THE DIGITAL LEADERS FUND "Besser investieren" vom 17.06.2022
Die Kurse an den Märkten für Risikopapiere wanken gerade mächtig. Das ist besonders für jüngere Anleger eine neue Erfahrung. Wie bedeutsam die Verluste sind und wie sich Anleger verhalten sollten: Eine Checkliste wider die allgemeine Verunsicherung.
Man muss nicht in Kryptos wie Terra/Luna investiert sein, um von den Berichten über Rezessionsgefahren und Prophezeiungen über implodierende Märkte verunsichert zu werden (Hier werden bewusst keine Links gesetzt!). Verluste quer durch die Bank prägen 2022 tatsächlich das Bild vieler Märkte. Das ist für viele Investoren – zumal für die jüngeren – eine neue Erfahrung. Doch wie ernst ist die Lage, wie schlimm könnte es kommen, und was bedeutet das für Langfristanleger? Eine Checkliste im Frage-Antwort-Format.
Wie hoch sind die Verluste an den Märkten 2022, und was sagen sie aus?
Das ist eine ziemlich berechtigte Frage. Fangen wir damit an, dass viele Aktien- und Anleihenmärkte in diesem Jahr häufig zweistellige Verluste verbuchen. Das ist keine Lappalie, aber wie schlimm ist die Situation für Anleger wirklich? In den USA befindet sich der S&P 500 in einem Bärenmarkt. Das klingt dramatisch, aber das ist nur ein technischer Begriff. Er besagt, dass der Abschlag auf die Höchstkurse bei mehr als 20 Prozent liegt. Wen betrifft das heute? Von rund 120 Aktiensegmenten, in denen Fondsanleger aus Deutschland investieren können, sind 2022 ganze 24 in einem Bärenmarkt. Darunter befinden sich Fonds für Osteuropa Aktien, Schweizer Nebenwerte, britische Midcaps und andere Fonds, die für Anleger in Deutschland mäßig relevant sind. Aber dann gibt es Fonds für Technologie- und Wachstumsaktien, die deutlich mehr als 20% verloren haben. Vergegenwärtigt man sich, dass viele Anleger gerade in den vergangenen Jahren in Highgrowth Aktien investiert haben, dann dürften also etliche Tech- und Growth-orientierte Portfolios deutlich unter Wasser sein. Blickt man allerdings auf große Marktsegmente wie globale Aktien, Europa Aktien, Aktien Deutschland, dann liegen die Verluste eher bei 15 Prozent. Das gilt übrigens auch für US-Aktien, die wegen der Dollar-Gewinne in diesem Jahr auf €-Basis weniger als 15 Prozent verlieren. Gewinner gibt es bei Aktienfonds allerdings auch nur sehr wenige. Bei Anleihen ist die Lage ernster. Bei Fonds aus 82 Rentenmärkten befinden sich nur zwei in diesem Jahr im Plus. Euro- und Dollar-Staatsanleihen verlieren sogar deutlich mehr als zehn Prozent. Man muss sehr weit in das vergangene Jahrhundert zurückgehen, um solche Verlustphasen zu identifizieren – und das auch nur bei einzelnen Märkten und nicht in der Breite. Insgesamt ist das Bild also gemischt. Und die Stimmung ist aus guten Gründen schlechter als die Lage. Anleger sollten sich für mehr Turbulenzen wappnen.
Warum sind Anleger pessimistisch?
Da gibt es sehr viele Gründe. Der wohl kurzfristig am wirkmächstigste ist die hohe Inflation bei gleichzeitig schwächelnder Konjunktur. Acht Prozent Preissteigerung und mehr ist eine Ansage. So etwas hatten wir seit rund 50 Jahren nicht mehr. Was für Verbraucher ein Kaufkraftverlust ist, manifestiert sich an den Kapitalmärkten durch eine Neubewertung vieler Vermögensklassen. Die Geldentwertung führt zunächst dazu, dass Nominalwert-Anlagen, also in erster Linie Anleihen, an Attraktivität verlieren. Eine Bundesanleihe mit einem Null Prozent Kupon ist bei einer Teuerungsrate von acht Prozent real viel weniger Wert als noch vor zwei Jahren, als die Inflation um die Ein-Prozent-Marke pendelte. Um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen, erhöhen die Notenbanken die Zinsen. Die Verteuerung des Geldes wird wiederum negative Folgen für die Konjunktur haben. Hier kommen Aktien ins Spiel. Einmal leiden Wachstumsaktien unter steigenden Zinsen, weil für die künftigen Gewinne höhere Diskontierungssätze gelten. Das setzt die NASDAQ und andere Growth-Märkte unter Druck. Zum anderen sind die Folgen stark steigender Preise für alle Aktien schlecht. Unternehmen können nur bis zu einem bestimmten Grad steigende Preise an ihre Kunden weitergeben. Wenn die Zinsen stark steigen, und danach sieht es gerade aus, dann drückt das auf die Wirtschaftsaktivitäten. Aktien bieten also keinen unbegrenzten Inflationsschutz. Diese Aussicht führt gerade dazu, dass die meisten Aktien jetzt Verluste verzeichnen.
