Unsicherheit
Die Invasion der Ukraine stehen die Welt wie auch die Kapitalmärkte vor einer Phase erhöhter Unsicherheit. Anders als bei „Risiko“, bei dem die Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt sind, ist bei „Unsicherheit“ der weitere Verlauf nicht absehbar. Die Geschlossenheit, mit der die Sanktionen gegen Russland eingeführt wurden, sowie auch erste Signale einer Verhandlungsbereitschaft zwischen den beiden Ländern lassen zwar auf eine Entspannung hoffen, abschätzbar ist dies aber nicht. Die erhöhte Unsicherheit führt in der Folge nicht nur zu erhöhten Risikoprämien an den Kapitalmärkten, sondern lässt auch, je länger sie dauert, erhöhte realökonomische Anpassungen erwarten. Übertragungsmechanismen sind hier das ökonomische „Sentiment“, die „Stimmung“, der Ölpreis und in der Folge dann die Inflationsraten. Die Vergangenheitsbetrachtung lehrt dabei, eine Verdoppelung des Ölpreises, real (also ohne Inflationseffekte), lässt die Rezessionswahrscheinlich steigen. Das Gute dabei ist nur, dass dieser Anstieg über eine Zwei-Jahres-Periode erfolgen muss. Aus heutiger Sicht erscheint das noch erträglich, aber die jüngsten Anstiege auf über 100 USDollar je Barrel der Sorte Brent dürfen sich nicht lange fortsetzen.
Ökonomisch betrachtet lassen sich die Folgen der Ukraine-Invasion auf die Formel bringen: Höhere Inflation, niedrigeres Wachstum. Inwieweit die großen Zentralbanken dies zum Anlass für eine Strategieanpassung nehmen, wie vereinzelt schon erwartet wird, bleibt abzuwarten. Sowohl die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) als auch die Europäische Zentralbank (EZB) sehen sich seit geraumer Zeit einem inflationären Impuls gegenüber, der schon vor den jüngsten Anstiegen der Rohölpreise bemerkbar war.
Das Marktumfeld bleibt damit weiterhin von der Invasion der Ukraine dominiert. Anleger scheinen gut beraten, wenn sie sich auf erhöhte Volatilität einstellen. Der Anlagenotstand wird dadurch nur größer. Denn während die Unsicherheit gestiegen ist, notieren 70 % des globalen Anleihevolumens unverändert unter dem Inflationsziel der EZB von 2 %. Unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes bedeutet dies reale Verluste.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Die stabile, von den Daten her einem Sägezahnmuster gleichende Konjunktur hat an positivem Überraschungsmomentum verloren. Die Volkswirte werden kaum noch von über den Erwartungen liegenden Daten überrascht.
- Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Revisionen der Erwartungen für die Unternehmensgewinne. Das Verhältnis von positiven zu negativen Gewinnrevisionen hat, nach einer starken Aufwärtsbewegung, an Dynamik verloren.
- Die Konjunktur steht leicht unter dem Risiko eines steigenden Ölpreises. Zwar ist die Energieintensität – nicht nur der Industriestaaten – über die zurückliegenden Jahrzehnte deutlich zurückgegangen, was sich auch in gesunkenen (!) Treibhausgasemissionen bemerkbar macht. Aber die Historie lehrt, dass das Risiko einer Rezession ceteris paribus nach einer Verdoppelung des Ölpreisanstieges über einen Zweijahreszeitraum ansteigt. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren kostete ein Barrel Öl der Sorte WTI zwischen 50 und 60 Dollar.
- In Anbetracht des immer noch vorherrschenden negativen (Real-) Renditeumfelds bleibt der Anlagenotstand weiter bestehen, was Sachwerte wie Aktien strukturell begünstigen sollte. Die aktuell erhöhten Unsicherheiten im Kontext des Ukraine-Konflikts legen jedoch eine vorsichtigere Allokation nahe.
Aktien
Wie die globale Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern zeigt, ist der Risikoappetit für US-Aktien und Technologiewerte rückläufig. Rohstoff- und Energiewerte sowie Aktien von Unternehmen Großbritanniens haben dagegen in deren Gunst zugelegt. Auch Aktien aus den aufstrebenden Staaten gewannen an Interesse. Die Zuflüsse in Aktienfonds hielten laut EPFR-Daten aber noch an.
- Die Zeiten exorbitanter Gewinnzuwächse als Zeichen der Erholung nach dem Ausbrechen der Pandemie dürften fürs Nächste vorbei sein, aber die Unternehmensgewinne sollten auch zukünftig stabilisierend wirken.
- Nach Sektoren unterschieden lassen u. a. die hohen Cash-Bestände und die Nachfragesituation der Firmen darauf schließen, dass sie inflationärem Druck standhalten bzw. diesen weitergeben können. Dies erscheint in einem Umfeld steigender Refinanzierungskosten umso wichtiger.
- Die um Konjunkturschwankungen bereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnisse („Shiller-KGV“) weißen hohe Bewertungen aus, sind aber vor dem Hintergrund niedriger/negativer Realzinsen zu betrachten.
- ESG-Faktoren, als Kriterien für die Nachhaltigkeit der Firmen, sollten auf Dauer eine wichtige Rolle bei der Einzeltitelselektion spielen.
Sicherheit und Frieden wünsche ich uns allen,
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research
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