlangen zudem wieder eine etwas höhere Entschädigung für Zinsänderungsrisiken (Zeitprämien).
- Insgesamt sind die US-Renditen aber weiter historisch niedrig. Sie bleiben anfällig für ein Szenario einer schnellen Wiedereröffnung der Volkswirtschaften und für stärkere Schwankungen in den Inflationsraten. Dennoch gilt: Die Zentralbanken haben kein Interesse an einer zu schnellen, zu starken Eintrübung der finanziellen Bedingungen. Um dies zu verhindern, dürften sie im Zweifel nicht nur verbal intervenieren
- Zyklische Faktoren sprechen für eine Fortsetzung des Versteilerungstrends bei den Staatsanleihekurven der USA und der Eurozone.
- Peripherie-Staatsanleihen bleiben durch massive Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB) und erste Schritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen Fiskalpolitik („Recovery Fund“) gut unterstützt. Hierzu trägt auch die Formierung der neuen überparteilichen Regierung in Italien bei, trotz einer derzeit noch schleppenden inländischen Konjunktur in dieser Region.
- Das fundamentale Umfeld für Unternehmensanleihen (besserer wie schlechterer Bonität; „Investment Grade“ wie „High Yield“) könnte sich im Jahresverlauf zunehmend entspannen. Je besser und näher die Öffnungsperspektive, desto günstiger die Einschätzung der Kreditrisiken. Investment GradeAnleihen profitieren weiter von großvolumigen Ankäufen durch Zentralbanken, dürften allerdings auch stärker unter ansteigenden Staatsanleiherenditen leiden.
- Anleihen der aufstrebenden Staaten sollten weiter von der „Jagd nach Rendite“ profitieren, unabhängig davon ob sie auf Landeswährung oder auf Hartwährungen wie den US-Dollar lauten. Aus konjunktureller Sicht dürften sich asiatische Schwellenländer weiter als besonders robust erweisen. Die finanziellen Bedingungen für rohstoffexportierende Länder sollten sich verbessern.
Behalten Sie einen kühlen Kopf,
wünscht Stefan Rondorf
Senior Investment Strategist, Global Economics & Strategy
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