Gibt es denn keine Möglichkeiten, an den Märkten Gewinne zu machen?
Doch, Gewinner gibt es immer. Die Frage ist allerdings, ob davon viele Anleger profitieren. Meistens lautet die Antwort nein. Wer auf steigende Energiepreise Anfang 2022 gesetzt und in Energie-Future-Körbe investiert hatte, blickt heute auf ein Plus von fast 70 Prozent zurück. Agrarrohstoffe legten im Schnitt um gut 30 Prozent zu, die Preise von breit diversifizierten Rohstoffkörben stiegen sogar um knapp ein Drittel. Auf der Aktienseite konnten Energiefonds seit Anfang Januar im Schnitt um über 35 Prozent zulegen. Aber leider stecken hinter solchen Zahlen zumeist Luftschlösser.
Aber auch der durchschnittliche Anleger hätte doch in Energie-Aktien investieren können?
Das stimmt. Über Einzelaktien wie Total oder BP oder über Sektor-Fonds oder -ETFs hätten Anleger von steigenden Rohstoffpreisen profitieren können, aber realistischerweise dürfte kaum jemand im Januar 2022 die Invasion der Ukraine durch Russland auf dem Zettel gehabt und in Energie-Aktien investiert haben. Zumal im Januar keiner in die Förderer fossiler Energieträger anlegen wollte. Im Nachhinein weiß man es immer besser. Energie Aktien machen im MSCI World nur etwas über fünf Prozent aus. Das ist kaum der Rede wert. Noch exotischer sind die anderen Gewinner dieses Jahres: Aktien Brasilien, einige Hedgefonds-Strategien oder US-Geldmarktfonds. Kaum ein Anleger in Deutschland war dort engagiert. Eigentlich haben Anleger 2022 nur von einem Asset auf breiter Front profitiert: vom relativ stabilen Goldpreis. Doch auch hier stand der schwache Euro Pate. Der Goldpreis trat 2022 bisher auf der Stelle, die Gewinne für Anleger von rund fünf Prozent resultieren nur aus dem Währungsfaktor – Gold wird in Dollar gehandelt. Damit kommen wir auf einen interessanten Nebenaspekt: Wer seine Investments weltweit diversifiziert hat, konnte 2022, mit der wichtigen Ausnahme von Yen-Investments, überwiegend Währungsgewinne erzielen – ein schöner Mitnahmeeffekt, der sich in den vergangenen Jahren häufiger für Euro-Investoren eingestellt hat. (Der sich in Zukunft allerdings so nicht fortsetzen dürfte; Abgesehen von allgemeinen Glaubensgrundsätzen wie Reversion to the Mean sind Währungsentwicklungen kaum zu prognostizieren.).
Und wie sieht es mit diversifizierten Portfolios aus?
Nicht besonders gut. Wenn alle Anlageklassen fallen, dann nutzt auch die Streuung über diese Assets naturgemäß nichts. Euro-Anleihen haben interessanterweise 2022 fast genauso viel verloren wie global investierende Aktienfonds. Verluste von zwölf Prozent und mehr entsprechen, wie oben angedeutet, einem Jahrhundert-Crash. Bei vielen Mischfonds kommt erschwerend hinzu, dass ihre Portfolios weder auf der Aktien-, noch auf der Rentenseite optimal diversifiziert sind. Bei Aktien haben viele Fonds ein Übergewicht bei Tech-Aktien; bei Anleihen sind höher verzinsliche Papiere deutlich übergewichtet. Das hat zu höheren als den zu erwartenden Verlusten geführt.
Wie schlimm ist die Lage für Anleger also?
Die Lage an den Märkten ist ziemlich turbulent, und es gibt keinen Grund, dass sich das kurzfristig ändert. Allerdings ist jetzt eine kräftige Portion Relativierung angesagt. Die fallenden Kurse sind eine Momentaufnahme; die Situation für Langfristanleger ist längst nicht so dramatisch, wie es der alarmistische Ton in vielen Medien suggeriert. Alles, was derzeit berichtet wird, fängt nur die jetzige Situation ein; es fehlt die Langfristperspektive. Die sollte man aber unbedingt richtig einschätzen. Selbst wenn das Minus in einem bestimmten Index oder Fonds bei 20 Prozent liegt, ist das nur für die Anleger relevant, die Anfang des Jahres gekauft haben und jetzt verkaufen. Die haben diesen Verlust festgeschrieben. Langfristinvestoren tun so etwas aber nicht. Wer vor fünf Jahren investiert hat, ist bei globalen Fonds zumeist noch dick im Plus. Wer vor zehn Jahren gekauft hat, erst recht. Und wer laufend spart und auf das angesparte Vermögen erst in 15, 20 oder mehr Jahren braucht, der kann sich über günstige Einstiegsmöglichkeiten freuen. Langfristig sind Aktienrenditen unschlagbar für die Vermögensbildung, wobei langfristig ernst gemeint ist.
