Realitätscheck
Wohin entwickelt sich die Konjunktur? Was ist von Seiten der Inflation zu erwarten? Welche Rolle spielt die Geldpolitik? Ach, und dann ist da noch die Pandemie. Fragen über Fragen, Zeit für einen Realitätscheck.
- Konjunktur: Nach 13 Monaten einer ununterbrochenen Erholung ging der hauseigene proprietäre Makro-BreitenIndikator zum zweiten Mal in Folge zurück. Während vor allem in China und in den USA der Gipfel überschritten zu sein scheint, nähern sich die Eurozone und – zögerlicher zwar, aber immerhin – auch Japan dem Konjunkturgipfel
- Inflation: Dass es sich bei der Inflation wirklich nur um ein vorübergehendes Phänomen handeln soll, wie es die Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet, ist noch nicht ausgemacht. Zwar zeigen sich Basis- und Konjunktureffekte in der Preisbildung, die nicht von längerer Dauer sein sollten. Auch der Ölpreis scheint momentan überzuschießen. Aber einige Entwicklungen lassen ein zukünftig höher bleibendes Preisniveau vermuten. Die gestiegenen Hauspreise dürften sich über steigende Mieten bemerkbar machen. Die Verlangsam der Globalisierung, z. B. als Antwort auf die unterbrochenen Lieferketten, und der demografische Umkehrtrend, dem zufolge zukünftig mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen als neue dazustoßen, dürften nicht ohne Auswirkung bleiben. Last not least: Lockere Geldpolitiken sorgen für Überschussliquidität, die sich ihren Weg sucht.
- Geldpolitik: Auch wenn sich das Wachstum der Zentralbankbilanzen über 2022 hinweg verlangsamen sollte, so ist der höchste Punkt der Ausdehnung nach den monetären Covid-19-Maßnahmen noch nicht in Sicht. Es dürfte nur langsam und sehr uneinheitlich zu einer Schließung der geldpolitischen Schleusen kommen. Unter den großen Notenbanken sollte die US-Zentralbank Federal Reserve die Drosselung der Anleihenkäufe im November einleiten. Im Sommer nächsten Jahres dürften die Käufe dann vollständig zum Versiegen kommen, bevor es zu ersten Zinsanhebungen kommen könnte. Die Europäische Zentralbank ziert sich derweil, das Ende ihrer expansiven Geldpolitik in den Blick zu nehmen. Zinserhöhungen liegen in weiter Ferne. Entsprechend wurde zuletzt nur eine moderate Kürzung der im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (PEPP) stattfindenden Anleihekäufe beschlossen. Weitere Entscheidungen stehen wohl erst im Dezember an. Bei der Bank of Japan ist keine Änderung ihrer Politik zu erwarten.
- Coronavirus: Covid-19 ist immer noch Todesursache Nummer eins weltweit, wobei die Verläufe von Land zu Land stark variieren. Der Ausbruch der DeltaVariante sollte sich jedoch seinem Hochpunkt nähern. Die damit verbundenen Todesfallzahlen dürften in der Folge langsam zurückgehen. Insgesamt lässt dieser Realitätscheck in den kommenden Wochen mehr Unruhe an den Kapitalmärkten erwarten – die Auftriebsthermik der Rendite suchenden Liquidität bleibt.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Mit der vor uns liegenden Phase des „Realitätschecks“ dürfte es an den Kapitalmärkten unruhiger werden. Konjunktur, Inflationserwartungen, Geldpolitiken, Pandemieverlauf, … alles gerät auf den Prüfstand.
- Über alle Vermögensklassen hinweg zeigen sich erhöhte Bewertungen, zumindest verglichen mit der Historie. Durch das Niedrig-/Negativzinsumfeld sind auch Anleihen längst nicht mehr als preisgünstig einzustufen.
- Die Zuflüsse in Aktienfonds halten weltweit an. Hierbei dürfte das Niedrig- /Negativzinsumfeld ein wichtiger Treiber sein. Ca. 30 % des globalen Anleihemarktes rentieren unter 0 %. Weitere ca. 40 % liegen zwischen 0 % und 1 %. Gerade bei steigenden Inflationsraten ist der Anlagenotstand damit ein Breitenphänomen.
- Deshalb sind bei den Aktienfonds weitere Zuflüsse zu erwarten, die aus den weiter angeschwollenen Geldmarktfonds gespeist werden könnten. Eine Entwicklung, welche risikoreichere Anlagegattungen insgesamt mittelfristig unterstützen sollte.
- Eine sich abzeichnend längere Phase der Koalitionsbildung in Deutschland könnte etwas für Unsicherheiten sorgen. Diese sollten von ihren Auswirkungen auf die – vor allem internationalen - Kapitalmärkte jedoch begrenzt bleiben, zumal eine Koalition aus SPD, Grünen und der Partei „die Linke“ ausgeschlossen ist. Hierdurch hätte die geostrategische Einbettung Deutschlands zur Diskussion gestellt werden können.
Bleiben Sie realistisch,
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research
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