Und was ist mit Instrumenten wie Hedgefonds? Können die mich nicht vor Verlusten schützen, wenn das Geld entwertet wird?
Manche können das, die meisten nicht, aber darum geht es nicht. Die Frage ist, welche Funktionen solche Strategien im Portfoliokontext haben. Wir haben bereits berichtet, dass defensive alternative Strategien, etwa Multistrategie-Mischfonds, bis zu einem gewissen Maße Anleihen als Stabilitätsbestandteil des Depots ersetzen können. Langfristig schneiden solche Hedgefonds allerdings überwiegend schwach ab. Anleihen leiden nach einer über 40-jährigen Hausse-Phase unter steigenden Renditen. Wer Anleihen als Gegenpart zu Aktien im Depot hat, verzeichnet auf dem vermeintlichen Sicherheitsbaustein hohe Verluste. Doch wer jetzt noch in Anleihen investiert ist, ist vermutlich nicht gut beraten, nach dem Crash zu verkaufen. Nach Verlusten von über zehn Prozent könnte es zu spät sein, Anleihen durch Absolute-Return-Strategien zu ersetzen. Einige Investoren sehen bei Anleihen sogar günstige Einstiegskurse. Insofern sollten Anleger nicht versuchen, jetzt noch an der Vergangenheit herumzuoptimieren.
Was sollten Langfristanleger denn jetzt tun?
Die allermeisten nichts. Anleger sollten nur eingreifen, wenn sie ihre Situation dadurch erwartbar verbessern können. Gerade weil wir nicht in der Lage sind, die Zukunft vorherzusagen, ist es so wichtig, diversifizierte Portfolios aufzubauen. Nur so kann man die Voraussetzung dafür schaffen, die wesentlichen Renditechancen, die die Märkte bieten, wahrzunehmen. Aktionismus schadet dagegen fast immer mehr, als er nutzt. Es gibt diesen englischen Spruch: „Don’t sit there, do something!“. Für Anleger sollte es aber heißen: „Don’t do something, sit there!“. Das geht wider unsere Natur, und auch Fondsmanager fummeln oft zu viel an Portfolios herum. Wir haben gelernt, auf Krisen durch Aktionen zu reagieren. An der Börse kommt das durch den Fluchtreflex zum Tragen. Doch so sinnvoll es in der Urzeit gewesen sein mag, vor einem Säbelzahntiger das Weite zu suchen, so müssen wir erkennen, dass an der Börse keine Gefahren für Leib und Leben lauern. Wer hier dem Fluchtinstinkt nachgibt, vernichtet ohne Not Geld. Risikoaversion ist ein typischer Anlegerfehler. Wer ein diversifiziertes Portfolio unter realistischen Annahmen und Zielen aufgesetzt hat, sollte Kurs halten. Also: Sparpläne laufen lassen, Fonds und ETFs nicht verkaufen, und vor allem das Handy mit der Trading App beiseite legen!
Soll ich also gar nicht mehr auf mein Portfolio schauen?
Das wäre sinnvoll, ist aber vermutlich nicht realistisch. Man sollte sich den täglichen Blick ins Depot verkneifen, aber von Fall zu Fall sollte man es aber schon überprüfen. Verhalten sich die Fonds oder ETFs so, wie man es erwartet? Es geht dabei weniger darum, Verluste zu vermeiden, als darum, nicht erwartete Überraschungen frühzeitig zu identifizieren. Wenn ein Investment nicht das tut, was es auf dem Papier sollte, dann ist unter Umständen Handlungsbedarf angesagt. Wer beispielsweise von seiner Bank einen defensiven Mischfonds empfohlen bekommen hat und dieser aktienähnliche Verluste aufweist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch beraten worden. Dann sollte man auf jeden Fall ein kritisches Gespräch mit seinem Berater führen. Doch auch andersherum ist es bedenklich. Wer meint, in einen klassischen Aktienfonds investiert zu haben und dieser in einem Crash nicht verliert, muss davon ausgehen, dass sich der Fonds auch in Aufwärtsphasen träge bewegen wird. Das ist langfristig schlimmer für die Anlegerrendite als kurzfristiges Risikomanagement. Wir alle wissen nicht, wann die Märkte drehen werden. Weil die besten Renditen unmittelbar nach dem Tiefpunkt erzielt werden, ist es für Anleger wichtig, Kurs zu halten. Die Schmerzen, die wir auf dem Weg zum Ziel erleiden, werden langfristig durch ordentliche Renditen kompensiert.
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